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Das spanische Restaurant Mea Culpa in der Dortustraße 1. 
© Sebastian Rost

Potsdams Gastronomie in Sorge: Die Angst vor den kalten Tagen

Potsdams Gastronomen fürchten sich aufgrund der Coronakrise vor der Zeit, in der die Witterung ihre Gäste in die Innenräume zwingt. Die ersten kühlen Tage haben bereits deutliche Umsatzeinbußen gebracht. 

Potsdam - Freitag gegen 19 Uhr auf der Terrasse des Traditionsrestaurants Otto Hiemke in Babelsberg: an diesem warmen Sommerabend ist kein Platz mehr frei. Chefkoch Daniel Zander, der den Familienbetrieb mit seiner Schwester Stefanie in fünfter Generation führt, arbeitet in der Küche 30 Bestellungen ab. Nudelteller mit Entenbrust und Pfifferlingen, gedünsteten Lachs mit Pfifferlingen und Zitronenrisotto und, „immer ein Renner”, Boulette mit Schmorgurke. Der heiße Sommer hat Zander prächtige Umsätze beschert. „Wir waren jetzt fast immer ausgebucht”, erzählt er, „aber die schwere Zeit hat all unsere Rücklagen aufgefressen. Wir sind ins Minus gerutscht.” 

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Wie viele Potsdamer Gastronomen blickt Zander pessimistisch in die Zukunft: „Wir haben Angst davor, dass die kalten Tage kommen, unsere Gäste nicht mehr draußen sitzen können, aber wegen Corona nicht drinnen essen mögen.” Wie etliche seiner Kollegen denkt er darüber nach, den Außenbereich in Zusammenarbeit mit der Stadt länger offen zu halten. Wie – darüber schweigen die Wirte. Sie möchten verhindern, dass ihre Ideen, ob eine Art Wintergarten, ein Zelt oder Heizstrahler, von anderen kopiert werden.


Die Zeit einer möglichen zweiten Corona-Welle stellt die Gastronomie in Potsdam und anderswo vor existenzbedrohende Herausforderungen. Die Zahl der Neuinfektionen ist in den letzten Wochen wieder gestiegen und die Gefahr durch Aerosole, winzige, virenhaltige Partikel in der Atemluft, ins Allgemeinwissen übergegangen. Wegen der Abstandsvorschriften müssen die Tische weiter auseinander stehen. Zumeist finden rund 40 Prozent weniger Gäste Platz, gleich groß ist ungefähr auch das Umsatzminus. 

Als die ersten kühlen Tage kamen, ging der Umsatz deutlich zurück

So düster sie in die nahe Zukunft blicken, so ehrlich sind die Potsdamer Gastronomen dabei. „Mein finanzielles Polster ist aufgebraucht”, sagt Chris Zanotto, Chef des „Zanotto” in der Dortustraße 53. In seinem kleinen Restaurant kann er wegen des Abstandsgebots nur noch 15 Gäste bewirten. „Draußen war ich immer voll besetzt”, sagt er, „aber als es in der vergangenen Woche kühl wurde, ging der Umsatz stark zurück”.

„Ich habe Angst vor der Zukunft”, sagt auch Maria Josefina Quero, Inhaberin der Tapas-und Weinbar „Mea Culpa” an der Dortusstraße 1. Seit Wochen war es schwierig, dort für Bäckchen vom iberischen Eichelschwein oder Lammrücken mit Rosmarinkruste einen Platz zu finden, die starke Einbuße an einem Schlechtwettertag vorige Woche aber sei „ein Vorgeschmack auf den Herbst” gewesen: „Auffangen können wir das nicht, auch, weil die Weihnachtsfeiern unter den bestehenden Regeln so nicht stattfinden können”. Ebenso wenig scheut sich Lena Mauer, unter anderem Inhaberin der „Theaterklause” an der Zimmerstraße, von der „Angst vor dem Herbst” zu sprechen. „Wir überlegen, ob wir Zelte aufbauen, wenn es für die 50 Plätze draußen zu kalt wird”, sagte sie den PNN. Heizpilze seien in Potsdam erlaubt, würden für die Theaterklause wegen der Umweltbelastung jedoch nicht infrage kommen. 

Das Restaurant Hiemke in Babelsberg.
Das Restaurant Hiemke in Babelsberg.
© Carsten Holm

Für Brandenburg sollten Berliner Regel gelten

„Die Unternehmen schauen sorgenvoll in den Herbst”, weiß Olaf Lücke, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Brandenburg (Dehoga), „einige werden es schwer haben, über den Winter zu kommen”. Wichtig sei, dass die brandenburgische Maßgabe, nur einen Haushalt pro Tisch zu erlauben, der Berliner mit sechs Personen pro Tisch angepasst werde. „Solche scheinbaren Nebensächlichkeiten”, so Lücke, „können über die Zukunft eines Betriebs entscheiden”.
Die Gastwirte wollen sich den drohenden Einbrüchen im Herbst nicht tatenlos ergeben. „Unsere Decke ist 5 Meter hoch, unser Gastraum 300 Quadratmeter groß, die Luftzirkulation sehr gut”, sagt Giorgio Cuccia, Chef der „Piazza Toscana” nahe dem Griebnitzsee. Er will die Saison auf der großen Terrasse verlängern und hat acht elektrische Heizstrahler bestellt.
„Natürlich haben wir Angst vor den kalten Tagen”, sagt auch Sergej Nacu, Inhaber der Trattoria Pane e Vino an der Friedrich-Ebert-Straße. Die 36 Plätze vor dem Restaurant waren fast immer besetzt, aber als der Herbst vergangene Woche anklopfte und es draußen frisch wurde, sank der Umsatz rapide. Sollte es zu einem zweiten Lockdown kommen, will Nacu etwas Neues anbieten: Pizzen für den Außer-Haus-Verkauf.

Digital bestellen, kontaktlos bezahlen 

Die Hochküche im „Kochzimmer” am Neuen Markt (ausgezeichnet mit einem Michelin-Stern) sehe sich, so Chefin Claudia Frankenhäuser, sich für die kommende Zeit „gut gerüstet”: „Die Mitarbeiter tragen Mund-Nase-Schutz und bitten auch die Gäste darum, wenn sie nicht am Tisch sitzen”. Es gebe einen Tischplan, der an die Corona-Listen gekoppelt sei und „technische Unterstützung beim Lüften des Gastraums” für unbeschwerte Abende in den Wintermonaten.

Der Potsdamer Groß-Gastronom René Dost, der unter anderem das „Café Heider” betreibt, erzählt, warum er trotz Corona optimistisch bleibt. Er habe auf Umsatzeinbrüche sofort reagiert, Öffnungszeiten verkürzt und die Zahl seiner Beschäftigten von 150 auf 70 verringert. Zudem profitiere er von der Automatisierung der Abläufe: Bestellt wird künftig nur noch digital am Tisch, im selben Augenblick geht im Warenlager eine Nachlieferung der Speisen in Auftrag. Bezahlt wird mit dem Handy. „Wir brauchen zum Bestellen und Bezahlen keinen Kellner mehr”, sagt Dost.

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