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Gemütszustand: Abstiegskampf. Wer kommt mit den Anforderungen am besten zurecht?
© imago images/Matthias Koch

So spannend ist es im Abstiegskampf: Die Meisterschaft des kleinen Mannes

Mal wieder ist der Abstiegskampf in der Fußball-Bundesliga spannender als die Frage, am wievielten Spieltag der FC Bayern wohl Meister wird. Ein Überblick.

Max Kruse ist seit seinem Wechsel zum VfL Wolfsburg bei seinem vorherigen Arbeitgeber 1. FC Union nicht mehr ganz so gut gelitten. Vielleicht hat Kruse bei den Unionern ein bisschen auf lieb Kind machen wollen, als er am Wochenende auf seinem Twitch-Account seine private Prognose zum Ausgang des Abstiegskampfs in der Fußball-Bundesliga abgegeben hat. Neben Fürth steigt laut Kruse nämlich Unions verhasster Lokalrivale Hertha BSC am Saisonende direkt ab, der VfB Stuttgart rettet sich in die Relegation.

Kann so kommen, muss aber nicht. Kann auch sein, dass Kruse absteigt. Gerettet ist Wolfsburg jedenfalls noch lange nicht. Aber wer ist das schon? Elf Spieltage vor Schluss sorgt sich die halbe Liga, und wieder mal ist der Abstiegskampf spannender als die Frage, am wievielten Spieltag sich Bayern München wohl diesmal den Meistertitel sichert. Eine Übersicht über die Lage der Dinge im Tabellenkeller.

VfL Bochum (29 Punkte)

Nie schien es so leicht, nicht abzusteigen wie in dieser Saison: in einer Liga nämlich mit den Aufsteigern Fürth und Bochum, die von vornherein dem Untergang geweiht waren. Aber das hat man vor einem Jahr bei Arminia Bielefeld auch gedacht – und dann blieb Bielefeld drin, während die Dickschiffe Schalke und Bremen regelrecht absoffen und mit Köln ein weiterer Großer in die Relegation musste.

Aktuell spricht wenig dafür, dass es die Bochumer noch erwischt. Selbst der emotionale Ausnahmezustand, den der Sieg gegen die Bayern bei ihnen ausgelöst hat, ist ohne größere Verwerfungen geblieben. Im ersten Spiel n. B. (nach Bayern) sicherte sich der VfL beim VfB Stuttgart durch einen Elfmeter in letzter Minute einen wichtigen Punkt.

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Das erzählt einiges über den Widerstandsgeist der Mannschaft von Trainer Thomas Reis und hat dazu geführt, dass der VfL nun schon seit vier Spielen ungeschlagen ist. Länger als jeder andere der 18 Bundesligisten.

VfL Wolfsburg (27 Punkte)

Der VfL hat jetzt Max Kruse. Allein das – so haben viele geglaubt – sollte reichen, um den drohenden Abstieg abzuwenden. Zumal er die ersten beiden Spiele mit Kruse (nach drei Monaten ohne jeden Sieg) auch gleich mal gewonnen hat.

Dass Wolfsburg sich berechtigte Hoffnungen auf den Klassenverbleib machen darf, liegt tatsächlich an einem einzigen Spieler. Allerdings nicht an Kruse, sondern an Xaver Schlager. Der Österreicher ist ein Kämpfer vor dem Herrn und damit wie geschaffen für den Abstiegskampf. Schlager steht nach seinem Kreuzbandriss unmittelbar vor der Rückkehr auf den Platz.

Zuletzt ist er am dritten Spieltag zum Einsatz gekommen. Wolfsburg gewann 1:0 gegen Leipzig und führte nach dem dritten Sieg im dritten Spiel die Tabelle der Bundesliga an.

