Kompromiss zu Garnisonkirche und Rechenzentrum: Die neue Einigkeit
Der erbitterte Streit zum Umfeld des Garnisonkirchturms in Potsdam scheint gelöst. Entstehen soll ein Haus der Demokratie, das den Turm und das Rechenzentrum verbindet. Der Kompromiss im Überblick.
Potsdam - Es war die Nachricht des Dienstagabends: Im jahrelangen Streit um den Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam wurde ein Durchbruch erreicht. Auf dem Platz des früheren Kirchenschiffs soll nach der Wiedererrichtung des knapp 90 Meter hohen Kirchturms ein „Haus der Demokratie“ mit einem Plenarsaal für die Stadtverordnetenversammlung und Räumen für das Potsdam Museum entstehen. Dann könnte auch das in DDR-Zeiten gebaute und jetzt als Kreativhaus genutzte ehemalige Rechenzentrum unmittelbar am Turm weitgehend erhalten bleiben.
Diesen Kompromiss stellten die Stiftung Garnisonkirche, Vertreter des Rechenzentrums und der Verhandlungsführer, Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz vor. „Das hätte ich nicht erwartet“, sagte Schubert, „mit Pathos in der Stimme“, wie er es ausdrückte. Er hob, wie alle Parteien des Kompromisses, die konstruktiven Gespräche hervor. Das Ergebnis sei nur durch eine „Selbstrücknahme“ aller Beteiligten möglich geworden. Die PNN geben einen Überblick.
Wie ist der Zeitplan?
Im Januar soll die Vorlage für den Grundsatzbeschluss in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht werden. „Wenn die Stadtverordneten den Vorschlag zu Beginn des Jahres annehmen würden, können wir in das Raum- und Funktionsprogramm einsteigen“, so Schubert. Dafür rechnet er sechs bis neun Monate ein. Hier soll es in Arbeitsgruppen unter anderem um die technischen Anforderungen an einen modernen Plenarsaal gehen.
Im Anschluss könne die Machbarkeitsstudie in Form eines Architekturwettbewerbs ausgeschrieben werden. Dieser soll das ganze Forum an der Plantage, also das neue Haus der Demokratie, dessen Verbindung zu Turm und Rechenzentrum, sowie die Sanierung des Kulturhauses umfassen. Schubert hatte bereits den Stararchitekten Daniel Libeskind als Möglichkeit ins Spiel gebracht. Für den Wettbewerb veranschlagt der Oberbürgermeister weitere sechs bis neun Monate. „Bis Ende 2023 sollen die planerischen Grundlagen stehen“, sagte er. Einen Baustart will er jedoch nicht einmal schätzen: „Wer sagt, bis 2030 steht da etwas, ist mir zu mutig.“
Wer muss noch alles zustimmen?
Neben den Stadtverordneten auch die Gremien der Stiftung Garnisonkirche und des Rechenzentrums. Nicht zwingend notwendig ist das grüne Licht der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Deren Chef Matthias Dombert hat aber an dem Kompromiss mitgearbeitet, wie die Beteiligten betonten. Dombert sagte den PNN, bei einer Mitgliederversammlung der Fördergesellschaft werde er für die Unterstützung des Kompromisses werben. „In solchen Zeiten, wo das Trennende dominiert, ist es wichtig, auch das Gemeinsame herauszuarbeiten – und das ist hier gelungen.“ Die Frage, ob noch eine Bürgerbefragung nötig sei, verneinte Stadtpräsident Pete Heuer (SPD) zum aktuellen Zeitpunkt. Er wisse nicht, was man derzeit fragen solle. Das könne sich später, falls es Varianten gäbe, ändern.
Wer soll das bezahlen?
Vor dem Architekturwettbewerb könne man keine Angabe zu den Kosten des Projekts machen, so Schubert. Zur Frage, woher das Geld kommen soll, machte er klar, dass das neue „Haus der Demokratie“ als Sitz der Stadtverordnetenversammlung zumindest in Teilen auch aus dem städtischen Haushalt finanziert werden soll. Eine Sanierung und Erweiterung des Verwaltungscampus’ ist bekanntlich ohnehin geplant. Zum Grundstück, so Schubert, führe die Stadt mit der Stiftung Garnisonkirche, der sie dieses einst übertragen hatte, Verhandlungen über ein Erbbaurecht.
