Debatte in der Potsdamer Stadtpolitik: Eine knappe Mehrheit für den Garnisonkirchen-Kompromiss?
Die Stadtverordneten haben im Hauptausschuss zum Erhalt des Rechenzentrums und zum geplanten „Haus der Demokratie“ debattiert – ein Votum gab es nicht.
Potsdam - Für den umstrittenen Garnisonkirchen-Kompromiss zeichnet sich in der Stadtverordnetenversammlung eine knappe politische Mehrheit ab. Das ist das Ergebnis der kontroversen Debatte zu den Plänen für das sogenannte „Forum an der Plantage“ in einer digitalen Sitzung des Hauptausschusses am Mittwoch.
Eine Abstimmung erfolgte im Hauptausschuss zwar nicht. Allerdings äußerten sich Mitglieder der rot-grün-roten Rathauskooperation zumeist wohlwollend. Dieses Bündnis aus SPD, Grünen und Linken hat die Mehrheit im Stadtparlament. So sagte SPD-Fraktionsvorsitzende Sarah Zalfen, der Kompromiss sei eine große Chance – auch für die Stiftung, die bereits seit Jahren an der Breiten Straße am Bau des Turms der einstigen Barockkirche arbeitet. Für die Stiftung sei eine „Friedensdividende“ möglich, so Zalfen – also die Chance, tatsächlich als Versöhnungsort wahrgenommen werden, was sich noch als positiv für das Spendenaufkommen erweisen könnte.
Die „wenig verlockende Alternative“ sei laut Zalfen ein ab Ende 2023 leerstehendes Rechenzentrum und eine Brache daneben, aber auch ein mögliches Scheitern des Turmbaus. Auf den Zeitdruck bis Ende 2023 verwies auch Schubert. Zustimmung für den Kompromiss kam auch von den Grünen.
Linke mit verschiedenen Positionen
Durchaus unterschiedliche Bewertungen trafen Linken-Vertreter. So lobte deren Fraktionsvorsitzende Sigrid Müller, dass etwa das Rechenzentrum erhalten werde. Problematisch sei aber, dass eine Übertragung des Kirchenschiff-Areals an die Stadt mittels Erbbaupacht geplant sei – wenngleich Schubert die Bedingungen für einen solchen Schritt, die die Linke gestellt hatte, nun berücksichtigt habe, wie Müller sagte. So hatte das Rathaus festgeschrieben, dass sich ein Erbbauzins an der geplanten gemeinwohlorientierten Nutzung ausrichten müsse. Gleichwohl kündigte die Linke Müller an, man wolle einen Änderungsantrag einbringen, der eine kostenlose Rückübertragung des Kirchenschiff-Grundstücks von der Stiftung an die Stadt vorsehe – was zum Beispiel auch die Fraktion Die Andere fordert.
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Das Linken-Urgestein Hans-Jürgen Scharfenberg bemängelte wiederum, der Vorlauf für den Beschlussantrag sei zu kurz. Auf vier oder sechs Wochen später bei der Entscheidung könne es nicht ankommen. Gerade der Beschluss, kein Geld an die Stiftung zu geben, müsse bekräftigt werden. Auch müsse die Stadtverordnetenversammlung genau einschätzen können, wie viel Raum dann für den möglichen Plenarsaal im „Haus der Demokratie“ zur Verfügung stehen würde – und für die darin geplanten zusätzlichen Räume des Potsdam Museums. Das erst in Arbeitsgruppen nach dem Beschluss festzustellen sei ihm zu spät, so Scharfenberg.
Die CDU wollte eine Vertagung - und scheiterte
Debattenbedarf hat auch die CDU. Deren Fraktionschef Matthias Finken sagte, für so einen grundlegenden Beschluss müsse man sich mehr Zeit nehmen – und auch Gruppen für einen originalgetreuen Wiederaufbau besser in den Prozess einbeziehen. Doch eine von Finken beantragte Vertagung der Debatte scheiterte an SPD, Grünen und Linken. So sagte SPD-Frau Zalfen, wenn man jetzt mit einer Entscheidung warte, könne man sich den Beschluss – der eine Machbarkeitsstudie für das Plantagen-Forum für rund 500 000 Euro vorsieht sowie Arbeitsgruppen für vertiefende Überlegungen – auch sparen. Unter anderem soll dann auch ein genaues Raumprogramm für das „Haus der Demokratie“ erarbeitet werden. Schubert machte deutlich, es werde sich nicht nur um ein einstöckiges Gebäude handeln – es seien voraussichtlich mehrere Etagen nötig.
FDP und AfD kritisieren Kompromissidee
FDP-Fraktionschef Björn Teuteberg wiederum monierte, in den Planungen werde „leider nach wie vor“ am Rechenzentrum festgehalten. Das sei eine Vorfestlegung, gerade in Hinblick auf die vorgesehene Bürgerbefragung unter den Potsdamern. Diese würde derzeit nach dem Architekturwettbewerb zu dem Gebäudeensemble abgehalten, zur Wahl sollen wie berichtet die drei siegreichen Entwürfe für das Plantagen-Forum stehen. AfD-Mann Chaled-Uwe Said sagte, gerade der Rechenzentrum-Erhalt erschließe sich ihm nicht, zumal in der Nähe ein Kreativ- und Kulturquartier gebaut werde. Die Stadt habe es versäumt, ausreichend für den originalen Wiederaufbau um Spenden zu werben.
