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Peer Trilcke, Leiter des Theodor Fontane Archiv.
© Sebastian Gabsch

Potsdamer Briefe an Fontane: "Die Zeit der Briefe ist vorbei"

In unserer Serie „Briefe an Fontane“ richten Brandenburger Kulturschaffende ihre persönlichen Fragen an Theodor Fontane. Peer Trilcke, Leiter des Potsdamer Fontane-Archivs, beginnt.

Hochverehrter Herr,

die Zeit des Briefes ist vorbei. Aus unserem Medienrepertoire ist er nahezu verschwunden. Doch schon zu Ihrer Zeit stand der Brief unter medialem Konkurrenzdruck. „Es ist eine schlimme Zeit zum correspondieren“, schrieben Sie 1878 an Ihre Ehefrau Emilie, „das Große und Allgemeine nehmen einem die Telegramme und Zeitungen vorweg“. Als Nachrichtenmedium, das er lange Zeit war, hatte der Brief auch für Sie bereits ausgedient. Die großen Ereignisse Ihrer Epoche erfuhren Sie aus der Zeitung, die Sie mehrmals täglich (es erschienen ja noch Morgen- und Abendausgaben) durchforsteten: nachrichtenhungrig, ein wenig sensationslustig und immer auf der Suche nach guten Stoffen für den nächsten Roman.

Ein Fontane-Porträt von dem Potsdamer Maler Christian Heinze.
Ein Fontane-Porträt von dem Potsdamer Maler Christian Heinze.
© Andreas Klaer

Allerdings dreht sich das Leben ja nicht nur um das „Große und Allgemeine“. Meist ist es – das wussten Sie nur allzu gut – eher „das Kleine, das recht eigentlich das Leben ausmacht“. Und für dieses „Kleine“, für das Alltägliche und Persönliche, für das Geschäftliche wie für das Private: dafür vor allem war der Brief da, dafür war er perfekt. Umso besser, dass auch der Brief mit der Zeit ging, ein modernes Medium wurde. Seit 1849 schon stand er unter Dampf. Die Bahnpost hatte in Preußen den Betrieb aufgenommen, der lange Abschied vom Postkutschenzeitalter hatte begonnen. Auch die Sache mit dem Porto wurde moderner. Im November 1850 erschien die erste preußische Briefmarke. Sie haben sie sogleich verwendet. Auf dem Umschlag eines Briefes an Ihren Freund Friedrich Witte, datiert auf den 19. März 1851, klebt noch heute eine dieser ersten, leuchtend gelben Briefmarken mit dem Konterfei Friedrich Wilhelm IV.

Apropos Friedrich Wilhelm IV.: An den haben Sie – ebenfalls im März 1851 – auch einen Brief geschrieben. Einen Bittbrief, in dem Sie den „allergroßmächtigsten König“ darum ersuchen, „aus dero Schatulle mir eine bestimmte Unterstützung auf bestimmte Zeit angedeihn zu lassen“. So schrieb man damals, wenn man sich an Könige wendete.

Denn stets galt es, den richtigen Ton zu treffen, einem König konnte man nicht mit Plaudereien kommen. Briefe sind nicht selten strategische Schriftstücke. Kalkulierend versteckt sich ihr Schreiber hinter Formeln und Etiketten, von denen er sich erhofft, sie mögen ihn seinem Ziel näherbringen. Nicht immer war dieses Ziel die Schatulle des Königs. Auch der Geschäftsbrief an den Verleger oder den Redakteur wollte klug inszeniert sein. Vielleicht ließ sich für das nächste Buch oder für den nächsten Zeitschriftenabdruck ein besseres Honorar aushandeln? Für einen freien Schriftsteller wie Sie war der Brief auch ein Mittel der Selbstvermarktung, der Verhandlung, der Auseinandersetzung. Wer sich nicht selbst behauptet, verliert.

Wie angenehm dagegen, sich an einen privaten Brief zu setzen, in dem es nicht ums Gewinnen oder Verlieren geht: Entspannt die Schwanenfeder zu spitzen, sie in die dunkelblaue Tinte einzutunken und im fröhlichen Fluss der Wörter sich als der zu geben, der man ist. Ohne Maske, ohne Pose.

