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Alle Augen auf Kiel. Am Dienstag (20.30 Uhr, Sky) will der 1. FC Union seine Aufholjagd mit einem Auswärtssieg beim Tabellenzweiten starten.
© Maurizio Gambarini/dpa

1. FC Union Berlin: „Auch in Familien gibt es Scheidungen“

Unions Geschäftsführer Sport Lutz Munack über den Start der zweiten Saisonhälfte am Dienstag in Kiel, die Aufstiegschancen, die spielerische Entwicklung und den Trainerwechsel.

Herr Munack, nach knapp drei Wochen Vorbereitung startet Union am Dienstag gleich mit einem richtungsweisenden Spiel gegen einen direkten Konkurrenten um den Aufstieg in die zweite Saisonhälfte. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass es bei Holstein Kiel besser läuft als vor der Winterpause?

André Hofschneider ist jetzt seit fast sieben Wochen im Amt. Das ist nicht viel, aber es ist ein Zeitraum, in dem man gut miteinander arbeiten kann, in dem sich Abläufe ändern, in dem Gespräche geführt werden können. Das hat der Trainer mit der Mannschaft sehr intensiv gemacht, vor allem im Trainingslager. Diese Zeit war sehr wertvoll, und dass wir Dinge ändern wollen, war ja auch in den zwei Spielen vor der Winterpause schon zu sehen. Aufgrund dessen bin ich optimistisch, was das Spiel in Kiel betrifft.

Nach Kiel geht es schon am Freitag zuhause gegen Nürnberg. Ist das schwere Auftaktprogramm ein Vor- oder Nachteil?

Für uns ist das gut. Es war schon in der Vorbereitung zu spüren, dass es im Training eine sehr hohe Intensität gibt. Es ist ja für einen Sportler immer ein Ansporn, gegen eine höher platzierte Mannschaft zu spielen

Die Hoffnungen auf den Aufstieg könnten bei weiteren Punktverlusten aber auch sehr schnell schwinden.

Unser Ziel ist es, gut zu starten. Das steht im Vordergrund. Dann werden wir sehen, ob und wie weit wir an die Aufstiegsplätze herankommen.

 Lutz Munack, 41, ist seit 2015 Geschäftsführer Sport des 1. FC Union. Zuvor leitete er das Nachwuchsleistungszentrum des Klubs. 2005 kam er als Jugendtrainer zu Union.
Lutz Munack, 41, ist seit 2015 Geschäftsführer Sport des 1. FC Union. Zuvor leitete er das Nachwuchsleistungszentrum des Klubs. 2005 kam er als Jugendtrainer zu Union.
© Matthias Koch

Das übergeordnete Ziel bleibt aber der Aufstieg?

Ja, es bleibt aber aufgrund des Trainerwechsels und des engen Zeitfensters erst mal nur übergeordnet. Wir haben in dieser Saison schon deutlich mehr Spiele verloren, als wir wollten.

Nächstes Jahr könnte es mit hochkarätigen Absteigern aus der Bundesliga schwieriger werden.

Das ist alles spekulativ und einen Aufstieg erzwingen kann man sowieso nicht. Wir werden mit unseren Möglichkeiten den bestmöglichen Kader zusammenstellen, um erfolgreich zu sein. Wir haben uns auf einem sehr guten Niveau stabilisiert und wollen uns jede Saison verbessern. Das ist uns jahrelang gelungen. Das kann aber keine endlose Geschichte sein. Es ist doch klar, dass jede Entwicklung auch die Möglichkeit von Rückschlägen in sich trägt. Wir wollen keine Rückschläge, aber das Bewusstsein ist da, dass es welche geben kann.

Befürchten Sie, dass ein verpasster Aufstieg einen Umbruch im Kader hervorrufen könnte?

Das werden wir sehen. Letzten Sommer haben wir die Entscheidung getroffen, unsere Leistungsträger zu halten. Auch in diesem Sommer werden wir eine Entscheidung treffen. Wie die ausfällt, kann ich heute nicht sagen. Sie sprechen von Befürchtungen. Ich sehe es eher andersherum. Sind wir nicht auch in der Pflicht zu überprüfen, welche Maßnahmen notwendig sind? Dann wären schließlich auch viele Spieler da, mit denen wir unser Ziel nicht erreicht hätten.