Borussia Mönchengladbach (26 Punkte)

Ein Klassiker im Abstiegskampf lautet: Und dann könnte es noch einen erwischen, der sich das gar nicht vorstellen kann. Für diese Rolle eignen sich dieses Jahr vor allem Wolfsburg und Gladbach, die beide mit ganz anderen Ambitionen in die Saison gestartet sind und am Samstag im direkten Duell aufeinandertreffen. Dabei dürften die Borussen schon vor ihrem Ex-Spieler Kruse zittern, der im Borussia-Park erst vor 35 Tagen beide Treffer zum 2:1-Sieg für den 1. FC Union erzielt hat.

Für Gegentore sind die Gladbacher immer gut. 46 sind es bereits, im Schnitt also zwei pro Spiel. Nur Hertha BSC und Fürth stehen noch schlechter da. Die Mannschaft von Adi Hütter gerät vor allem defensiv allzu schnell aus dem Tritt und taumelt bedenklich. Vor einer Woche setzte es in Dortmund eine 0:6-Niederlage. Es war bereits die zweite in dieser Saison, nach dem 0:6 gegen Freiburg kurz vor Weihnachten im eigenen Stadion.

Arminia Bielefeld (25 Punkte)

Arminia Bielefeld ist sozusagen das Anti-Gladbach (oder die Anti-Hertha). Die Mannschaft weiß, was sie kann: exzellent verteidigen. Bielefeld hat 17 Gegentore weniger kassiert als Gladbach und 22 weniger als Hertha (im Schnitt also ziemlich genau eins pro Spiel).

Nur in drei Spielen hat die Arminia mehr als zwei Gegentore hinnehmen müssen; zuletzt war das Ende Oktober der Fall. Zum Vergleich: Den Gladbachern ist das bereits sechs Mal widerfahren, Hertha sogar sieben Mal. Defensive gewinnt Meisterschaften heißt es immer. Defensive sichert womöglich auch den Klassenerhalt.

Neben Hertha BSC hat es zuletzt den VfB Stuttgart am härtesten getroffen. Stürmer Silas hat sich am vergangenen Wochenende so schwer verletzt, dass er bis zum Saisonende ausfällt.
Neben Hertha BSC hat es zuletzt den VfB Stuttgart am härtesten getroffen. Stürmer Silas hat sich am vergangenen Wochenende so schwer verletzt, dass er bis zum Saisonende ausfällt.
© imago images/Eibner

Hertha BSC (23 Punkte)

Am Donnerstagmittag stromerte Sami Khedira über das Vereinsgelände von Hertha BSC. Was gleich zwei Fragen aufwirft. Frage 1: Kehrt Sami Khedira ein knappes Jahr nach seinem Karriereende noch einmal zu Hertha zurück. Und Frage 2: In welcher Funktion wird er dringender benötigt: als Sportdirektor oder doch noch einmal als Spieler?

Variante zwei lassen die Statuten der Deutschen Fußball-Liga leider nicht zu. Leider, weil es angesichts der angespannten Personalsituation bei Hertha zweifellos Bedarf gäbe. Von den acht Corona-Infizierten der Vorwoche sind inzwischen drei (Suat Serdar, Maximilian Mittelstädt und Jurgen Ekkelenkamp) zurück im Training, dafür gibt es einen neuen Fall. Wo kämen wir auch hin, wenn Hertha mal Glück hätte? Oder zumindest kein Pech.

Jetzt hat es Torhüter Alexander Schwolow erwischt, der damit für das Spiel bei seinem Ex-Klub SC Freiburg am Samstag ausfällt. Und damit nicht genug: Weil auch die Nummer zwei Oliver Christensen und die Nummer drei Rune Jarstein weiterhin nicht einsatzfähig sind, muss Trainer Tayfun Korkut jetzt entscheiden, ob er seine Nummer vier Nils Körber oder die Nummer fünf Marcel Lotka gegen den Tabellensechsten Freiburg ins Tor stellt.

