Noch einmal in der Startelf: Hertha BSC bedauert den Abschied von Sami Khedira
Obwohl er wenig gespielt hat, hat Sami Khedira einen wichtigen Beitrag zum Klassenerhalt von Hertha BSC geliefert - als Führungsfigur neben dem Platz.
Auf den ersten Blick hat Hertha BSC nicht allzu viel Glück gehabt mit Spielern, die als Weltmeister nach Berlin gekommen sind. Rainer Bonhof, Weltmeister von 1974, war in der Saison 1982/83 so ausdauernd verletzt, dass er nur sechs Spiele für die Berliner in der Fußball-Bundesliga bestritten hat und anschließend seine Karriere beendete.
Luizao, 2002 mit Brasilien Weltmeister, hat in Herthas Vereinsgeschichte ebenfalls keine allzu tiefen Spuren hinterlassen. Gemessen am Getöse rund um seine Verpflichtung war der Ertrag eher überschaubar. In zwei Spielzeiten kam der Mittelstürmer auf lediglich 26 Einsätze für Hertha, erzielte dabei vier Tore.
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Auch bei Sami Khedira fallen die nackten Zahlen eher dürftig aus. Von vierzehn möglichen Spielen seit seiner Verpflichtung im Winter hat er acht bestritten, kein einziges davon über 90 Minuten. Es hat hier gezwickt und da gezwickt, auch am vergangenen Samstag, als Hertha durch ein 0:0 gegen den 1. FC Köln den Klassenerhalt perfekt gemacht hat, saß Khedira mal wieder nur als Zuschauer auf der Tribüne. Und trotzdem fallen die Elogen zu seinem Abschied von Hertha BSC und dem Ende seiner titelgesättigten Karriere mehr als nur pflichtschuldig wohlwollend aus.
„Der Mensch und Spieler Khedira hat Großartiges geleistet“, sagte Pal Dardai, Herthas Trainer. „Nicht nur sein Name war Weltklasse, sondern auch das, was er gemacht hat.“ In seinen besten Tagen als Fußballer war Khedira ein Sechser, der seine Mannschaft mit seiner selbstlosen Art zusammengehalten hat, der ihr Stabilität und Sicherheit verliehen hat. Das hat der inzwischen 34-Jährige auch bei Hertha getan, zwar nicht unbedingt auf dem Feld, dafür neben dem Platz. „Sportlich konnte er nicht so viel helfen“, sagte Dardai. „Aber er war mein verlängerter Arm in der Kabine.“
Denn Herthas Mannschaft, die den Namen lange nicht verdiente, brauchte vor allem eine ordnende Hand, eine echte Autorität. Eine solche war Khedira – dank seiner Professionalität, seiner Vita und seiner Erfolge. „Er hatte vom ersten Tag an einen großen Zugriff auf alle Spieler. Sie haben ihm zugehört", berichtete Herthas Sportdirektor Arne Friedrich.
Vor 14 Jahren gewann er den ersten Titel
Vielleicht hat Khedira den Mittwoch bewusst gewählt, um das Ende seiner Zeit als aktiver Fußballer bekannt zu geben. Auf den Tag genau 14 Jahre zuvor, am 19. Mai 2007, ist er mit dem VfB Stuttgart Deutscher Meister geworden. Es war der erste Titel seiner Karriere, dem noch viele weitere folgen sollten: Meisterschaften und Pokalsiege mit Real Madrid und Juventus Turin, der Triumph in der Champions League und natürlich der WM-Titel 2014 in Brasilien.
In Berlin feierte Khedira zumindest noch den erfolgreichen Klassenerhalt, die Meisterschaft des kleinen Mannes. „Sami ist in einer schwierigen Phase zu uns gekommen und hat einen großen Anteil daran, dass wir in der Klasse geblieben sind – vor allem durch seine Leadership-Qualitäten“, sagte Sportdirektor Friedrich, der Khedira schon aus der gemeinsamen Zeit in der Nationalmannschaft kannte und wohl den entscheidenden Anteil an seiner Verpflichtung hatte. „Er ist einer der professionellsten Sportler, die ich erlebt habe, ein absoluter Vollprofi. Für unsere Mannschaft war er extrem wichtig. Ich bin froh, dass wir ihn hier hatten.“
Friedrich hätte Khedira gern zum Weitermachen bei Hertha BSC animiert. Am Dienstag wollte er mit ihm im Quarantäne-Hotel über diese Möglichkeit sprechen. Doch noch bevor er seine Idee vortragen konnte, eröffnete ihm sein früherer Mitspieler, dass es keine Fortsetzung geben werde, nicht bei Hertha und auch bei keinem anderen Verein. Durch Khediras Abschied verliert Herthas Team viel Erfahrung. Ob und wie der Klub das kompensieren will – diese Frage werden die Entscheidungsträger in den Wochen nach dem Saisonfinale analysieren und beantworten müssen.
Interesse an Dorsch und Weiser?
Spätestens ab dem 1. Juni, wenn der neue Sportvorstand Fredi Bobic seine Arbeit aufnimmt, werden die Planungen für die neue Saison entscheidend vorangetrieben. Der „Kicker“ berichtet in seiner aktuellen Ausgabe, dass sich Hertha für das defensive Mittelfeld mit Niklas Dorsch, 23, beschäftige, der in der Jugend des FC Bayern München ausgebildet wurde und vor einem Jahr vom Zweitligisten Heidenheim für 3,5 Millionen Euro zu KAA Gent nach Belgien gewechselt ist. Auch an einer Rückkehr von Mitchell Weiser aus Leverkusen soll Interesse bestehen. Mit Matheus Cunha, über dessen Weggang bereits spekuliert wird, hat Hertha den ohnehin bis 2024 laufenden Vertrag heimlich, still und leise um ein Jahr verlängert.
Ziemlich leise wird coronabedingt auch das Ende der Karriere von Sami Khedira ausfallen. Immerhin darf er am Samstag im leeren Stadion in Sinsheim zum Abschied noch einmal von Anfang an für Hertha auflaufen. Trainer Dardai hat ihm schon vor einer Woche einen Startelfeinsatz im Auswärtsspiel bei der TSG Hoffenheim in Aussicht gestellt – unabhängig davon ob die Mannschaft zu diesem Zeitpunkt schon gerettet sein würde oder noch um den Verbleib in der Bundesliga hätte zittern müssen. „Natürlich will ich von Anfang an spielen und alles geben“, hat Sami Khedira gesagt. „Solange wie ich kann.“