Kritik auch von links
Ganz andere Kritik übten linke Gruppen. So sagte Carsten Linke vom antimilitaristischen Förderverein in einem Redebeitrag, in früheren Varianten habe Oberbürgermeister Schubert eine Jugendbegegnungsstätte und eine stärkere Aufarbeitung der NS-Geschichte vor Ort angekündigt: Davon sei aktuell leider wenig zu hören. Sara Krieg von der Initiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche sagte, die Stadt dürfe sich nicht an einen Vertragspartner wie die Stiftung mit offenkundigen Finanzierungsproblemen binden. Der Rathauschef Schubert habe immer noch einen Auftrag, die Stiftung aufzulösen - nach dem Bürgerbegehren gegen die Garnisonkirche vor einigen Jahren. Sprecherin Krieg sagte auch, der schon jetzt "60 Meter hohe Koloss", also der Turm, stelle täglich für tausende Potsdamer eine Erschütterung ihres Demokratieverständnisses dar. Auch sie plädierte dafür, sich länger Zeit für eine Entscheidung zu lassen.
Zweifel an Erbpachtmodell
Zugleich zweifelte wiederum Linke an der Zusicherung der Stadt, dass mit dem besagten Erbpachtmodell wirklich keine Subventionierung des Turmbaus verbunden sei – was gegen Stadtverordnetenbeschlüsse verstoßen würde. Aus diesem Grund begründete Monique Tinney, die Vorsitzende der linksalternativen Fraktion Die Andere, auch den Umstand, dass man dem Vorschlag „nicht zustimmen“ werde – wenngleich man das Abrücken vom Kirchenschiff und den Erhalt des Rechenzentrums begrüße. Ob sich die Fraktion enthält oder mit „Nein“ stimmt, ließ sie offen. Rathauschef Schubert sagte, ein Kompromiss werde nicht sämtliche Forderungen jeder Seite aufnehmen können. „Und es gibt in der Stadt auch Gruppen, die keinen Kompromiss wollen – es wird nie gelingen, alle mitzunehmen.“ Die Stiftung und das Rechenzentrum würden diesen Weg des Kompromisses aber gehen wollen, so Schubert.
Wird die entscheidende Abstimmung verschoben?
Nun sollen die Stadtverordneten voraussichtlich am nächsten Mittwoch abschließend votieren. Jedoch: Nach PNN-Informationen sieht man im Präsidium des Stadtparlaments mit Sorge die rasant gestiegenen Corona-Fallzahlen in Potsdam. So sei eine verkürzte Sitzung denkbar, hieß es gegenüber den PNN – oder bei weiter extrem steigenden Zahlen auch eine Absage plus Verschiebung, zumal es auch ungeimpfte Stadtverordnete gebe, wie es unter anderem aus dem Rathaus hieß. Das soll sich bis Ende der Woche entscheiden.
Auch Nutzer des Rechenzentrums melden sich zu Wort
Für die voraussichtliche Sanierung des Rechenzentrums gibt es erste Forderungen. In einer aktuellen Erklärung von Nutzern des Kreativhauses, des Vereins Freundliche Übernahme Rechenzentrum (FÜR) und der Kulturlobby Potsdam wird davor gewarnt, dass eine Sanierung und teilweise Umwidmung des DDR-Baus nicht die Treppenhäuser und damit die Fluchtwegekonzeption betreffen dürfe – „um keine Kaskade von Folgemaßnahmen einzuleiten“, was den Erhalt des Gebäudes „unsinnig aufwendig“ werden lassen könnte.
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Zudem dürfe der „ausdrucksstarke Kontrast“ zwischen Garnisonkirchenturm und Rechenzentrumsfassade nicht beseitigt werden, heißt es in der Erklärung. Ferner müsse die Perspektive der Nutzer:innen „in eine bedarfs- und nutzerzentrierte Entwicklung einfließen“, „idealerweise“ würden Nutzer mit einzelnen Aufgaben direkt betraut. Generell müsse für die Sanierung gelten, auch mit Blick auf bauliche Ressourcen in Zeiten des Klimawandels: „Soviel Erneuerung wie nötig, soviel Erhalt wie möglich.“
Lob für den Kompromiss
Zugleich loben die Verfasser den Kompromiss, der den Erhalt des Rechenzentrums sowie daneben ein neues kommunales „Haus der Demokratie“ vorsieht, als „Grundlage für ein Quartier produktiver Vielfalt“. Im Nebeneinander von drei Nutzungsclustern, in jeweils eigener Betreiberschaft und in drei architektonischen Zeugnissen, würden neue Formen öffentlichen Lebens an diesem Ort geschaffen“. In der geplanten Koexistenz „findet die liberale Idee einer pluralen, diversen Gesellschaft ihren Ausdruck“.
Das Zusammenspiel im Forum ebne aber auch „schmerzvolle Differenzen“ nicht ein. So werde eines der wenigen heute noch erhaltenen Exemplare der DDR-Datenverarbeitungszentren – mit seinem Mosaik am Erdgeschoss zum damaligen Fortschrittsglauben und Technikoptimismus – neben dem Turm der Garnisonkirche als „dem Symbolbau des Nationalprotestantismus“ stehen, heißt es weiter. Jede der Institutionen behalte zugleich Eigenständigkeit und Profil.
Und: „Debatten und Kontroversen werden zu einem lebendigen Miteinander beitragen, dessen Grundlage ein demokratisches Grundverständnis und wechselseitiger Respekt sind. Gerade das Aushalten und Austragen von Differenzen tragen zu der Qualität dieses Ortes maßgeblich bei.“
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