Für das Rechenzentrum solle ein Mietmodell für einen selbstverwalteten Betrieb entwickelt werden, das aber noch nicht fertig sei. Zudem hoffen die Beteiligten auf Fördermittel: „Mögliche Landes- und Bundesförderungen für Bau und Betrieb von Gebäuden, die Projekten der Demokratiebildung dienen“, sind zu prüfen, heißt es in den Unterlagen zum Grundsatzbeschluss. Unklar ist bislang die Finanzierung einer Sanierung des Rechenzentrums. Diese war zuletzt mit bis zu 8,7 Millionen Euro kalkuliert worden. Die Frage, ob möglicherweise 750.000 Euro geplante Bundesförderung für die Planungen eines Kirchenschiffs für den neuen Prozess genutzt werden können, ließ die Stiftung offen.
Was wird aus dem Rechenzentrum?
Das Kreativhaus soll in weiten Teilen erhalten werden. Details zum Umfang eines abzureißenden Teilstücks haben die Beteiligten bislang nicht genannt. Aber ein Abriss wäre mit dem Grundsatzbeschluss vom Tisch. Die Kreativen könnten das Rechenzentrum damit weiter nutzen – zusätzlich zum nebenan entstehenden Kreativquartier. Der Kompromiss ermögliche, so drückte es Kulturmanagerin Anja Engel aus, einen „zukunftsorientierten Ort, der langfristig gestaltbar ist“.
Und noch etwas wurde bekannt. Die Initiative „Bauhaus der Erde“ des Potsdamer Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber könnte sich an den Planungen für das möglichst ökologisch ausgerichtete „Haus der Demokratie“ am Turm der Garnisonkirche beteiligen. Das sagte Anja Engel, Hausmanagerin des Rechenzentrums, auf PNN-Anfrage. Räumlich wird das kein Problem: Schon Anfang des nächsten Jahres wolle die Initiative in einige Büroräume des Kreativhauses einziehen. Schellnhuber will mit der Initiative die Idee des Bauhauses reaktivieren und weltweit für mehr Klimaschutz beim Bauen sorgen.
Der Bund und das Land Brandenburg hatten bereits Unterstützung angekündigt, das Land etwa will das Projekt mit 500 000 Euro pro Jahr ab 2022 fördern. Die Idee des „Bauhauses der Erde“ ist es, die Form des konventionellen Bauens bis 2027 zu ändern, um Nachhaltigkeit und Inklusion zu fördern. Im Internet finden sich die Namen vieler Unterstützer wie Ex-Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), Grünen-Chefin Annalena Baerbock, Brigitte Mohn aus dem Vorstand der Bertelsmann-Stiftung oder der Potsdamer Regisseur Volker Schlöndorf.
In den nächsten Jahren sollen so mindestens 50 Wissenschaftler:innen, Bauexperten und Kreative das Projekt voranbringen. Das ursprüngliche Bauhaus, gegründet 1919 in Weimar, wollte als Schule für Architekten und Designer Themen wie künstlerische Gestaltung und Handwerk verbinden. Das neue „Haus der Demokratie“ in Potsdam soll den Angaben nach möglichst mit Holz gebaut werden.
Wie erklärt die Stiftung Garnisonkirche ihr Abrücken vom Wiederaufbau des Kirchenschiffs?
Den größten Schritt hat die Stiftung gemacht. Deren Kuratoriumsvorsitzender Wolfgang Huber sagte: „Wir gehen diesen Weg aus Überzeugung.“ Der neue Ort solle für „zeitgemäßes verantwortliches Christsein“ stehen, so der Altbischoff. Ein Kirchenschiff sei an der Stelle jedenfalls nicht nötig – an Kirchen im Umfeld gäbe es „keinen Mangel“. Was "jetzt vorgestellt wird, ist die sinnvollste Nutzung" der Fläche des Kirchenschiffs. Die geplante Nutzung durch die Stadtverordnetenversammlung sei Ausdruck gelebter Demokratie, der Kompromiss erfülle ihn als Demokraten und Christen „mit sehr viel Hoffnung“.
Wie sind die Reaktionen?
