Doping in Deutschland: Schwere Vorwürfe gegen DOSB-Präsident Bach
Der zum Teil veröffentlichte Bericht zum Doping in Westdeutschland wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Das Innenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund sehen sich sogar Vorwürfen der Verschleppungstaktik ausgesetzt. DOSB-Präsident Thomas Bach setzt eine unabhängige Kommission ein.
Bis zum späten Nachmittag besaß am Montag eine Stellenausschreibung offensichtlich oberste Nachrichten-Priorität: Unter der Rubrik „Aktuelle Meldungen“ suchte das Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) auf seiner Homepage einen Mitarbeiter im Fachbereich Forschung und Entwicklung. Die Dokumente von bundesweiter Relevanz waren unterdessen nicht einsehbar. Noch nicht.
Wenig später wurde aus der gestrigen Ankündigung des Bundesinnenministeriums (BMI), im Laufe des Montags jenen 800 Seiten umfassenden Abschlussbericht über weitreichende Dopingpraktiken in der Bundesrepublik auf der Internetseite des BISp zu veröffentlichen, aus dem am Sonnabend bereits die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert hatte, zur Gewissheit. Zumindest in Teilen. Denn rund 680 Seiten hält das BISp weiterhin zurück. Laut „SZ“ fehlen zahlreiche anschauliche Zeitzeugenberichte und einige Namen, zum Beispiel von einflussreichen Politikern. Die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag, kritisiert am heutigen Dienstag, dass die Studie über Doping in der Bundesrepublik Deutschland nicht komplett veröffentlicht worden ist. In hr-iNFO sagte die SPD-Politikerin, die gestern veröffentlichte Minimalversion des Berichts werfe mehr Fragen auf als sie Antworten gebe. So seien vermutlich interessante Namen geschwärzt worden. Freitag sprach von einem Bericht, „der von Auslassungen und Platzhaltern wie N.N. dominiert wird“.
Auch Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, forderte am Dienstag die Nennung konkreter Namen. „Es müssen Ross und Reiter genannt werden“, verlangte Prokop bei einer Pressekonferenz in München und mahnte die Veröffentlichung der bisher zurückgehaltenen Langfassung der Studie an. Nur so könne auch der nun aufgekommene „Generalverdacht“ gegen bundesdeutsche Athleten ausgeräumt werden.
Heidi Schüller über Thomas Bach: „Wenn man IOC-Präsident werden will, dann schweigt man besser“
Der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), Michael Vesper, sagte dem Tagesspiegel: „Wir haben ein eminentes Interesse daran, die Doping-Geschichte in Ost und West qualifiziert aufzuarbeiten.“ Eine Forschergruppe der Berliner Humboldt-Universität (HU) war in ihrem Bericht zu der Erkenntnis gelangt, dass in der alten Bundesrepublik nicht nur „systematisch“ gedopt, sondern das Vorgehen sogar von der Politik toleriert wurde. DOSB-Präsident Thomas Bach kündigte eine weitere Aufarbeitung der Studienergebnisse an. Im „heute-journal“ des ZDF sagte Bach am Montagabend: „Wir haben eine unabhängige Kommission eingesetzt und den Vorsitzenden benannt, das ist der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Steiner.“ Steiner werde den Bericht der Berliner Humboldt-Universität evaluieren und dem DOSB-Präsidium Empfehlungen „geben für den Umgang damit und auch für Lehren für die Zukunft“. Dies sagte jener Thomas Bach, der in den Siebzigern selbst als Florettkämpfer aktiv war und der sich nun von Ex-Spitzensportlerin Heidi Schüller schweren Vorwürfen ausgesetzt sieht. „Thomas Bach muss mehr gewusst haben, als er jetzt zugibt. Er kann doch auch lesen“, sagte Schüller in einem Interview der Münchner Tageszeitung „tz“ (Dienstag). „Aber wenn man IOC-Präsident werden will, dann schweigt man besser.“
