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Derby
© AFP

Fußball-Derbys: Rivalen bis in alle Ewigkeit

Schalke gegen Dortmund? Liverpool gegen Everton? Celtic gegen Rangers? Diese Derbys sind außergewöhnlich. Aber was sind sie schon gegen die unsterblichen Duelle von Kairo und Kalkutta? Eine Reise um die Welt.

In Portugal spielen an diesem Wochenende Sporting Lissabon gegen Benfica Lissabon und Boavista Porto gegen den FC Porto, in Spanien trifft der FC Barcelona auf den Ortsrivalen Espanyol. Und weil man für das, was man Derby nennt, nicht aus dem gleichen Ort kommen muss, gilt in Kroatien auch das Spiel zwischen den Topklubs Dinamo Zagreb und Hajduk Split als ein solches, obwohl 400 Kilometer zwischen ihnen liegen. Aber da auch in Deutschland viele Spiele räumlich weit auseinander liegender Klubs seltsamerweise als „Ostderby“ bezeichnet werden, ist man hier nicht kleinlich – denn entscheidend ist die Rivalität.

Hajduk Split – Dinamo Zagreb

Zum 174. Mal schon findet das „Vjecni Derbi“ (das ewige Derby) statt, dabei gab es das erste erst 1946, im Gründungsjahr Dinamos. Im sozialistischen Jugoslawien hatten die beiden Klubs hinter Partizan Belgrad und Roter Stern Belgrad (was für ein Derby!, auch die spielen am Samstag in der serbischen Liga gegeneinander) nicht viel zu melden, aber seit 1992 wurde Dinamo zehnmal Kroatischer Meister. Im Moment führt Dinamo mit einem Punkt vor Hajduk die Tabelle an, der Dritte NK Sibenik liegt zehn Zähler zurück. Die vor sich hin dümpelnde kroatische Liga hat wenige Zuschauer und viele Probleme, und sie hat nur diesen einen Höhepunkt. Das Spiel ist auch ein großes Duell der radikalen Fangruppen. Die „Bad Blue Boys“ von Dinamo und Hajduks „Torcida“ erarbeiten mit viel Einsatz beeindruckende Choreografien. „Ich habe in Brasilien schon einiges erlebt, aber was unsere Fans veranstalten, lässt mir einen wohligen Schauer über den Rücken laufen“, sagte einmal Eduardo da Silva, der lange für Dinamo spielte und heute beim FC Arsenal unter Vertrag steht. Mit welchem Ernst für ihren Klub und welchem Hass gegen die anderen die Fans zu Werke gehen, zeigt die Gewalt, die zu diesem Derby gehört. Vor einem Jahr brachte ein 26-Jähriger zum Derby gar eine Bombe mit, bei deren Explosion fünf Menschen verletzt wurden. Er selbst verlor zwei Finger.

Cruzeiro – Atletico Mineiro

Gewalt kennt Eduardo da Silva auch aus Brasilien, von wo am vergangenen Wochenende die Nachricht kam, dass Fans von Cruzeiro Belo Horizonte von fahrenden Motorrädern aus in eine Menschenmenge schossen. Ein Fan des Ortsrivalen Mineiro starb. Diese Tragödie erinnerte an eine, die sich 1994 beim ältesten und bekanntesten Derby Südamerikas, dem zwischen Boca Juniors und River Plate in Buenos Aires, ereignete. Nachdem Boca 2:0 gewonnen hatte, wurden zwei River-Fans erschossen, und am nächsten Tag prangte in Buenos Aires an einer Hauswand der Schriftzug „Empatamos“, was so viel bedeutet wie „wir haben ausgeglichen“. Die jüngste Tragödie in Brasilien war wegen diverser Internetdrohungen in gewisser Weise sogar absehbar. Die ohnehin große Rivalität zwischen Cruzeiro Belo Horizonte und Atletico Mineiro besteht, obwohl sie sehr viele Gemeinsamkeiten haben. Oder gerade deswegen. Zu großen Gegnern wurden sie ab 1956, als sie sich den Titel der Regionalmeisterschaft teilen mussten. Die Rivalität steigerte sich, als 1965 das große Estadio Mineirao gebaut wurde, in dem beide Klubs bis heute spielen. Und sogar die Maskottchen der beiden Teams sollen von demselben Cartoonisten zum selben Zeitpunkt entworfen worden sein. Freundschaft hat auch das nicht gebracht, das Stadtderby von Belo Horizonte hat eine alles überragende Bedeutung und im Laufe der Jahre schon viele Trainer direkt den Job gekostet. So auch die aktuellen Coaches der Teams, Levir Culpi und Paulo Autuori. Ersterer war schon 1999 Trainer von Cruzeiro und wurde nach dem Ausscheiden gegen Atletico im Viertelfinale der heimischen Meisterschaft entlassen. So erging es ein Jahr später Autuori, der nach einer Niederlage gegen Atletico im Campeonato Mineiro gehen musste. Was für Trainer gilt, trifft auf Spieler nicht unbedingt zu: Für Cruzeiros Ricardinho war es am vergangenen Wochenende bereits sein 29. Derby. Dabei hatte er zuletzt fünf Jahre in Japan gespielt.