Unterschiedlich. In der rot-grün-roten Rathauskooperation scheint die Grundidee jedenfalls mehrheitsfähig. Sie sei beeindruckt von dem gefundenen Kompromiss, sagte SPD-Fraktionschefin Sarah Zalfen. Dieser sei eine „gute Grundlage“ für die weitere Diskussion. Es sei sehr begrüßenswert, dass nun ein von allen Beteiligten gemeinsam getragener Vorschlag auf dem Tisch liege, sagte auch Linke-Fraktionschef Stefan Wollenberg. Über Fragen wie die der Finanzierung müsse man nun beraten, so Wollenberg. Sehr angetan von den bisherigen Ergebnis zeigte sich auch Grünen-Fraktionschefin Saskia Hüneke: „Ich bin froh, dass dort nun verschiedene Anliegen zusammengeführt worden sind.“
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Entrüstet zeigte sich hingegen die Potsdamer CDU, die stets ein historisches Kirchenschiff favorisiert hatte – und den Abriss des Rechenzentrums will. Es passe städtebaulich nicht in diesen Stadtraum, sagte CDU-Fraktionschef Matthias Finken. Dort sei hochwertige Architektur nötig. „Von der Haltung der Stiftung Garnisonkirche sind viele enttäuscht“, sagte Finken. Auch aus den Facebook-Kommentarspalten der Bürgerinitiative „Mitteschön“ war Ärger zu lesen. „Ich fühle mich um meine Spende geprellt“, schrieb nicht nur einer jener Unterstützer, die einen kompletten Wiederaufbau unterstützt hatten. Es handele sich um den „Versuch, mit viel Steuergeld einen vermeintlichen und im stillen Kämmerlein ausgedealten Kompromiss zu erkaufen“, sagte CDU-Kreischef Oliver Nill. Finken meinte, für die Kreativwirtschaft entstehe in der Nähe bereits ein Ersatzquartier.
Der dortige Investor Christopher Weiß vom Unternehmen Glockenweiß sagte den PNN allerdings, er sehe den Teilerhalt entspannt – zumal die Kreativen in der Zeit der Sanierung ohnehin das Gebäude verlassen müssten. „Unsere Flächen werden weiterhin benötigt“, sagte Weiß.
Bei linken Gruppe, die seit Jahren gegen den Wiederaufbau mobilisieren, waren die Reaktionen gemischt. „Das wäre nach 30 Jahren auch ein Sieg der Stadtgesellschaft und ihrer Initiativen“, twitterte zum Beispiel das Komitee für Preußische Leichtigkeit in Bezug auf den Erhalt des Rechenzentrums. Allerdings werde man weiter gegen den geplanten Militärschmuck am Turm vorgehen.
Wie steht es um den Turm?
Der Turm der Garnisonkirche ist bereits 56 Meter hoch. „Wir sind bei den Bauarbeiten im Plan“, sagte Peter Leinemann, der Verwaltungsvorstand der Stiftung Garnisonkirche, den PNN. Der Rohbau des Turms sei damit fast fertig – man hoffe nun darauf, diesen im Januar mit einer letzten Betondecke schließen zu können. „Das geht, wenn der Winter bis dahin nicht zu hart wird.“ Geplant ist danach eine Ausschreibung für die Turmhaube, die dann neben der Baustelle errichtet und in einem Stück auf die Spitze gehoben wird. Je nachdem, welche Angebote bei der Ausschreibung gemacht werden, könnten dann auch Mehrkosten auf die Stiftung zukommen. Der Abschluss der Arbeiten ist für 2023 vorgesehen.
Der einst für den Abriss gesprengte Kirchturm wird seit 2017 neu gebaut. Die evangelische Kirche will ihn für historische Aufklärung, Friedens- und Versöhnungsarbeit nutzen. Das gesamte Bauprojekt ist vor allem wegen der Geschichte der früheren preußischen Militärkirche unter anderem in der NS-Zeit umstritten, die Garnisonkirche gilt als Ort und Symbol antidemokratischer Kräfte. Das Gelände zwischen Yorck-, Dortu- und Breiter Straße war lange Jahre eine Art Niemandsland und wird nun erst entwickelt. Schon fertig ist die sogenannte Plantage – ein Freizeit- und Spielplatz mit Sportstätte für die angrenzende Dortu-Schule. (mit dpa/ epd)