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Dirk Nowitzki jubelt nach einem seiner vielen Dreier. (Archivbild 2014)
© Tom Pennington/Getty Images/AFP

Dirk Nowitzki war der letzte Riese: Eine Würdigung von fünf Weggefährten

Dirk Nowitzki hat den internationalen Basketball geprägt. Jetzt hat er seine große Karriere beendet.

Nicht nur die Basketballfans hierzulande werden sich schwertun mit dem Gedanken, dass Dirk Nowitzki nach sage und schreibe 21 Jahren in der nordamerikanischen Profiliga NBA seine Karriere beenden wird. Nowitzki legte eine beispiellose Karriere hin. Er ist nach individuellen Statistiken der bislang beste ausländische Spieler in der US-Profiliga. Und auch mit seinem Team, den Dallas Mavericks, feierte er große Erfolge, vor allem den einen: den Gewinn der Meisterschaft im Jahr 2011. Doch Nowitzki ist nicht nur auf dem Platz ein Großer, sondern auch daneben. Eine Huldigung von alten Bekannten.

DEMOND GREENEGepusht vom Trainingsweltmeister

Als ich Dirk das erste Mal in Aschaffenburg gesehen habe, konnte ich ihn noch gar nicht wirklich einschätzen. Ich war ungefähr 16, hatte erst ein Jahr zuvor mit Basketball angefangen. Dirk war vielleicht 17 und ich konnte nur sehen: Der ist groß und kann spielen. Ein Jahr später bin ich nach Würzburg gewechselt, wir haben uns gleich blendend verstanden. Im Sommer sind wir ins erste von vielen gemeinsamen Trainingslagern gefahren. 1996 müsste das gewesen sein. Wir waren drei, vier Wochen jeden Tag zusammen. Dirk, Robert Garrett und ich. Und natürlich Dirks Mentor Holger Geschwindner. Es war sehr intensiv, sehr konzentriert, zwei bis vier Stunden jeden Vormittag, hat aber auch großen Spaß gemacht. Ich erinnere mich an viele, viele, viele, viele Korbleger, in den verschiedensten Varianten. Wir haben uns gegenseitig gepusht – wobei das Pushen mehr von Dirk ausging.

Natürlich war er der Talentierteste, aber er ist vor allem ein Trainingsweltmeister, er kriegt da nie genug. Und Holger ist genauso. Ich habe manchmal gedacht: Jetzt kommt auch Dirk an seine Grenzen. Aber dann hat er gesagt: Okay, pass auf – wir machen noch eine Runde. Dadurch, dass er so ehrgeizig ist, mussten wir mitziehen. Er hat zwei Stunden geworfen, dabei gingen dann vier, fünf Würfe daneben. Da willst du natürlich nicht danebenstehen und jeden zweiten Wurf versemmeln.

Als Jugendtrainer versuche ich meinen Spielern klarzumachen, wie viel Zeit Dirk investiert hat. Dass er sich alles in der Halle verdient hat. Dieser Extrafleiß, die Extradisziplin – das fehlt heute vielen jungen Spielern. Wir wussten damals, dass der nächste Schritt für Dirk ein Topteam sein würde, weg aus Würzburg. Aber die NBA war eher ein Traum. Ich konnte das nicht einschätzen, hatte immer noch viel zu wenig Plan von Basketball. Aber ich weiß noch ganz genau, wie Geschwindner im Trainingslager am Starnberger See gesagt hat: „Dirk wird einer der besten Spieler der NBA.“ Und wir alle so: „Ja. Wenn Holger das sagt, dann wird das so sein.“

Demond Greene, 39, stieg 1998 mit Nowitzki aus der Zweiten Liga in die Basketball-Bundesliga auf. Er spielte unter anderem für Leverkusen, Alba Berlin, Bamberg und den FC Bayern. Seit 2018 trainiert er die zweite Mannschaft der Münchner.

Die Nationalmannschaftskollegen Patrick Femerling (hinten links) und Demond Greene (vordere Reihe, Zweiter von rechts).
Die Nationalmannschaftskollegen Patrick Femerling (hinten links) und Demond Greene (vordere Reihe, Zweiter von rechts).
© picture-alliance/ dpa

HENNING HARNISCHViel mehr als reine Größe

Ich habe 1997 meine Karriere in der Basketball-Nationalmannschaft beendet – genau in dem Jahr, in dem Dirk Nowitzki zum ersten Mal dazukam. Mein Vereinskollege Mithat Demirel kannte ihn aus den Jugendteams, weil beide ein Jahrgang sind, und hatte mir schon ein bisschen von ihm erzählt. Als ich Dirk bei einem Lehrgang zum ersten Mal begegnet bin, dachte ich nur: Wow! Ist der riesig! Zwei Köpfe größer als ich und spielt auf der gleichen Position! Aber ich habe schnell gemerkt: Dieser junge Kerl hat so viel mehr als reine Größe, es war so vielschichtig. Dirk war kein langer, schlaksiger, unbeweglicher Baum, er hatte so außerordentliche Anlagen. In den ersten Runden konnte ich das als älterer Spieler noch mit meiner Erfahrung kompensieren, aber ich habe bereits geahnt: Da taucht jetzt jemand auf, der richtig herausragend werden kann. Manchmal hat man ja so ein Gefühl: Zuletzt ging es mir bei Moritz Wagner so, der bei Alba Berlin die Jugendstationen durchlaufen hat und jetzt in der NBA bei den Los Angeles Lakers spielt.