Ein Brief des Schriftstellers Theodor Fontane.
Ein Brief des Schriftstellers Theodor Fontane.
© Bernd Settnik/dpa

Doch hat die private Plauderei ihre eigenen Tücken, auch das wussten Sie. Briefe sind ein heikles Medium. Wer sich brieflich enthüllt, läuft Gefahr, zum Klatsch zu werden. Wie schnell fällt ein Brief in fremde Hände, beginnt zu zirkulieren, macht die Runde, was dann zu allerlei Missverständnissen, Gesichtsverlusten, Verhängnissen führen kann. „Laß keine Briefe umherliegen“, ermahnten Sie (natürlich in einem Brief) einmal Ihre Tochter Martha, „weder solche die Du schreibst, noch solche, die Du empfängst. Solche, die einem irgendwie Verlegenheit verschaffen können, muß man gleich verbrennen oder in kleine Stücke zerreißen“. Ihre Ehefrau Emilie hatte diese Lektion verinnerlicht: Kurz nach Ihrem Tod hat sie die delikate Korrespondenz, die Sie beide in den Verlobungsjahren wechselten, vernichtet.

Nicht jede war so vorausschauend. Warum in aller Welt hat Effi jenes kleine, „mit einem roten Seidenfaden“ umwickelte Briefkonvolut aufbewahrt, das ihr Ehemann Geert von Innstetten in ihrem Nähtisch fand? Jene Briefe des Majors von Crampas, die Effi um ihre Ehe, ihr Kind und am Ende um ihr Leben brachten. Effis Kessiner Affäre mit Crampas war, als Innstetten die Briefe fand, lang schon Geschichte. Warum behielt sie diese Briefe? Als Stachel der Erinnerung an ihre Tage der Freiheit in den Kessiner Dünen?

Auch Sie nahmen es mit der Briefvernichtung nicht ganz so genau. Zu unserem Glück. In den klimatisierten Tresorräumen des Theodor-Fontane-Archivs, dem ich vorstehe, lagern wohlverwahrt Tausende Ihrer Briefe, darunter auch solche, die Ihnen die eine oder andere „Verlegenheit“ verschaffen könnten, ja bereits verschafft haben, sind doch die meisten dieser Briefe bereits ediert. Man kann sie, abgedruckt in Büchern, in jeder Buchhandlung erwerben. Wir vom Archiv arbeiten im Übrigen derzeit daran, die handschriftlichen Originale dieser Briefe online zu stellen. Im März werden wir damit beginnen. Bald schon werden Ihre Briefe nach und nach frei zugänglich im Internet ,umherliegen’. - „Laß keine Briefe umherliegen“. Oder vielleicht doch?

„Schreibe lange und gute Briefe, auf daß sie gesammelt werden und – Du lang lebest auf Erden“, haben Sie Ihren Freund Bernhard von Lepel einmal ermuntert. Was Sie betrifft, ist dieser Plan aufgegangen: Wir feiern in diesem Jahr Ihren 200. Geburtstag; chapéau, das ist ein durchaus langes Leben. Zu verdanken haben Sie dies auch Ihren Briefen. Nicht, weil diese Briefe Sie als literarisches Denkmal zeigen, als Meister ohne Fehl und Tadel. Sondern weil Sie uns in diesen Briefen als widersprüchliche, schillernde, brüchige Person entgegentreten. Stilistisch brillant und grandios pointiert, humorvoll, bei Zeiten wunderbar einfühlsam, aber zuweilen auch leidend, nörgelnd, schimpfend: Anlass gebend zu so mancher „Verlegenheit“.

Am Ende gilt auch für Sie, verehrter Herr, was Sie über Ihre Romanfiguren sagten: Jeder hat so seinen „Knax“. In Ihren Briefen lässt sich das nachlesen.

Hochachtungsvoll

Ihr Peer Trilcke

>>Nächste Woche schreibt Bettina Jahnke, die Intendantin des Hans Otto Theaters, einen Brief an Fontane. Alle Folgen der Serie „Briefe an Fontane“ lesen Sie auf www.pnn.de/themen/fontane

Peer Trilcke

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