Lotka, 20 Jahre alt und polnischer U-21- Nationaltorhüter, saß mangels Alternativen bei den vergangenen drei Spielen auf der Bank, hat allerdings noch keinerlei Profierfahrung. Körber, 25, ist für den VfL Osnabrück immerhin acht Mal in der Zweiten Liga zum Einsatz gekommen. Allerdings war er zuletzt ebenfalls verletzt. Erst am Mittwoch ist er wieder ins Mannschaftstraining eingestiegen. „Abschließend entschieden haben wir noch nicht“, sagte Korkut und gab sich mit Blick auf Schwolows potenzielle Vertreter demonstrativ gelassen gab. „Die machen ja keinen Urlaub“, sagte er. „Die sind heiß.“

FC Augsburg (22 Punkte)

Im Sommer hat der FC Augsburg bei den ganz Großen der Branche gewildert. Da feierten die Augsburger nämlich „La Decima“, allerdings nicht wie einst Real Madrid den zehnten Titel in der Champions League, sondern den zehnten erfolgreichen Abstiegskampf in der Bundesliga. Wenn der Klassenerhalt die Meisterschaft des kleinen Mannes ist, dann sind die Augsburger unter den kleinen Männern inzwischen Deutschlands Rekordmeister. Seit dem Aufstieg 2011 haben sie es noch immer geschafft, den Abstieg zu vermeiden. Mal mehr, mal weniger souverän.

Diese Erfahrung hat beim FCA womöglich dazu geführt, die Zugehörigkeit zur Bundesliga als gottgegeben anzusehen. Eine gefährliche Haltung, genauso wie die geheime Sehnsucht des Klubs, mehr zu sein als ein ewiger Abstiegskandidat. Zu Beginn der Rückrunde konnte man fast glauben, die Augsburger seien auf bestem Wege, das Real von bayrisch Schwaben zu werden. Der Hype um die Verpflichtung des US-Amerikaners Ricardo Pepi nahm Züge an, als hätte der Klub Kylian Mbappé an Land gezogen. Pepi hier, Pepi da. Der legendenumrankte amerikanische Markt schien fest in FCA-Hand. Pepi übrigens wartet noch immer auf seine erste Torbeteiligung in der Bundesliga. In den jüngsten beiden Spielen saß er nur auf der Bank.

VfB Stuttgart (19 Punkte)

Keiner der Klubs im Tabellenkeller bekommt die Härte des Abstiegskampfes mit solcher Wucht zu spüren wie der VfB Stuttgart. Verletzungen, komische Schiedsrichterentscheidungen und das ganz normale Pech noch obendrauf. So wie vor einer Woche, als der VfB gegen den Konkurrenten Bochum bis in die Nachspielzeit wie der Sieger aussah.

Dann erwischte Konstantinos Mavropanos seinen Gegenspieler Sebastian Polter im eigenen Strafraum an der Hacke, es gab Elfmeter und statt drei Punkten für die Stuttgarter nur noch einen. Einige Spieler weinten anschließend.

„Wer ist nicht am Boden zerstört?“, fragte Trainer Pellegrino Matarazzo. Und da wusste er noch nicht einmal, dass sein Stürmer Silas bis zum Ende der Saison ausfallen würde. Es ist, als hätten sich alle und jeder gegen den Klub verschworen, der inzwischen seit acht Spielen ohne Sieg ist und davon sechs verloren hat. Was bleibt da noch? Wohl nur Trotz. Matarazzo jedenfalls findet es „überragend, wie die Mannschaft nach all den Rückschlägen zusammenrückt, zusammenhält und kämpft. Ich spüre eine Mannschaft, die lebt.“

Greuther Fürth (13 Punkte)

Es ist wirklich bewundernswert, welchen Wandel die Spielvereinigung Greuther Fürth hinter sich hat: vom leichten Opfer zu einem satisfaktionsfähigen Mitglied der Liga. Für den Klassenerhalt kommt der Aufschwung wohl trotzdem ein bisschen zu spät. Dazu ist der Aufsteiger einfach zu schlecht in die Saison gestartet (ein Punkt aus den ersten 14 Spielen).

Und doch können die Fürther im Abstiegskampf noch eine gewichtige Rolle spielen: als höchst unangenehmer Gegner für alle Klubs da unten, die noch gegen sie antreten müssen. Als da wären: Bochum, Gladbach und Augsburg. Hertha BSC hat es zum Glück schon hinter sich.

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