Doping: Die vergessenen Opfer der DDR
Im Jahr des Wendejubiläums spielen die Opfer des DDR-Zwangsdopings keine Rolle. Sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen - auch von Bundespräsident Gauck.
Uwe Trömer dürfte laut ärztlicher Expertise eigentlich gar nicht mehr leben. Zwei Jahre gab man dem schwer Nierengeschädigten einst, vor sechs Jahren. „Ich fliege quasi auf Bonusmeilen“, sagt er bitter. Und so sitzt er da, der Bahnrad-Vizeweltmeister von 1980, als Mahnmal des Unrechts, dessen sich niemand annehmen will. Regt sich auf über schweigende Politiker und störrische Behörden und sagt: „Unser Problem ist, dass der Sport nicht als SED-Unrecht anerkannt wird.“
25 Jahre nach ihrem Zusammenbruch wird das Leben und Leiden in der DDR noch einmal ausgeleuchtet. Die Opfer des DDR-Zwangsdopings aber erfahren auch im gesamtdeutschen Jubiläumsjahr keine Rehabilitierung. Verleugnet, ignoriert, verlacht, läuft den Dopingopfern die Zeit davon. Uwe Trömer drückt es drastisch aus: „Die Politik setzt auf die biologische Endlösung.“ Eine einmalige Entschädigung von etwa 10 000 Euro gab es, doch seitdem herrsche die Schlussstrich-Mentalität vor, sagt Ines Geipel.
Die Vorsitzende des Vereins Doping-Opfer-Hilfe (DOH) beklagt die „Tabuisierung des Dopings in diesem Land“, auch und gerade in Politik und Sport. So habe es bis heute kein Wort des Beileids aus dem organisierten Sport zum unlängst verstorbenen DDR-Gewichtheber Gerd Bonk gegeben. „Die jubelnde Frau Merkel, der jubelnde Herr Gauck und das Bild des toten Gerd Bonk gehören in unserem politischen Raum zusammen“, sagt Geipel. 700 neue mutmaßliche Geschädigte haben sich seit Oktober 2013 in der DOH-Beratungsstelle gemeldet. „Wir nehmen diese Schäden auf, aber was ist dann geleistet?“, fragt Geipel. Sie fordert „zeitnah die politische Rente“ und geht von etwa 2000 Anspruchsberechtigten aus.
Politische Rückendeckung für das Thema gibt es kaum. „Außer den Grünen blockieren alle Parteien“, sagt Trömer. Besagte Grüne haben immerhin den Antrag gestellt, die Dopingopfer bei der Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze in dieser Woche zu berücksichtigen. Die Erfolgsaussichten dafür sind gering, das Thema ist unpopulär. „Politik und Sport schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu“, sagt Geipel. Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) zeige kein Interesse an Gesprächen. So bleibt es dem kleinen DOH überlassen, gegen das Vergessen anzukämpfen. Bei der DOSB-Mitgliederversammlung in Dresden am 6. Dezember wollen einige Dopingopfer die Olympiastimmung stören, mit Plakaten: „Wir sind eure Opfer“.
Zarte Hoffnung geht auch von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) aus, der unlängst Opferverbände zu sich einlud und Hilfe versprach. So weit ist der Bundespräsident noch nicht. „Ich hatte gehofft, dass er Geschädigte mal zu sich ins schöne Bellevue einlädt, in diesem großen Erinnerungsjahr“, sagt Ines Geipel. Doch nach einem persönlichen Gespräch mit Joachim Gauck zerschlug sich ihre Hoffnung, der einstige Bürgerrechtler könnte sich vor dem 25. Jahrestag der Wiedervereinigung des Unrechts annehmen. Stattdessen bekam Geipel die Auskunft, die sie und die Dopingopfer inzwischen schon zu oft gehört haben: „Keine Zeit.“
Christian Hönicke