Außerdem war ich immer Fan von Dirks Mentor und Ziehvater, von Holger Geschwindner. Ich habe es damals als sehr aufregend empfunden, dass diese beiden zusammen etwas austüfteln. Ein kluger Mensch mit klarer Idee wie Holger tritt in einen dauerhaften Dialog mit einem lernwilligen Schüler wie Dirk und entwickelt ihn, indem er sich auf Augenhöhe mit ihm austauscht. Wenn man sieht, wo das geendet ist, muss man gratulieren und sagen: sie haben mit sehr konkreten, einfachen Sachen gemeinsam einen unglaublich langen und erfolgreichen Weg zurückgelegt.

Henning Harnisch ist immer Nowitzki-Fan geblieben.
Henning Harnisch ist immer Nowitzki-Fan geblieben.
© dpa

Wenn man sich ein Highlight-Video von Dirk anschaut, ist da ja kein Michael-Jordan-Material dabei, der über drei Leute hinwegdunkt, das war nie seine Qualität. Dafür konnte er manche Sachen so gut, dass es für den Gegenspieler einfach unmöglich war, sie zu verteidigen. Dirk größte Leistung liegt – bei allem Respekt vor dem Sportlichen – aber darin, dass er völlig glaubhaft ein total normaler Typ geblieben ist, obwohl der Profisport immer wahnwitziger und gestörter geworden ist. Für seine Erzählung, aber auch für das Deutschland-Bild im Ausland hat das einen überragenden Wert. Dirk ist einfach ein angenehmes, lustiges, freundliches Deutschland-Gesicht, ein toller Botschafter.

Henning Harnisch, 50, war mit Leverkusen und Alba Berlin zwischen 1990 und 1998 neun Mal in Serie Deutscher Meister. Der Europameister von 1993 ist Vizepräsident von Alba Berlin und Kopf der Jugendarbeit des Klubs.

MAODO LOAutogrammstunde mit dem Idol

Ich erinnere mich noch daran, dass ich ein Bild von Dirk in einer Zeitung oder in einem Magazin gesehen habe, als er in die NBA gewechselt ist. Wahrscheinlich konnte ich noch gar nicht richtig lesen, mein Bruder hat mir das dann erklärt. Später habe ich mir dann Videokassetten von NBA-Spielen bestellt, von den Lakers, den Timberwolves, den Spurs. All-Star-Games konnte man sich auch kaufen, da war dann auch Dirk immer dabei. Als ich ungefähr 13 Jahre alt war, habe ich an einem Basketballcamp in Würzburg teilgenommen. Ich habe so gehofft, dass er da vorbeikommt, dass ich ihn treffen kann. Er ist aber nicht aufgetaucht.

Im Sommer 2010 hat er aber bei Niketown in Berlin eine Autogrammstunde gegeben. Das war ein echt großes Ding, der ganze Tauentzien war voll. Ich hab mich angestellt und er hat irgendwas für mich unterschrieben – einen Ball, ein Magazin, ich weiß nicht mehr genau. Als ich ans College in die USA gewechselt bin, habe ich mir noch mehr Spiele von Dirk im Fernsehen angeschaut. Und wenn ich mit amerikanischen Freunden zusammen war, haben alle auf mich geschaut, um zu sehen, wie ich reagiere. Weil ich halt auch Deutscher bin, das war schon ein solidarisches Gefühl. Ich habe erst dann kapiert, wie sehr ihn die Amerikaner respektieren. Dass sie verstehen, wie krass er ist. 2015 bin ich erstmals zur Nationalmannschaft eingeladen worden.

Maodo Lo erlebte Dirk Nowitzki im Nationalteam.
Maodo Lo erlebte Dirk Nowitzki im Nationalteam.
© dpa

Und als ich erfahren habe, dass Dirk die EM spielt, war das ein wahnsinniges Gefühl. Er ist im Trainingslager auf Mallorca zum Nationalteam gestoßen. Uns wurde gesagt, er würde zum Mittagessen da sein. Ich war richtig nervös, so gespannt darauf, ihn kennenzulernen. Als Menschen, als Spieler, als Teamkameraden. Ich habe mich wahnsinnig geehrt gefühlt, damals war ich ja noch Student. Mein Selbstvertrauen ist total gewachsen, weil ich wusste: Jetzt spiele ich mit Nowitzki in einer Mannschaft! Das war der größte Erfolg meines Basketballerlebens bis dahin.