Die frühere Weitspringerin Schüller hatte 1972 bei den Heim-Sommerspielen in München den olympischen Eid gesprochen - als erste Frau überhaupt. Auf die jüngsten Enthüllungen habe sie „mit einem Schulterzucken reagiert, weil es mich nicht mehr aufgeregt hat. Es ist doch fast schon lächerlich, wie lange alle Veröffentlichungen verhindert wurden“, sagte die heute 63-Jährige. Schüllers Fazit: „Wer wollte, hätte es wissen können.“ In ihrer aktiven Zeit sei Doping vor allem in den Leichtathletik-Wurfdisziplinen alltäglich gewesen. „Jeder konnte es im Kraftraum sehen. Anabolika wurden genommen, die übrigens auf dem Schwarzmarkt gehandelt wurden. Dazu Cortison, das von Ärzten verschrieben wurde. Auch bei ausländischen Sportlern haben wir es gesehen.“
Und so kam ersten Werktag nach den Enthüllungen vom Wochenende gestern nun gehörig Bewegung in den Fall, Verbände und Sportler äußerten sich ebenso wie hochrangige Funktionäre. Unter anderem wollte Vesper die Vorwürfe relativiert wissen, der DOSB habe die Veröffentlichung der mit 525 000 Euro staatlich bezuschussten Studie torpediert. „Wir haben die Studie überhaupt erst initiiert – ohne den DOSB gäbe es sie gar nicht“, sagte Vesper, und „deshalb gehen alle Vorwürfe, der DOSB wolle deren Ergebnisse unterdrücken, komplett ins Leere“. Ähnlich verhalte es sich mit dem Vergleich zwischen BRD und DDR.
Doping-Fahnder Manfred Donike ist nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts ins Zwielicht geraten
In diesem Punkt liegt die politische Dimension der Studie, die sich zu einem der größten Skandale der westdeutschen Sportgeschichte ausweiten könnte. Selbst der renommierte, bereits verstorbene Doping-Fahnder Manfred Donike ist nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts über die Doping-Vergangenheit in der Bundesrepublik ins Zwielicht geraten. Es gebe in dem Bericht deutliche Hinweise, „dass Manfred Donike Mithilfe geleistet hat, damit gedopte Athleten nicht zu gewissen Wettkämpfen geschickt wurden“, sagte der Nürnberger Pharmakologe Fritz Sörgel am Montag der Nachrichtenagentur dpa.
Am Sonntag noch hatte Walther Tröger, der Vorsitzende des Nationalen Olympischen Komitees zwischen 1992 und 2002, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa betont, im Gegensatz zur DDR habe es unter dem Dach des BMI, der BISp und der Sportorganisationen kein systematisches Doping gegeben. Am Montag sagte Tröger in einem Interview mit dem Deutschlandradio: „Es wurde Doping geforscht, das war ein Auftrag der Bundesregierung, jeder wusste das.“ Vesper ergänzte in diesem Zusammenhang: „Wir stellen uns unserem übernommenen Erbe ohne Wenn und Aber. Allerdings wehren wir uns gegen platte Gleichsetzungen des Dopings in Ost und West, die einer wissenschaftlich belegten Grundlage entbehren.“ Auch die Forscher müssten sich gefallen lassen, dass man ihre Arbeit bewertet. Um Nachhaltig- und Wahrhaftigkeit der Untersuchungen einschätzen zu können, will Vesper deshalb die Ergebnisse der Untersuchungskommission in Freiburg abwarten. „Es wird spannend sein zu sehen, ob sie bei der Vorlage ihres Untersuchungsberichtes die Einschätzung der Forscher der HU teilt.“
Öffentlich steht der DOSB in der Kritik. Die frühere DDR-Sprinterin und Anti-Doping-Aktivistin Ines Geipel erklärte mit Blick auf die Doping-Praktiken in Ost und West: „Die Einheit hat es bereits Anfang der 70er Jahre gegeben.“ Deshalb wird nun über die Gründung eines Fonds für geschädigte Athleten aus dem Westen diskutiert, den es für ehemalige DDR-Athleten bereits gibt. „Wenn es Geschädigte im Westen gibt, muss man Ost und West zusammen denken“, sagte Geipel.
Uwe Trömer, Vorstandsmitglied im Hilfeverein und selbst anerkanntes Dopingopfer, sagte: „Nach der jüngsten Veröffentlichung muss die Sportgeschichte Ost und West neu geschrieben werden.“ (mit dpa)
Die Studie finden Sie im Internet unter: www.bisp.de
Christoph Dach