Mohun Bagan – East Bengal FC

Auch im heftigsten Monsun, der das Spielfeld in eine Matschwüste verwandelt: Wenn die beiden besten Mannschaften Kalkuttas aufeinandertreffen, vergessen 120 000 Inder ihre Leidenschaft für Cricket und bringen die „Sportstätte der indischen Jugend“, das Yuba-Bharati-Krirangan-Stadion, zum Kochen. An diesem Sonntag ist es wieder so weit, bisher hat East Bengal 108 Mal gewonnen, Mohun Bagan ging 80 Mal als Sieger vom Platz. Der Ausgang des Spiels hat großen Einfluss darauf, was am nächsten Tag auf den Fischmärkten der Stadt verkauft wird: Traditionell feiern die Mohun-Bagan-Fans ihre Triumphe mit einem Krabben-Festessen. Gewinnt East Bengal, wird der Hilsa-Fisch auf den Märkten knapp.

Universidad de Chile – Colo Colo

Oft hat die Rivalität bei Derbys noch ganz andere Gründe, so wie bei Colo Colo gegen Universidad de Chile in Santiago. Colo Colo ist Chiles populärster Klub. Er trägt den Namen eines Mapuche-Häuptlings, der einst gegen die spanischen Kolonalisierer gekämpft hat. Viele seiner Titel gewann dieser Klub in der Zeit, als Chiles Diktator Augusto Pinochet sein Ehrenpräsident war, zu dem er nach seiner Machtergreifung 1973 wurde. Sein größter Rivale ist der CF Universidad de Chile, ein 1927 von Studenten gegründeter Klub mit vielen Anhängern aus der Mittelklasse. Der Legende zufolge begann die Rivalität schon 1940, als Colo Colo 1:0 gegen Universidad gewann und ein Spieler Colo Colos einen von Universidad als Strafe für ein Foul ohrfeigte. Es gibt viele aufgeheizte Derbys, die sich eigentlich auf solche uralten Anekdoten gründen. Das große Derby von Universidad de Chile war bis zu Pinochets Zeit aber eigentlich das gegen das als elitär verschriene Universidad Catolica, bis sich das in den Siebzigerjahren aus politischen Gründen änderte. Universidad de Chile hat heute noch mehr linksgerichtete Anhänger, die das Estadio Monumental von Colo Colo, bei dessen Besuch man direkt an einem früheren Folterzentrum der Diktatur vorbeikommt, bis heute als Pinochet-Stadion bezeichnen.

Persepolis – Esteghlal F.C.

Schon Tage vor diesem Spiel sind weite Teile der 13-Millionen-Einwohner- Stadt Teheran in Blau und Rot getaucht, auf den Basaren gibt es kein anderes Thema. Das Derby versetzt den ganzen Iran in Ausnahmezustand, seit 1995 werden ausländische Schiedsrichter eingesetzt, um Bestechungsvorwürfe zu vermeiden. Trotzdem brach im Jahr 2000 eine Schlägerei auf dem Spielfeld aus, in dessen Folge Fans der beiden Klubs mehr als 250 Busse verwüsteten. Als Roland Koch, heute Assistenztrainer von Christoph Daum beim 1. FC Köln, in der Saison 2002/03 die Blauen von Esteghlal betreute, sah er sich beim Derby einem geteilten Stadion gegenüber: Die Hälfte der Zuschauer war in Blau erschienen, die andere Hälfte in Rot – mehr als 80 000 Fans warteten schon vier Stunden vor dem Anpfiff darauf, dass es endlich losginge. „Die Stadtmeisterschaft zählt fast mehr als die Landesmeisterschaft“, sagt Koch heute. In den Derbys geht es auf dem Platz härter zur Sache als in normalen Ligaspielen, die Spieler wissen, dass iranische Landsleute auf der ganzen Welt zusehen. Überall wo sich Iraner niedergelassen haben, wird das Spiel live per Satellit übertragen. „Dafür stehen die Menschen auch mitten in der Nacht auf“, sagt Koch. „Das lässt sich niemand entgehen.“ Im krassen Gegensatz zu dieser weltweiten Begeisterung standen die Arbeitsbedingungen, die Koch in Teheran vorfand: Sein Trainingsplatz beim FC Esteghlal hatte nicht einmal eine Umkleidkabine. Die Fußballer kamen mit Sporttaschen ans Spielfeld und zogen sich unter freiem Himmel um.

El Zamalek – Al-Ahly

Drei Jahre lang hatte der deutsche Trainer Rainer Zobel das Vergnügen, wichtiger Bestandteil des Derbys von Kairo zu sein. „Der Verkehr in der Stadt ist der helle Wahnsinn“, sagt Zobel, der Al-Ahly von 1998 bis 2000 trainierte. „Nur wenn das Derby läuft, sind die Straßen wie leergefegt.“ 1999 sieht Zobel eine Katastrophe nahen, als der französische Schiedsrichter einen Gegner schon nach vier Minuten vom Platz stellt und Zamaleks Trainer daraufhin als Protest seine Mannschaft vom Feld holt. Der Spielabbruch scheint die ohnehin aufgeladene Stimmung unter den mehr als 100 000 Fans explodieren zu lassen. „Ich habe nur gedacht: Was passiert jetzt?“, sagt Zobel heute. Zobel geht zu „seinen“ rund 60 000 Fans und verspricht ihnen über die Stadionlautsprecheranlage ein spontanes Trainingsspiel seiner Mannschaft, wenn sie nur im Stadion bleiben. Die Al-Ahly-Fans bleiben sitzen, Zobel borgt sich Fotografen-Leibchen, um seine Ersatzspieler auszurüsten und lässt 40 Minuten lang neun gegen neun spielen. Als die Fans das Stadion verlassen, sind die Anhänger des Gegners längst abgezogen und die Krawalle abgewendet. „Meine Aktion klingt vielleicht heldenhaft“, sagt Zobel. „Dabei wollte ich nur, dass meine Frau und meine beiden kleinen Kinder wohlbehalten nach Hause kommen.“

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