Hygienekonzepte und Außenplätze: Potsdams Gastronomen bereiten sich auf Corona-Winter vor
Der Winter naht, die Coronakrise hält weiter an. Die Gastronomen rüsten sich für die kalte Jahreszeit. Manche setzen auf Hightech. Und ein Hygiene-Experte gibt einen guten Rat - vor allem für Gäste.
Potsdam - Monatelang fand das Leben in Restaurants auf den Terrassen statt. Jetzt, in der kalten Jahreszeit, fürchten Gastronomen Umsatzeinbrüche – und Gäste fragen sich, wie sicher ein Restaurantbesuch in den Innenräumen ist. Die Wirte haben den PNN berichtet, wie sie sich darauf vorbereiten.
Das Glück der hohen Decken
Generell gilt: je höher die Decke ist, um so mehr Luftaustausch ist möglich, weil die Virusdichte geringer ist. „Ja, wir haben das Glück einer acht Meter hohen Decke“, sagt Ömer Yakut, Geschäftsführer des Italieners „Da Vinci” in der Dortustraße 4, „da gibt es viel Luftzirkulation“. Außerdem würden die Speisekarten für jeden Gast desinfiziert.
Es geht in Potsdam sogar noch höher hinaus. Das Glück einer extrem hohen Decke hat auch das „Alex“ in der Wilhelm-Galerie. Schon der Innenbereich ist nicht niedrig, im vierstöckigen Atrium aber stehen 50 Plätze bereit. „Wir lüften stündlich mit den elektrischen Deckenklappen“, erzählt Geschäftsführer Julian Pawelczyk. Die Terrasse bleibe offen, die Anschaffung von Heizpilzen werde geprüft. Sie sind in Potsdam nicht verboten.
Auch Emry Özbay, Inhaber der Pizzeria „Melody“ in der Friedrich-Ebert- Straße, beruhigt es, dass die Decke in den Räumen des 2015 geschlossenen Kinos „Melodie“ recht hoch ist. Geld für eine Klimaanlage hat er nicht – aber eine Lüftungsanlage aus alten Zeiten, die funktioniert.
Viel Platz hat das Restaurant „Villa Kellermann Tim Raue“ ohnehin, das der Berliner Zwei-Sterne-Koch vor gut einem Jahr mit dem TV-Moderator Günther Jauch am Heiligen See eröffnete. „Wir haben während der Schließung unser Hygienekonzept erarbeitet und unter anderem Plexiglasscheiben eingebaut, damit unsere Gäste noch mehr Sicherheit genießen können“, teilte Raue den PNN auf Anfrage mit. Alle Mitarbeiter trügen Mund- Nasen-Bedeckung, es stünden Desinfektionsmittel bereit. Die Buchungslage sei trotz Corona „weiterhin sehr gut“.
Hightech gegen Aerosole
Unter Potsdams Gastronomen gibt es drei Fraktionen. Die eine setzt auf die akkurate Umsetzung der Hygienevorschriften innen, die zweite möchte zudem das Terrassengeschäft verlängern: Der Außenbereich soll möglichst wintertauglich werden. Die noch sehr kleine dritte Fraktion glaubt an Hightech. Experten sind davon überzeugt, dass Filteranlagen fast 100 Prozent der Viren und Bakterien aus der Raumluft herausfiltern – auch Coronaviren. In Schweden sind laut Spiegel-Online fast alle Klassenzimmer damit ausgestattet.
In Potsdam gehört das Sterne-Restaurant „Kochzimmer“ am Neuen Markt zu den Vorreitern. Die Top-Küche investiert jetzt 5000 Euro in zwei Geräte, obwohl die Räume hoch sind und der Abstand zwischen den Tischen nach der Reduzierung der Plätze von 36 auf 22 groß ist. „Die Chefin hat sich dafür entschieden, damit sich unsere Gäste vollkommen sicher fühlen“, sagt Geschäftsführer Jörg Frankenhäuser schmunzelnd. Seine Frau Claudia ist Inhaberin des Gourmettempels.
Heimelige, eher niedrige Gaststättenräume sind in diesen Zeiten kein Trumpf. Daniel Zander, Chefkoch und Mitinhaber im Babelsberger „Otto Hiemke“, weiß das, er spürt „schon jetzt die Zurückhaltung: Manche bestellen ein Getränk und sind dann wieder weg.“ Vier bis sechs Tische will Zander auf der Terrasse stehen lassen, Stellwände werden als Windschutz aufgestellt, dazu drei Heizstrahler angebracht. Außerdem hat er für die Innenräume die Abzugs- und Zuluftanlage, die installiert worden war, als noch geraucht werden durfte, reaktiviert.
Gegen widrige Witterung schützen will sich auch die „Bar Fritz’n“ in der Dortustraße. Drinks wie „Le gurk“ mit Holundersirup, Apfel-und Zitronensaft, Gurke und Gin, lassen sich auf der Terrasse in einer Art Zeltbau schlürfen. An den großen Sonnenschirmen werden Außenwände heruntergelassen, nach vorn bleibt die Terrasse offen.
