Leistungssport in Potsdam: Für Olympia soll der Ruderer seine schwangere Freundin zurücklassen
Für seinen Olympia-Traum von Tokio muss Potsdams Ruder-Ass Hans Gruhne nach Hamburg umsiedeln. Das fällt persönlich und finanziell schwer.
Potsdam - Als Ruderer sticht Hans Gruhne fast täglich in See. Zu einer Reise ins Ungewisse brach der Olympiasieger des RC Potsdam am Dienstag auf. Wie das Leistungssportkonzept des Deutschen Ruderverbandes vorsieht, sollen von nun an – 21 Monate vor den Sommerspielen in Tokio – die potenziellen Olympiakader für 2020 zentralisiert an den Bundesstützpunkten trainieren. Im Fall von Hans Gruhne, einem Mann der Disziplingruppe Skull, bedeutet das die sportliche Umsiedlung nach Hamburg/Ratzeburg. „Von Dienstag bis Samstag habe ich da jetzt immer Anwesenheitspflicht“, erklärt er. Vonseiten des Verbands habe es ein klares Signal gegeben: „Nur wer bei diesem Konzept ordentlich mitzieht, hat eine gute Perspektive in der Nationalmannschaft.“ Leistungssport knallhart.
Zu seinem neuen Ankerplatz im hohen Norden fuhr Hans Gruhne am Dienstag erstmalig. Zuvor packte er noch Sachen in Potsdam. Wehmut war mit dabei. „Das ist – gerade in meinem nicht mehr gerade geringen Athletenalter – eine echt riesige Veränderung“, sagt der 30-Jährige, der bisher Berlin als Haupttrainingsort hatte, mitunter aber auch noch auf Potsdams Gewässern unterwegs war. „Hier hat es mir an nichts gefehlt. Ich wäre gerne den Weg so weitergegangen.“ Doch das ist eben mit seinem Traum von Tokio nicht mehr zu vereinbaren.
Beste Athleten sollen an wenigen Standorten zusammentrainieren
Durch die viel diskutierte Spitzensportreform wird in Deutschland versucht, die Förderstrukturen zu verschlanken, um effektiver und letztlich erfolgreicher zu arbeiten. Ein Fokus liegt auf der Zusammenführung von Top-Athleten an wenigen Leistungszentren. Der Deutsche Ruderverband hat hierfür Hamburg/Ratzeburg (Skull-Männer), Dortmund (Riemen-Männer), Berlin (Skull-Frauen) und Potsdam (Riemen-Frauen) erkoren.
„Raus aus der Komfortzone“: Mit dieser Forderung sehen sich Aktive inzwischen häufig konfrontiert – für bessere Leistungen seien auch zum Teil einschneidende Neuerungen notwendig, wird von Funktionären oder Politikern gerne an sie adressiert. Doch trauen sich Sportler diesen Schritt an einen anderen Ort oft nicht. Sie haben sich ein soziales Umfeld aufgebaut, sind verwurzelt, arbeiten nebenbei an einer beruflichen Zukunft – und sollen das auf einmal alles zurücklassen?
