Gastbeitrag | Debatte um Garnisonkirche: Warum kein „Kirchenschiff der Demokratie“?
Das Rechenzentrum und der Konflikt mit dem Kirchenbau werden seit Jahren kompromisslos ideologisch aufgeladen. Ein Gastbeitrag von Wieland Niekisch, Vorsitzender des Bauausschusses.
Der frühere CDU-Landtagsabgeordnete Wieland Niekisch ist langjähriger Stadtverordneter für die Union und aktuell der Vorsitzende des Bauausschusses.
Was ist ein Kompromiss? Eine Übereinkunft, bei der sich beide Seiten bewegen. Der Coup vom 7. Dezember 2021, den OB Schubert, der Vorsitzende der Stiftung zum Wiederaufbau der Garnisonkirche Huber und der Chef der Fördergesellschaft zum Wiederaufbau der Garnisonkirche (FWG) Dombert präsentiert haben, ist das Gegenteil, ein pures Zugeständnis:
Zwei Beteiligte, die kompromisslos das Rechenzentrum zu 100 Prozent erhalten wollen, OB Schubert und die Interessenvertreter der temporären Mieter, glauben, ihre Kompromisslosigkeit durchsetzen zu können. Die Stiftung zum Wiederaufbau der gesamten Kirche ist im Begriff, zu 100 Prozent nachzugeben und dabei gegen Stiftungsziel und Stiftungszweck zu verstoßen. Im Paragraf 2 ihrer Satzung steht: „Die Zwecke werden insbesondere dadurch verwirklicht, dass der Wiederaufbau des Kultur- und Baudenkmals Garnisonkirche Potsdam betrieben und dessen Nutzung als evangelische Kirche gewährleistet wird.“
Auch die Satzung der FWG formuliert: „Der Vereinszweck wird vorrangig verwirklicht durch die Förderung des Wiederaufbaus sowie der Erhaltung und der Nutzung der Potsdamer Garnisonkirche in enger Abstimmung mit der Stiftung Garnisonkirche Potsdam. Angesichts der Bedeutung, welche die Garnisonkirche als Kunst- und Kulturdenkmal, als Hauptwerk des preußischen Barocks, als bedeutender protestantischer Kirchenbau und als bestimmende Dominante des historischen Stadtbildes von Potsdam vor ihrer Zerstörung besaß und in der Erinnerung nach wie vor noch besitzt, ist der Wiederaufbau ein Anliegen von hohem nationalem und internationalem Rang.“ Kein Wort, dass das Kirchenschiff jemals zur Disposition gestellt werden könnte. Dem sind alle Kuratoriumsmitglieder verpflichtet, auch der OB.
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Am 26. Januar soll in der Stadtverordnetenversammlung der bestehende, friedensstiftende Kompromiss, der diesen Namen verdient, eliminiert werden: Nämlich die 2015 und 2018 beschlossenen temporäre Nutzungsdauer des mit 660.000 Euro Steuermitteln übergangsweise ertüchtigten Rechenzentrums – verbunden mit dem Bau von 8000 Quadratmetern subventionierter Ersatzfläche im neuen Kunst- und Kreativzentrum.
Dort stehen am Ende 3000 Quadratmeter mehr zur Verfügung. Mit der Fläche im Kultur- und Kreativzentrum hätte man dann 13.300 Quadratmeter für die Kreativwirtschaft: So viel wie die Nutzfläche des Europacenters in Berlin! Das Rechenzentrum und der Konflikt mit dem Kirchenbau werden seit Jahren kompromisslos ideologisch aufgeladen. Kompetente Gruppierungen wie die Nagelkreuzgemeinde, Mitteschön, Innenstadtvereine oder die FWG wurden und sind nicht am Prozess beteiligt. Was im Verfahren vorgesehen ist! Genau hier steckt das Demokratiedefizit. Das kann nicht in wenigen Tagen nachgeholt werden. Und die Entscheidung des Kuratoriums kann nicht als Zustimmung gelten.
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Die Stadtverordneten haben Beschlüsse gefasst, die dem überfallartigen Plan des OB zuwiderlaufen: den Bebauungsplan 1 „Plantage/Neuer Markt“, der die Baufeldfreimachung für den Wiederaufbau von Garnisonkirche und Plantage vorsieht. Dazu die Beseitigung des städtebaulichen Missstandes/Rechenzentrum als Sanierungsziel. Dazu die zweckgebundene Grundstücksübertragung für den gesamten Kirchenbau von 2010.
Der Verlängerungsbeschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 6. Juni 2018 sagt bindend zu, „dass die Nutzung des Verwaltungsbaus des Rechenzentrums zum 31.12.2023 spätestens endet“. Schon das von SPD, Grünen und Linken auf den Weg gebrachte „Vier-Phasen-Modell“ mit dem Ziel der möglichen Kompletterhaltung des Rechenzentrums widerspricht diesen Beschlüssen. Deswegen hat die CDU dagegen opponiert. Es gibt am 26. Januar keine demokratische Entscheidungsreife. Jetzt wird sich zeigen, ob die Stadtverordneten von SPD, Grünen und Linken selbstbewusst dem hastigen Druck von OB Schubert begegnen können.
Wie kommt man aus dieser kompromisslos mit 180 Kilometern pro Stunde befahrenen Sackgasse wieder raus? Bei den Nutzungsideen gibt es keine großen Differenzen. Man muss nur von den Maximalforderungen der Erhaltung des Rechenzentrums und dem Totalverzicht auf das Kirchenschiff kompromissbereit abrücken: Plenarsaal der Stadtverordneten, Festsaal der Stadt, Nutzung für Musik und bildende Kunst, auch kirchliche Nutzung oder multireligiöses Forum. Alles hat in einem in äußerer Kubatur wiedererrichteten Kirchenschiff Platz. Das ist das Gegenteil des rigorosen Vertreibens namens „Platz da“ und wird wesentlich weniger kosten als zwei Neubauten. Unter anderem um darüber zu reden braucht es Zeit.
Wieland Niekisch