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Die "drinnen-oder-draußen"-Frage
Rene Dost, unter anderem Inhaber des Café Heider am Nauener Tor, setzt jetzt nicht mehr auf das Terrassengeschäft. „Keine Zelte, keine Heizpilze. Drinnen immer schön durchlüften“, ist seine Devise. Seine Restaurants hätten im Sommer finanziell „ein bisschen Speck” ansetzen können. Die Corona-Zuschüsse und das „Geschenk der Mehrwertsteuersenkung“ für Speisen von 19 auf 5 Prozent seien „das Geilste, was mir je im Leben passiert ist“: Eine Verbesserung der Liquidität, „sechsstellig im unteren Bereich”. Dost: „Wir kommen durch den Winter.“
Auch Maria Josefina Quero, Inhaberin der Tapas-und Weinbar „Mea Culpa” an der Dortustraße, hält nichts von Heizpilzen: „Man steht da doch zu eng beieinander“. Sie denkt darüber nach, die Bewirtung draußen nicht ganz aufzugeben. Ziemlich sicher wird sie, wenn die Menschen wieder frieren, heiße Rosé-Schorle und Sangria anbieten – „für das Lebensgefühl“.
„Keine Bedenken“, in Innenräumen zu speisen, hat Olaf Lücke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Brandenburg. Die meisten Gastwirte halten seiner Beobachtung nach die Hygienevorschriften ein, wenn auch die Registrierpflicht für die Nachverfolgung von Adressen „leider unterschiedlich“ erfüllt werde: „Die meisten sind vorbildlich, andere laxer“. Sein Appell an die Laxen: „Es sollte jedem klar sein, dass es um das Überleben unserer Branche geht.“
Gäste werden eingetaktet
„Alle drinnen, keiner draußen“: So hat Alexander Stüvel, Inhaber des „Quendel” in der Brandenburger Vorstadt, am vorvergangenen Wochenende seine Gäste beobachtet. Es war plötzlich kalt geworden. Akkurat achtet Stüvel auf die Einhaltung der Hygienevorschriften, die Zahl seiner Gäste steuert er mit sogenannten Slots, Zeitfenstern für den Restaurantbesuch.
Mit Slots, also Zeitfenstern für den Restaurantbesuch, regelt auch Mario Kade, Inhaber des Traditionslokals am Pfingstberg, den Zustrom seiner Gäste. Für 11.30, 14, 17 und 19 Uhr können sie bei ihm buchen. Auch Kade ist kein Befürworter von Heizpilzen: „Das ist doch etwas für den Après-Ski oder den Ostseeurlaub. Aber doch nicht für die Speisegastronomie.“ Im „Kade“ wird zwischen den Slots „kräftig durchgelüftet“, Gäste werden gebeten, bis zu ihrem Tisch Mund- Nase-Schutz zu tragen, die Servicekräfte tragen ihn ohnehin.
Vor dem Essengehen gurgeln
Darüber hinaus gibt es ein ungewöhnliches Verfahren, um das Ansteckungsrisiko in Restaurants zu minimieren. Der Berliner Hygiene-Professor Klaus-Dieter Zastrow rät, Besucher sollten, bevor sie in ein Restaurant gehen, mit einem Schleimhautdesinfektionsmittel gurgeln und den Mund spülen. „Das ist die Methode der Wahl”, sagte Zastrow den PNN. Zastrow war nach dem Corona-Ausbruch im Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikum als Leitender Hygieniker angeheuert worden. Neu aufgenommene und positiv getestete Patienten gurgeln dort so, wie er es empfohlen hat, um die Infektionsgefahren zu minimieren.
Beratung über „klimaverträgliche Rahmenbedingungen“
Die Stadtverordneten befassten sich am Mittwoch ebenfalls mit dem Corona-Schutz in der Gastronomie. Im Hauptausschuss beschlossen sie einen von der rot-grün-roten Rathauskooperation gestellten Prüfantrag, ob und wie eine Verlängerung der Umwidmung von Parkplätzen und Straßenraum in Restaurantflächen auch im Herbst und Winter möglich ist. Zudem müsse das Rathaus gemeinsam mit den Betreibern „klimaverträgliche Rahmenbedingungen“ für die Außengastronomie beraten. Als Beispiele nannten die Grünen Akku-Heizkissen oder mit Ökostrom betriebene Infrarot-Halogen- Heizstrahler. Die Linken setzten noch folgenden Beschlussteil durch: „Gleichzeitig sollte die Anschaffung von technischen Lösungen für den Innenraum, wie etwa Luftfilter, die die Viren aus der Raumluft saugen, bei der Prüfung berücksichtigt werden.“ Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) sagte, bei solchen Detailfragen habe die Stadt aber keine Handhabe – hier könne man nur appellieren.