Bettina Jahnke vom HOT Potsdam schreibt an Fontane: "Warum haben Sie nie selbst für die Bühne geschrieben?"
In unserer Serie „Briefe an Fontane“ richten Brandenburger Kulturschaffende ihre persönlichen Fragen an Theodor Fontane. Bettina Jahnke, Intendantin des Potsdamer Hans Otto Theaters widmet sich der Theaterfrage.
Lieber Theodor Fontane,
obwohl Sie ein leidenschaftlicher Theatergänger waren, haben Sie nie für, sondern immer nur über das Theater geschrieben. Parkett, Platz 23: das war Ihr Stammplatz im damaligen Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt und die „Vossische Zeitung“ war 20 Jahre lang Ihr Sprachrohr. „Da sitzt das Scheusal wieder“, so der Titel eines Sammelbands mit Ihren besten Theaterkritiken, erschienen im Aufbau-Verlag. Sie waren, so lese ich heute, ein gefürchteter Kritiker, der gnadenlos verreißen konnte und nur selten Lob spendete: „Der ganze Abend litt unter einer gewissen Fläue.“ oder „Fräulein Meyer sentimentalisiert.“ Das klingt nach der guten alten Sitte: der Kritiker hat immer Recht. Statt Diskurs: Einbahnstraße und Urteile fällen.
Auch sollen Ihre Kritiken eher langatmige Inhaltsangaben und Stückanalysen gewesen sein, ganz anders als Ihr Zeitgenosse Alfred Kerr, dessen brillant geschriebene Verrisse noch heute ein Fest sind. Wiewohl ich froh bin, weder von Ihnen noch von Kerr rezensiert worden zu sein: zu sakrosankt die Mentalität, Zensuren zu verteilen, statt über die Inszenierung und die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Stück zu schreiben. Wenn eine Hamlet-Aufführung mit dem Satz abgefertigt wird: „Gut war nur Herr Wünzer (Geist)“, dann ist es mit dem Theaterverständnis nicht sehr weit.
Es gibt insgesamt 700 Rezensionen aus 20 Jahren und so sei die Frage erlaubt, warum haben Sie nie selbst für die Bühne geschrieben? Angst vor dem Theaterkritiker im Parkett, Platz 23? Angst vor dem künstlerischen Zugriff der Regisseure, die Ihre Stoffe dann für die Bühne verändern, bearbeiten, unkenntlich machen? Aber das sogenannte Regietheater ist eine Erfindung der Neuzeit, zu Ihrer Zeit blühte eher der Naturalismus auf den deutschen Bühnen: Gerhart Hauptmann vor allem und natürlich, neben den Klassikern: der Schwede Henrik Ibsen.
Es ist doch interessant, dass Sie es trotzdem neben den obengenannten Dichtern auf die Theaterspielpläne der Gegenwart geschafft haben. Ihre EFFI BRIEST ist inzwischen Nationalheiligtum und, da Schullektüre über Jahrzehnte hinweg, für die Theater eine Pflichtveranstaltung. Abgesehen davon, dass die Effi für eine junge Schauspielerin neben dem Gretchen eine der dankbarsten Rollen der Theaterliteratur ist, gibt es inzwischen unzählige Bearbeitungen und Theaterfassungen von Ihrem Roman: vom Monolog bis zum Zwei- oder Vielpersonenstück, es ist alles vertreten. Es ist interessant, dass ein Hamlet oder ein Lear heutzutage gern auch von Frauen gespielt wird, umgekehrt es aber meines Wissens keinen männlichen Effi Briest gegeben hat. Selbst Elisabeth und Maria Stuart wurden schon von Männern gespielt, auch die beiden alten Damen aus „Arsen und Spitzenhäubchen“ und die drei Tschechow-Schwestern Olga, Irina und Vera haben die Männer schon für sich entdeckt.
Effi ist und bleibt Effi, im Spitzenkleid, gerne auf der Schaukel und die Mutter ruft: „Nicht so wild! Nicht so leidenschaftlich, Effi!“ und dann nimmt das tragische Schicksal seinen Lauf.
Die Verfilmung von Rainer Werner Fassbinder hat mich damals nachhaltig beeindruckt und es gibt eine fantastische Verfilmung aus den 70ern von der DEFA mit Angelika Domröse in der Titelrolle. Wahrscheinlich würden Ihnen die Verfilmungen eher gefallen als die Theateradaptionen. Sie bleiben in Ihrer bürgerlichen Welt vom Kostüm bis zum Interieur, hingegen das Theater eher die Seelenlandschaften der Figuren auslotet und versucht, sie ins Heute zu holen.
Ich bin gespannt, ob die Theater in Ihrem Jubiläumsjahr noch weitere Romanadaptionen auf die Bretter bringen werden. Im Hans Otto Theater wird es einen musikalischen Abend mit Gedichten und Balladen von Ihnen geben: „Auf dich Theo! oder Der Staub vergeht, der Geist besteht!“
In diesem Sinne, sehen wir uns im April unterm Birnenbaum in der Reithalle/BOX.
Hochachtungsvoll
Bettina Jahnke
>>Nächste Woche schreibt der Literaturwissenschaftler und Historiker Iwan-Michelangelo D’Aprile, Professor für Kulturen der Aufklärung an der Universität Potsdam.
Bettina Jahnke