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Der Schalker Michael Büskens (vorne) versucht sich vergeblich gegen Sixten Veit (Hertha BSC, links) durchzusetzen.
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Hertha BSC und der FC Schalke 04: Die Geschichte einer einseitigen Rivalität

Die Fans von Hertha BSC verachten Gelsenkirchen oder Ge-Buer, wie sie sagen. Doch die Anhänger von Schalke 04 lässt das völlig kalt. Die Geschichte einer einseitigen Rivalität.

Drei Männer sitzen an einem Tisch und trinken, Teupitzer Klause in Berlin-Neukölln, Eckkneipe, Fankneipe, gut verraucht. Sie reden über die Liebe und den Hass. Das mit der Liebe ist leicht, die Liebe ist die Hertha. Das war schon immer so, wird sich nie ändern. Das mit dem Hass ein wenig komplizierter: Es fängt ja schon mit dem S-Wort an, das eigentlich ein Sch-Wort ist. Die Männer würden es niemals in den Mund nehmen, dieses Sch-Wort, und wenn doch, kostet es jedes Mal fünf Euro Strafe, sagt Helmut.

Helmut, 59 Jahre alt, Kapuzenjacke und immer ein bisschen aufgeregt, kann sehr schnell reden, wenn er etwas klarstellen will. Und gerade redet er sehr, sehr schnell. So schnell, dass die Worte in seinen Sätzen übereinander stolpern. Aber es geht ja jetzt auch um eine große Sache. Es geht um den Feind. Helmut heißt eigentlich Helmut Friberg, 59 Jahre alt, Frührentner. Aber hier, in der Teupitzer Klause, tun Berufe und Krankheiten nichts zur Sache, Nachnamen sowieso nicht, hier wird gnadenlos geduzt; es zählen andere Dinge, zum Beispiel das: Helmut, Dauerkarteninhaber seit 1984, Block 31.1, Reihe 7, Platz 5.

Also, Männer, wie nennt ihr euren Feind?

Manne verschränkt die Arme vor seinem großen Bauch. Er heißt eigentlich Manfred Sangel, 55 Jahre alt, Abteilungsleiter in einer Zeitarbeitsfirma, noch wichtiger aber: Moderator des Hertha-Fanradios, Dauerkarteninhaber seit 1984, Block 31.1, Reihe 6, Platz 8. Manne redet sehr langsam, mit der Gravitas eines Alt-Kanzlers, er ist nie aufgeregt. Er sagt: „Wir sagen Gelsenkirchen oder Ge-Buer.“ Was Manne nicht sagt: Oft sagen sie Drecksverein.

Steffen, Vermögensberater bei der Berliner Sparkasse, nickt und schweigt und staunt. Es ist für ihn nicht leicht, in dieser Runde zu Wort zu kommen. Steffen heißt eigentlich Steffen Toll, er trägt Fan-Shirt und Jeans, er trinkt Fassbrause. Steffen ist 42 Jahre alt, viel zu jung, um damals schon dabei gewesen zu sein, als das mit der Rivalität zwischen Hertha BSC und dem FC Schalke 04 begann. Er hat die Rivalität von Helmut und Manne geerbt. Wenn man es denn überhaupt Rivalität nennen kann.

Grundlagen einer Rivalität

Rivalen können nur dann Rivalen sein, wenn sie sich gegenseitig als Rivalen anerkennen. Und das ist das Problem mit der Fanfeindschaft zwischen Hertha BSC und dem FC Schalke 04. Die Herthaner hassen die Schalker, also: Gelsenkirchener. Nur: Den Schalkern ist das vollkommen egal.

Nachfrage bei Fanklubs in Gelsenkirchen. Große Ratlosigkeit. Gleichgültigkeit als schlimmste Form der Demütigung. Harald Grewe vom „Bezirk 7 Mythos Ostwestfalen“ sagt: „Ich habe noch nie von einer Rivalität zwischen Hertha und Schalke gehört. Ich kenne auch niemanden, der sich mit Hertha beschäftigt, ich kenne nicht mal einen Hertha-Fan.“ Frank Arndt vom Schalker Fan-Club Verband e.V. sagt: „Keine Ahnung, was die gegen uns haben. Hertha war für uns nie was Besonderes. Wir haben ja schon Dortmund und Essen.“ Markus Mau, der Leiter des Schalker Fanprojekts, sagt: „Ich glaube, vielen Schalke-Fans tun die Herthaner leid. Hertha bietet nicht viel, vor allem nicht viel Angriffsfläche. Das ist eine einseitige Rivalität. Sie wirken sehr verzweifelt.“

Im Grunde ist dieser unerwiderte Hass tragisch. Helmut und Manne und Steffen wissen das. Aber, nun ja, was sollen sie tun? Sie haben es sich ja nicht ausgesucht. Liebe ist keine Entscheidung. Männer, was hasst ihr so an den Gelsenkirchenern?

Helmut sagt: „Das ist eine lange Geschichte, die Jungen wissen das ja gar nicht mehr.“ Er faltet einen Zettel auseinander, er hat sich alles aufgeschrieben, weil er immer alles aufschreibt. Jedes Spiel, das er besucht hat, 580 Auswärtsspiele in den vergangenen 44 Jahren, Freundschaftsspiele nicht mitgezählt.