Hans Gruhne ist Mitglied der Bundespolizei-Sportfördergruppe, hat dadurch eine sichere Job-Aussicht für die Zeit nach dem Sport. „Aber meine Freundin arbeitet in Potsdam. Und sie ist schwanger. Völlig nach Hamburg ziehen kommt für uns nicht infrage“, sagt der dreifache WM-Medaillengewinner. Deshalb mietet er sich für seine Hamburger Zeit in einem Zimmer auf dem Gelände des dortigen Olympiastützpunktes (OSP) ein. Er hadert: „Uns wird vom Verband quasi auferlegt, dass wir den Standort wechseln, erhalten aber keine finanzielle Unterstützung diesbezüglich. Die Kosten tragen wir aus eigener Tasche.“ Bis zu 270 Euro im Monat müsse er für das OSP-Zimmer berappen. „Das ist die günstigste Variante. Aber es ist eine große zusätzliche Belastung. Hinzu kommt ja noch die Miete für unsere Wohnung im teuren Potsdam.“ Aus sportfachlicher Sicht, das betont Hans Gruhne, hält er das Zentralisierungsbestreben für sinnvoll. „Natürlich ist es gut, wenn man mit den Besten zusammentrainiert“, sagt er. „Aber gerade wir erfahrene Sportler hätten uns mehr Flexibilität bei den Anwesenheitszeiten gewünscht und vor allem die entsprechende finanzielle Hilfe.“
Brandenburger Bundesstützpunkt-Zusagen weiter in der Schwebe
Doch die Verbände wissen selbst kaum, woher sie Gelder nehmen sollen. Zwar hat das Bundesinnenministerium (BMI) eine weitere Aufstockung der Sportförderung angekündigt, es bleiben aber viele Ungereimtheiten. Zum Beispiel hinsichtlich der Bundesstützpunkte ab 2019. Einige Verbände oder Bundesländer haben dieser Tage von Anerkennungen ihrer Leistungszentren durch das BMI berichtet. In Brandenburg? Herrscht keine Klarheit! „Uns fehlen weiterhin offizielle Schreiben“, sagt Andreas Gerlach, Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes. Wenn der Bundesstützpunktstatus zugesprochen wird, sei entscheidend, was damit einhergehe. Werden Trainerstellen vom Bund finanziert? Gibt es staatliche Trainingsstättenförderung? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte jüngst von „Potemkinschen Stützpunkten“ geschrieben. Demnach stehe zur Debatte, mehrere Einrichtungen imagewirksam als Bundesstützpunkte zu deklarieren, sie aber gar nicht durch den Bund zu finanzieren. „Das Ganze ist ein großes Mysterium“, bemängelte Jens Kahl, Sportdirektor des Deutschen Kanu-Verbandes. Erhellendes könnte es vielleicht am Donnerstag und Freitag bei der Sportministerkonferenz in Saarbrücken geben.
Hans Gruhne wird währenddessen rudern. In Hamburg. „Ich habe viele schlaflose Nächte hinter mir. Durch den Standortwechsel bin ich mir unsicherer denn je, ob ich das denn alles so möchte“, sagt der Potsdamer. Nur wegen des Sports fünf Tage pro Woche die Freundin zunächst schwanger und dann mit Kind allein zu Hause zu lassen, versetze ihn so sehr ins Zweifeln. „Aber ich spüre ihre Unterstützung und werde es deshalb in Hamburg probieren. Es war und ist schließlich mein Ziel, nochmal bei Olympia zu sein.“ Zum dritten Mal. 2008 in Peking wurde Hans Gruhne Sechster, 2016 fuhr er in Rio zu Gold – Tokio 2020 schippert er ungewiss entgegen.
+++ Aufbauarbeit am Potsdamer Stützpunkt +++
Im Leistungssportkonzept des Deutschen Ruderverbands ist Potsdam als Bundesstützpunkt für die Frauen der Disziplingruppe Riemen eingeplant. Am Mittwoch startet die 21-Monate-Vorbereitung auf Olympia in Tokio. „Der Zug fährt jetzt los“, sagt der leitende Trainer Sven Ueck. „Wir haben da aber nicht nur 2020, sondern besonders 2024 im Blick“, weiß er um die große Aufgabe, den schwächelnden deutschen Frauen-Riemenbereich wieder in die internationale Spitze zu führen. Ein Podestplatz bei einer Weltmeisterschaft sprang zuletzt 2007 heraus, bei Olympischen Spielen gar 1992. „Wir sind dabei, etwas aufzubauen, setzen auf eine gute Mischung zwischen jungen und erfahreneren Sportlerinnen“, betont Ueck. „Wir werden jetzt gucken, wie sie sich weiterentwickeln. Der Kaderkreis ist dann dementsprechend beweglich, verändert sich bestimmt mit der Zeit.“
Um das in die Jahre gekommene Potsdamer Ruderzentrum den Ansprüchen eines Bundesstützpunktes gerecht werden zu lassen, investieren Bund, Land und Stadt darin. Insgesamt rund 200.000 Euro werden laut Landesregierung zur „Ertüchtigung“ der Anlagen ausgegeben – unter anderem erhalten die Gästezimmer im Seekrug eine Sanierung. „Solange die nicht fertig sind, kommen die Athletinnen im Sportinternat unter“, erklärt Ueck. Eine Anwesenheitspflicht am Stützpunkt werde es auch geben. „Ad hoc geht das aber bei einigen nicht. Für diejenigen, die gerade in der Ausbildung sind oder studieren, halten wir es flexibel und versuchen, Lösungen hier vor Ort zu finden.“
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