Haben Sie den aktuellen Kader vielleicht auch überschätzt?

Nein, das glaube ich nicht. André Hofschneider und Helmut Schulte ...

...der Leiter der Lizenzspielerabteilung und Kaderplaner ...

... tauschen sich immer wieder aus. Wir alle sind überzeugt von unserem aktuellen Kader.

Es ist also nach Lars Dietz nicht mit weiteren Neuzugängen zu rechnen?

Das Saison-Aus für Fabian Schönheim ist schon eine neue Situation, die es zu bedenken gilt. Im Transferfenster ist aber ohnehin viel zu viel Bewegung, um irgendetwas ausschließen zu können.

André Hofschneider hat einen Vertrag bis 2019. Was passiert, wenn die Rückrunde nicht so läuft, wie erhofft?

Die Entwicklung bei uns ging in den letzten Monaten in eine Richtung, die schlechte Ergebnisse geliefert hat. André Hofschneider soll diese Entwicklung umdrehen. Wir sind jetzt in einer Position, in der wir von anderen abhängig sind. Wir können unsere Spiele gewinnen und trotzdem nicht aufsteigen. Ebenso können wir in eine Phase kommen, in der es sich lohnt, bereits für die nächste Saison etwas Wertvolles aufzubauen. Meine Wunschvariante ist eine Andere.

Der Start war für ihn Anfang Dezember mit zwei Heimniederlagen sehr schwierig. Er hatte nach der Entlassung von Jens Keller kaum Zeit, mit der Mannschaft zu arbeiten. Wäre es auch für Hofschneider nicht besser gewesen, den Wechsel erst in der Winterpause zu vollziehen?

Wir waren von der Notwendigkeit des Trainerwechsels sehr überzeugt. Und ein Hintergrund war, dem neuen Trainer möglichst viel Zeit einzuräumen, vor allem mit dem Wissen, wie kurz die Winterpause und die Vorbereitung sind. Aufgrund der sportlichen Entwicklung in den Monaten davor waren wir in dieser Entscheidung sehr sicher. Natürlich hätten wir auch bis zur Winterpause warten können, aber es hätte einen weiteren Zeitverlust zur Folge gehabt.

"Wir haben viel bessere Voraussetzungen als vor ein paar Jahren"

Alle Augen auf Kiel. Am Dienstag (20.30 Uhr, Sky) will der 1. FC Union seine Aufholjagd mit einem Auswärtssieg beim Tabellenzweiten starten.
Alle Augen auf Kiel. Am Dienstag (20.30 Uhr, Sky) will der 1. FC Union seine Aufholjagd mit einem Auswärtssieg beim Tabellenzweiten starten.
© Maurizio Gambarini/dpa

Es gab nach dem Trainerwechsel eine große Diskussion, ob diese für viele sehr überraschende Maßnahme zu Unions Image passt. Wie sehen Sie das?

Die Werte in unserem Verein haben, so wie ich sie verstehe, viel mit Fußballkultur zu tun – mit einem Stadion, in dem gestanden und gesungen wird, in dem die eigene Mannschaft unterstützt und nicht ausgepfiffen wird. Da sehe ich überhaupt keinen Widerspruch. Ich finde es vollkommen in Ordnung, wenn diskutiert wird, warum ein Trainer gehen muss. Das gehört dazu. In einer Profimannschaft kann bei Spielern und Trainern die soziale Komponente bei solchen Entscheidungen aber nicht im Vordergrund stehen. Es wurde in diesem Kontext ja oft von Union als Familie geredet, aber auch in einer Familie streiten sich Menschen mal, manchmal lassen sich auch Menschen scheiden. Das finde ich nicht schön, das gehört zum Begriff Familie aber auch dazu. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir es schaffen, Kontinuität auf der Cheftrainerposition zu erlangen. Wir können das Leistungsprinzip aber nicht aushebeln.

Gab es direkte Rückmeldungen von Fans, was den Trainerwechsel betrifft?