Augen zu und durch: Der Schalker Mike Büskens (l.) scheint nichts von der einseitigen Rivalität zwischen Hertha BSC und dem FC Schalke 04 zu wissen - und zwingt den Berliner Andreas Thom zum freundschaftlichen Handschlag.
Augen zu und durch: Der Schalker Mike Büskens (l.) scheint nichts von der einseitigen Rivalität zwischen Hertha BSC und dem FC Schalke 04 zu wissen - und zwingt den Berliner Andreas Thom zum freundschaftlichen Handschlag.
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Der ganz, ganz große Ursprung der Rivalität

Helmuts Geschichte hat mit einem ungarischen Genie zu tun und mit einem Geldkoffer, mit Bestechung und Berufsverboten, sie beginnt am 13. Dezember 1971. Hertha spielte gegen Schalke, erste Runde im DFB-Pokal, und gewann 3:0, an zwei Toren war Zoltan Varga, der ungarische Spielmacher, beteiligt. Manne war damals im Stadion, mit seinem Vater, ein Steppke mit Fanschal, kurz vorm Durchbruch zum Halbstarken.

Das Problem war nur: Varga hätte nicht mitspielen dürfen, er war wegen Bestechlichkeit gesperrt, weil er nicht nur Genie, sondern auch ein Betrüger war und während des Bundesligaskandals 15 000 Mark angenommen hatte, einen Koffer voll Geld. Genauso wie 14 andere Hertha-Spieler und 14 Schalker auch. Schalke legte Einspruch gegen das Spiel ein, fünf Wochen später wandelte das DFB-Sportgericht den Sieg in eine Niederlage um, plötzlich stand ein 0:2 in der Statistik , Schalke wurde später Pokalsieger. Die Herthaner haben den Schalkern das nie verziehen. Zumal sie das Gefühl hatten, niemand sei wegen des Bundesligaskandals so hart bestraft worden wie sie. Erst recht nicht die Schalker, von denen einige vor Gericht sogar einen Meineid geschworen hatten. Manne sagt: „Das ist der ganz, ganz große Ursprung, das leben nur noch die Alten.“

Es sind zwei Generationen, die am Tisch sitzen: Steffen, Dauerkarteninhaber seit 1997, Ostkurve, Reihe 7, ist Vorstandsvorsitzender des „Förderkreises Ostkurve“, des größten Hertha-Fanklubs überhaupt, 1000 Mitglieder, Choreografien faszinieren ihn beinahe mehr als das Spiel. Manne und Helmut hingegen, die in ihrem Leben sechsmal ab- und sechsmal wieder aufgestiegen sind, faszinieren die großen Siege und die großen Niederlagen. Wobei nicht immer klar ist, was sie mehr fasziniert, die Siege oder die Niederlagen. Sie erzählen von den achtziger Jahren, als Hertha in die Amateurliga abstieg und im Ruhrgebiet gegen Erkenschwick und Remscheid und Lüdenscheid spielte und die Gelsenkirchner immer schon da waren. Dann gab es Stress. Manne und Helmut, Männer, die gern sentimental werden, Zeitzeugen auch.

Niemals 0,4!

Der Wirt, gut verwittertes Nikotingesicht, tritt jetzt an den Tisch: „Wollt ihr noch was?“ Manne sagt: „Noch ein Bier.“ Der Wirt fragt: „0,4?“ Manne sagt: „0,4? Niemals 0,4! Nullvier ist dieser Drecksverein.“ Manne bestellt stattdessen noch ein 0,3, das dritte, Biertulpe mit Goldrand, Berliner Kindl, natürlich.

Steffen darf jetzt auch mal was sagen. Steffen sagt, es ist wie ein Fluch. Er gucke manchmal den ganzen Tag nicht auf die Uhr, dann aber ausgerechnet um 19.04 Uhr. Oder einmal, als er mit seiner Ex-Freundin shoppen war, standen er und sie vor den Umkleidekabinen, sechs Stück, alle leer. Und was macht seine Freundin? Steuert zielgerichtet auf die Kabine mit der 04 zu. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“, sagte er. Sie schaute ihn nur ungläubig an. Großes Gelächter in der Runde. Gut gemacht, Steffen.

Steffen wird jetzt mutiger, er widerspricht sogar Manne. „Das mit den Gelsenkirchenern ist in der breiten Masse angekommen, auch bei den Jungen.“ Wenn der Capo „Wir sind die Blauen, wir sind die Weißen, wir sind diejenigen, die auf die Schalker scheißen“ singe, dann stimme die ganze Kurve mit ein. Und als damals Huub Stevens kam, habe es große Proteste gegeben. Es war keine leichte Zeit für Stevens, er war ein Schalker und dann auch noch ein Holländer. Den Spielern wie Lewan Kobiaschwili und Peer Kluge haben die Herthaner ihre Gelsenkirchener Vergangenheit nachgesehen, aber Stevens, dem Schalker Jahrhunderttrainer, nicht. Letztlich scheiterte er auch deshalb in Berlin.

Schlussfrage zum Abschied. Der Wirt schreibt die Rechnung. Stört es euch nicht, dass der Hass nicht erwidert wird?

Manne sagt: „Nö, das ist mir scheißegal.“

Helmut sagt: „Das spielt keine Rolle. Der Fußball lebt ja von der Rivalität.“

Steffen sagt: „Das gehört zur Identifikation mit dem Verein, sonst wird alles austauschbar.“

Und vielleicht ist es ja tatsächlich so einfach: drei trinkende Männer in einer Eckkneipe. Drei Männer, die wissen, dass Liebe manchmal auch bedeutet, die Richtigen zu hassen.

Von Kalkutta über Kroatien bis nach Kairo: Lars Spannagel und Matthias Klappenbach haben im Jahr 2009 in ihrem Artikel Rivalen bis in alle Ewigkeit Geschichten von ganz besonderen Derbys aufgeschrieben. Sehr Lesenswert.

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