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Ooch dabei jewesen? Januar 1990, Olympiastadion, Hertha spielt gegen Union.
© picture alliance / dpa

25 Jahre nach dem Spiel im Januar 1990: Hertha BSC gegen 1. FC Union - "Warste ooch dabei?"

Es war ein Fußballspiel der Kategorie: „Weeßte noch?“ Vor 25 Jahren spielten Hertha und Union erstmals gegeneinander. Es wurde ein großes Ost-West-Fanfest, mit Intershop, Trabi und Ost-Mark. Woran erinnern Sie sich?

Als Manfred Sangel aufwacht – es ist ein bitterkalter Sonntag, 28. Januar 1990 – muss er erst mal nachdenken. Was, bitte, war das nur für ein irrer Tag gestern? Es war ein 24-Stunden-Streifen, kurzweilig wie ein Hollywood-Film, vollgestopft mit kleinen Geschichten und immer neuen Höhepunkten, die am Ende etwas ganz Großes ergeben haben.

„Es war ein sehr, sehr beeindruckender Tag“, sagt Manfred Sangel also 25 Jahre danach. „So, so … so unwirklich.“ Und wenn Sangel die Worte fehlen, muss das was heißen: Seit 1989 ist er Chef vom Fanradio „Hertha-Echo“, er kann reden.

Am Kiosk in seinem Schöneberger Crellekiez liegt an jenem 28. Januar 1990 der „Tagesspiegel“ aus. Schwarz-weiße Textwüste, zwei grobkörnige Fotos von Fußballfans („eine Kulisse wie beim Länderspiel“), dazu die etwas biedere Zeile: „Rundum nur Gewinner beim Berliner Fußball-Familienfest“.

Fünf Mark (Ost), fünf Mark (West) - das Geld ging an Krankenhäuser in der DDR

An jenem Tag zuvor hatte Hertha BSC gegen den 1. FC Union gespielt, im ollen Olympiastadion, das damals noch kein schmuckes Dach hatte und aus Ost-Berliner Perspektive schon verdammt weit draußen lag, irgendwo bei Spandau. Es war nur ein Freundschaftsspiel, aber eines der großen Traditionsklubs aus Ost und West. Mehr als 50.000 Zuschauer kamen ins Stadion; die Karten kosteten fünf Mark – egal, ob DM oder Ost-Mark. Die Bundespost war Hauptsponsor des Spiels. Die spendierten nicht nur gelbe Mützchen, sondern reichten das Geld aus dem Ticketverkauf weiter an die Krankenhäuser in der DDR, die sich davon neues Equipment besorgen sollten.

Dieses Ost-West-Spiel war eines jener Ereignisse im nicht gerade ereignisarmen Berlin jener Wintertage 89/90. Kategorie: „Weeßte noch?“ – „Warste ooch dabei?“ – „Hertha oder Union?“

Die Frage nach dem oder stellte sich damals im Januar 1990 gar nicht, denn die beiden Fanlager waren ein bisschen verknallt ineinander. Und das lag auch am Grenzbahnhof Friedrichstraße. Da gab es „Intershop“-Läden auf DDR-Gebiet, die zwei Vorzüge für West-Berliner hatten: billige Zigaretten und billigen Schnaps. Hertha-Fan Manfred Sangel, heute 55 Jahre alt, kann sich nicht nur an steuerfreie West-Markenware erinnern, sondern auch an „Panzerwasser“ – „billigster Korn, den kein Mensch freiwillig getrunken hat“, außer den Hertha-Fans vielleicht, die damals eh einen mehr als rauen Ruf hatten in der Zweiten Liga.

Jedenfalls standen die aufgekratzten Anhänger schon lange vor dem Mauerfall oben in der großen Halle (dort fuhren die S-Bahnen nach West-Berlin; heute halten hier Regionalbahnen) und sangen Fanlieder des 1. FC Union, einem Verein, der bei der Stasi nicht wirklich beliebt war. Die fand eher den BFC Dynamo unterstützenswert. Die Union-Fans wiederum standen getrennt durch eine Wand in der kleineren Bahnsteighalle – wo heute die S-Bahn fährt – und hörten die Gesänge aus dem Westen. Verbrüderung mit dem Klassenfeind vor den Augen der Stasi – unerhört, also wirklich! Die Fans lachten sich über ihre kleine Provokation schlapp.

Die Fanfreundschaft sollte nicht ewig halten, aber das ist eine andere Nachwendegeschichte. An diesem Januartag 1990 jedenfalls bestand sie. Ulkigerweise erinnert sich Sangel nur an eins noch ganz genau: „Ich stand wie immer vor Hertha- Spielen vor dem Olympiastadion, starrte auf den Parkplatz – und diesmal schmeckte ich diesen typischen Trabi-Geruch.“ Anpfiff sollte um 14.30 Uhr sein.

Die Anreise zum Stadion war kompliziert. Die S-Bahn raus nach Spandau lag seit dem Reichsbahner-Streik 1980 brach; und die U-Bahnlinie U2, wie wir sie heute kennen, rollte auch noch nicht. Die Züge zum „Olympia-Stadion“ fuhren am Schlesischen Tor los, die Linie hieß U1. Die Ost-West-Strecke der heutigen U2 war unterbrochen – dort schwebte die drollige Magnet-Bahn durchs Niemandsland. Deshalb blieb nur der Trabi raus nach Westend. „Der Klassiker“, sagt Sangel. „Die Familie stieg am Ku’damm aus, Papa fuhr weiter zum Stadion.“

Dort wehten die rot-weißen Union-Fahnen schon zu West-Berliner Mauerzeiten. Denn auch im Fanclub von Sangel gab es zwei Jungs, die zuvor aus der DDR abgehauen waren und in der westlichen Stadthälfte einfach Hertha anfeuerten. „Eisern Union!“, riefen sie draußen in Köpenick. „Eisern Berlin!“, riefen die mehr als 50.000 Fans im Januar 1990.

100 Fans des BFC Dynamo stänkerten - sie wurden von der Polizei beschützt

Wenige Tage zuvor hatte es schon ein kleines Hallenturnier gegeben mit Hertha und Union, in der charmanten Werner-Seelenbinder-Halle am S-Bahnhof Leninallee, die dann allerdings den Olympia-Bemühungen der Stadt zum Opfer fiel. Das stand übrigens an jenem 28. Januar 1990 auch im Tagesspiegel: „Die Olympia-Machbarkeitsstudie des Senats ist gebilligt.“ 25 Jahre später steht dort das Velodrom – und Berlin gibt mal wieder eine Bewerbung ab. Und der S-Bahnhof dort heißt heute nicht mehr Lenin-, sondern Landsberger Allee.

Im Laufe jenes Januartags vor großer Stadionkulisse musste die West-Berliner Polizei 100 Fans des Mielke-Klubs BFC Dynamo eine Viertelstunde vor Abpfiff aus dem Stadion geleiten, weil Herthaner und Unioner „Stasi raus!“ brüllten und mit den Fäusten nicht nur drohen wollten.

Das Spiel endete schließlich 2:1 für Hertha, es war ein Ost-West-Fest, das in vielen Pinten in die Verlängerung ging, bei „Engelhardt“ und „Panzerwasser“.

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