Die EM war leider sehr bitter für uns. Das Aus in der Vorrunde, im eigenen Land, zum Abschied von Dirk. Wir wollten ihm gerne ein paar von den Dingen zurückgeben, die er für die Nationalmannschaft in all den Jahren geleistet hat. Das hat leider nicht geklappt. Jedes weitere Spiel mit ihm wäre eine große Ehre gewesen.

Maodo Lo, 26, war bei Nowitzkis erstem NBA-Spiel sechs Jahre alt. Der Berliner spielte für die Columbia University und den Bundesligisten Bamberg, mit dem er 2017 das Double gewann. Seit dieser Saison steht er beim FC Bayern unter Vertrag.

DIRK BAUERMANNTaktik für den Superstar

Meinen Job als Trainer hat Dirk leichter gemacht – und gleichzeitig schwieriger. Trotz seiner Extraklasse war er immer offen für konstruktive Vorschläge, er hat dem Trainerstab nie das Gefühl gegeben, er wüsste irgendetwas besser. Andererseits lässt ein Spieler seiner Qualität die Ansprüche und Erwartungshaltungen natürlich enorm wachsen. Das gilt für Mitspieler, aber insbesondere für den Chefcoach. Da legt er die gleichen hohen Maßstäbe an wie an sich selbst.

Dirk Bauermann feierte seine größten Erfolge als Nationaltrainer mit Nowitzki.
Dirk Bauermann feierte seine größten Erfolge als Nationaltrainer mit Nowitzki.
© dpa

Das ist aber auch gut: weil das den Trainer dazu zwingt, ebenfalls immer Höchstleistungen zu bringen. Insofern hat er immer alle um sich herum besser gemacht – auch mich. Dirk war von 2004 bis 2008 in jedem Jahr beim Nationalteam dabei, dann 2011 noch einmal. Unsere Spielanlage hat sich immer sehr stark an ihm orientiert, insofern waren die Jahre ohne ihn taktisch und konzeptionell ganz anders. Wir mussten den Kader um ihn herum gestalten, zum Beispiel viele gute Distanzschützen aufstellen, um Mannschaften bestrafen zu können, die ihn in Doppeldeckung genommen haben. Stephen Arigbabu war oft als eine Art Bodyguard für Dirk dabei.

Aber egal, wer in dieser Zeit für Deutschland gespielt hat: Unser Team war immer eine auf hohem Niveau funktionierende Einheit. Und nicht elf Hansel und ein Superstar.

Dirk Bauermann, 61, trainierte 1994 sowie von 2003 bis 2011 die deutsche Nationalmannschaft. Zu seinen größten Erfolgen als Nationalcoach gehören die Silbermedaille bei der EM 2005 und die Qualifikation für Olympia 2008, jeweils mit Nowitzki. Zurzeit steht er beim türkischen Erstligisten Pinar Karsiyaka unter Vertrag.

PATRICK FEMERLINGEiner vor uns

Dirk war immer ein Typ, mit dem ich gern Zeit verbracht habe. Oder besser gesagt: wir alle bei der Nationalmannschaft. Wenn wir zusammen waren, hatte das etwas von Klassenfahrt – natürlich mit sportlichen Ambitionen und großen Ansprüchen, trotzdem sehr unbeschwert. Als Team haben wir uns immer gut verstanden und voneinander profitiert. Über all die Jahre hat mich eine Sache bei Dirk besonders beeindruckt: Immer, wenn er im Sommer nach Deutschland kam und wir ihn gesehen haben, hatte er noch einmal an seinem Spiel gearbeitet, war noch besser geworden, hatte die nächste Stufe erreicht. Jahrein, jahraus. Er hat nie aufgehört, Gas zu geben, und wollte immer gewinnen.

Das ist die Basis für seine unfassbare Karriere, gekrönt natürlich von der Meisterschaft mit Dallas im Jahr 2011. Es gibt ja viele legendäre NBA-Spieler, die nie einen Titel gewonnen haben, bei Dirk hat die Öffentlichkeit zwischendurch ja auch gezweifelt. Aber dann hat er auch diesen letzten großen Schritt gemacht. Als die Finalserie damals lief, habe ich morgens als Erstes den Fernseher eingeschaltet und mir die Wiederholung der Spiele angesehen, das war irre. Dass Dirk danach auf der Parade „We are the Champions“ gesungen hat, war dann nicht ganz so vorteilhaft und hat seiner Karriere als Schlagersänger eine ordentliche Kerbe verpasst.

Aber Spaß beiseite: Dirk ist einer von uns geblieben, obwohl er sportlich zwei Klassen höher unterwegs war, Allüren oder sowas waren ihm völlig fremd.

Patrick Femerling, 44, ist mit 221 Einsätzen Rekordspieler der deutschen Basketballnationalmannschaft und trat oft mit Dirk Nowitzki zusammen auf. Femerling spielte unter anderem für Alba Berlin. Heute ist er als Trainer für den Nachwuchs der Nationalmannschaften verantwortlich und Chefcoach des U-16-Teams.

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