Projekt des Deutschen Ruderverbands: Potsdam legt sich in die Riemen
Der Ruder-Bundesstützpunkt am Seekrug soll Deutschland in einer Problemdisziplin wieder international erfolgreich machen. Zehn Athletinnen trainieren dafür nun zentralisiert unter Leitung eines Australiers.
Tom Morris ist nicht nur ein Trainer. Er verfügt auch über eine sportpsychologische Ausbildung. Daher betont er: „Man muss Athleten nicht nur körperlich stärker machen, sondern auch dafür sorgen, dass sie einen Glauben verinnerlichen. Einen Glauben an Erfolg. Wenn ich denke, eh keine Chance zu haben, habe ich schon verloren.“ In seiner derzeitigen Tätigkeit ist solch eine positive Einstellung wichtige Voraussetzung. Denn die Aufgabe ist groß. Die Ambitionen sind hoch. Der Australier ist verantwortlicher Bundestrainer im Deutschen Ruderverband (DRV) für die Disziplingruppe Frauen-Riemen. Diese hat seit rund einem Jahr ihren Bundesstützpunkt offiziell in Potsdam.
Weibliches Riemenrudern gilt seit Jahren als deutsche Problemdisziplin. Ein Podestplatz bei Weltmeisterschaften sprang zuletzt 2007 heraus, bei Olympia war es 1992. Für die Sommerspiele nächstes Jahr in Tokio soll zunächst wenigstens die Qualifikation in einer der drei Bootsklassen gelingen, möglichst auch in zweien. 2024 in Paris ist dann sogar der Gewinn von ein bis zwei Medaillen angepeilt. „Ich finde, das ist kein verrücktes Ziel, sondern realistisch“, sagt Morris. „Wir haben viele junge Athletinnen mit Potenzial. Daraus kann viel entstehen.“
Nachqualifikation für Tokio findet im Mai statt
Trotz seines noch jungen Alters von 33 Jahren hat der Mann aus Down Under bereits reichlich Erfahrung und Erfolgsreferenzen vorzuweisen. Er war Coach im australischen und kanadischen Ruderverband, führte seine Schützlinge zu 21 internationalen Medaillen – darunter Olympia-Silber 2016 mit dem weiblichen Leichtgewichts-Doppelzweier von Kanada. Als Sven Ueck im vergangenen Frühjahr aus persönlichen Gründen seine Cheftrainerrolle am hiesigen Bundesstützpunkt abgab und in den Nachwuchsbereich rückte, holte der DRV Morris für den Potsdamer Leitungsposten ins Boot.
Bei seiner ersten Saison arbeitete er mit 22 Sportlerinnen. Fortschritte seien erkennbar gewesen. Doch die Erkenntnis reifte, die Gruppe für das Olympiajahr zu reduzieren, um den Trainingsprozess zu intensivieren. „Wir haben noch nicht die Tiefe im Leistungsniveau“, meint er. Die besten zehn Ruderinnen und eine Steuerfrau gehören nun zum Kern des deutschen Frauen-Riementeams. Zwischen 21 und 26 Jahren sind sie alt. Aufgrund der aktuell relativ geringen Kadergröße setzt Morris hinsichtlich Tokio den Fokus auf den Zweier und Vierer. Der Achter sei perspektivisch im Blick. Um das Olympiaticket für ein Boot zu buchen, muss im Mai bei einer Regatta in Luzern der erste oder zweite Platz belegt werden. „Das wird schwer“, sagt der Coach. Es ist bereits die Nachqualifikation. Die diesjährige WM in Österreich war Runde eins der Startplatzvergabe. Weit entfernt von der Spitze waren dabei die Morris-Teams: Viertletzter, Vorletzter, Letzter. „Das waren nicht unseren besten Rennen der Saison“, urteilt er und zeigt Optimismus: „Nächstes Jahr werden wir viel schnellere Boote auf das Wasser bekommen.“
Standortwechsel ließ sich für auswärtige Sportlerinnen gut organisieren
Dafür wird trainiert. Bei Lehrgängen im Ausland und natürlich am heimischen Stützpunkt in Brandenburgs Landeshauptstadt. Gemeinsam. Zentralisierung der stärksten Sportler sei bei vielen anderen Nationen schon lange der normale Weg, weiß Morris. In der Bundesrepublik Deutschland werde erst jetzt begonnen, das Prinzip richtig zu forcieren. Der DRV macht es konsequent, fordert von Olympiakandidaten, gemäß ihrer Disziplingruppe am dazugehörigen Leistungszentrum zu trainieren. „Das ist absolut der richtige Schritt“, sagt Frauke Hundeling. „Rudern hängt zwar viel von der individuellen Leistungsfähigkeit ab, ist aber am Ende eine Team-Sportart, in der wir es gemeinsam vollbringen müssen.“
Hundeling ist eine der elf Auserwählten, für die Potsdam nun sportlicher Mittelpunkt ist. Aus allen Himmelsrichtung des Landes kommen die Riemen-Hoffnungsträgerinnen. Während für ein Trio des RC Potsdam keine räumliche Veränderung notwendig war, mussten die anderen den Standort wechseln. Unisono erklären sie, dass dies aber wenig problematisch gewesen sei. Polizistin Hundeling wurde von ihrem Dienst in Niedersachsen freigestellt. Drei Athletinnen haben gerade ihr Studium in den USA abgeschlossen und konnten jetzt „im fließenden Übergang“ das neue Kapitel mit Masterstudium in der hiesigen Region aufschlagen, wie stellvertretend Ida Kruse sagt. Die Weiteren können nach eigener Aussage ihr aktuelles Studium gut mit der sportlichen Umstrukturierung verbinden.
"Huhn-und-Ei-Problem" bei der Förderung des Projekts
Wohnungen haben die Stützpunktsportlerinnen entweder in Potsdam oder Berlin. Genutzt werden können im Luftschiffhafen auch Gästezimmer. Alyssa Meyer nimmt die Möglichkeit gewöhnlich in Anspruch, weil für sie das Pendeln in ihr Nord-Berliner Zuhause zu zeitaufwendig wäre. Bisher kommt sie im Sportschulinternat unter, weil die eigentlich vorgesehenen, renovierten Sportlerzimmer im Seekrug-Gebäude weiterhin nicht genutzt werden können. Die Freigabe aufgrund von noch nicht umgesetzten Brandschutzvorgaben steht aus. Ein Umstand, mit dem die Ruder-Verantwortlichen in Potsdam und Brandenburg bereits seit Monaten hadern.
Die Bedingungen für das ambitionierte Projekt am Seekrug bezeichnet Morris generell als „ordentlich“. Es könne jedoch besser sein, die Wunschliste sei lang, sagte der Trainer, ohne konkret werden zu wollen. Aus seiner Erfahrung heraus kann er berichten, dass in anderen Ländern die Athleten sich nicht nur viel mehr auf das Training fokussieren können und weniger für den zweiten Karriereweg investieren müssen. Auch stünden dort größere Ressourcen für den Sport zur Verfügung. Bei seiner momentanen Aufgabe in Deutschland sieht er sich derweil mit dem „Huhn-und-Ei-Problem“ konfrontiert, wie er es bezeichnet: „Es ist immer schwer, Unterstützung zu bekommen, bevor Erfolg da ist. Aber ohne Unterstützung ist es eben schwer, Erfolg zu bekommen.“ Diesen Kreis gelte es, zu durchbrechen. Mit guten Resultaten dank physischer wie auch psychischer Stärke.
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