Ja, ich habe mit vielen Fans gesprochen. Besonders von denen, die alle Spiele sehen und auswärts mitfahren, gab es Zuspruch. Von Menschen, die etwas weiter weg sind, die nicht alle Spiele verfolgen, gab es auch Überraschung und Ärger. Auch das kann ich nachvollziehen.

Union war schließlich Vierter und hatte zu dem Zeitpunkt die zweitbeste Punktebilanz der Vereinsgeschichte.

Statistiken und Bilanzen werden oft sehr unreflektiert verbreitet. Die Statistik unserer letzten acht Spiele der Saison 2016/2017 wurde erstaunlich selten erwähnt in diesem Zusammenhang. Wer sich Kader und Marktwerte in der Liga anguckt, weiß auch, was für Möglichkeiten bestehen, dann relativieren sich Ergebnisse. Wir haben heute viel bessere Voraussetzungen als noch vor ein paar Jahren. Lassen Sie mich ein Bild verwenden: Wenn ich auf der linken Spur lange gut gefahren bin, ich aber sehe, dass es sich staut und eine andere Spur ganz frei ist, habe ich zwei Möglichkeiten: auf der Spur bleiben oder die Spur wechseln. Wenn ich gerne im Stau stehe, ist es in Ordnung, die Spur zu halten. Wenn ich schnell ans Ziel kommen will, sollte ich vielleicht die Spur wechseln und das Auto in Bewegung halten.

Neben den Ergebnissen haben Sie die spielerische Entwicklung als Grund für den Trainerwechsel genannt. Was haben Sie dabei konkret gemeint?

In einer Kette von Spielen hat sich eine stagnierende bis rückläufige sportliche Entwicklung gezeigt. Uns hat vor allem eine Alternative zum Pressing und Umschaltspiel gefehlt. Viele Vereine haben die aktuelle Saison als eine Saison definiert, in der es als gewachsener Zweitligist eine realistische Chance gibt aufzusteigen, weil die vermeintlichen Schwergewichte fehlen. Es gibt also durchaus sieben, acht Mannschaften mit einer berechtigten Hoffnung aufzusteigen. Jeder Verein muss für sich bewerten, ob er seine Möglichkeiten ausschöpft. Das haben wir sportlich nicht getan. Weil wir es nicht geschafft haben – und das sage ich ganz positiv – trotz aller intensiven Arbeit des Trainerteams, eine Variabilität ins Spiel zu bekommen, das Spiel im Ballbesitz zu beruhigen und zu strukturieren. Ich glaube aber, dass wir diese Option brauchen, um erfolgreich zu sein.

Sehen Sie in diesem Sinne schon Fortschritte unter André Hofschneider?

Die angesprochenen sieben Wochen wurden sehr intensiv genutzt. Ein verändertes Bild gab es bereits in der Liga gegen Ingolstadt zum Jahresende. Variabilität zeigt sich nicht nur an taktischen Änderungen.

So wie im letzten Testspiel gegen Ingolstadt am Mittwoch.

Das war ein sehr wertvolles Spiel, auch was die Bedingungen angeht. Die Mannschaft war eine Woche in Spanien bei besten Bedingungen. Und dann war es hier nass, kalt, rutschig. Alles Bedingungen, die uns in Kiel und in den kommenden Wochen erwarten. Als es angefangen hat zu schneien, habe ich mich sogar ein wenig gefreut. Eine bessere Generalprobe konnten wir nicht haben.

Obwohl Sie eine der wichtigsten Positionen im Verein bekleiden, treten Sie öffentlich kaum in Erscheinung. Warum eigentlich?

Die Mannschaft spielt Fußball und ein Fußballverein definiert sich hauptsächlich über sportliche Leistungen. Dahinter gibt es einen ziemlich großen, facettenreichen Bereich im Fußball. Da erkenne ich für mich persönlich nicht, dass es hilft, permanent mit Zitaten und Fotos vertreten zu sein. In vielen Vereinen wird diese Position anders interpretiert und das ist auch in Ordnung.

Das Gespräch führte Julian Graeber

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