Interview mit Fontaneforscher Gotthard Erler: „Bitte keine so hingefludderten Briefe“
Fontaneforscher Gotthard Erler spricht über Theodor Fontanes Sucht nach dem Briefeschreiben, sein merkwürdiges Verhältnis zum Judentum und seine Abneigung gegen Fahrten nach Potsdam.
Potsdam - Am Donnerstag, 31. Januar starten wir unsere Serie „Briefe an Fontane“, in der Potsdamer Kulturschaffende ihre persönlichen Fragen an den Dichter richten. Zur Einstimmung sprachen wir mit dem Fontaneexperten Gotthard Erler über Theodor Fontane als Briefeschreiber.
Herr Erler, Sie haben 2018 ein „Best of“ der Ehebriefe zwischen Theodor und Emilie Fontane herausgegeben, das den schönen Titel „Die Zuneigung ist etwas Rätselvolles“ trägt. War Fontane ein Romantiker?
Nein, eher ein nüchterner Märker mit gelegentlichen romantischen Anwandlungen. Was er beispielsweise 1856 aus London an seine schwangere Frau in Berlin schreibt, ist eine unglaubliche Zumutung. Er gebärdet sich als Hausarzt und sogar als Gynäkologe und gibt Ratschläge, die hanebüchen, ja geradezu bösartig sind.
Was für Ratschläge waren das denn?
Emilie hat keine eigene Wohnung, keine festen Einkünfte, kennt nur den Geburtstermin ihres nächsten Kindes. Und der Mann schreibt ihr: „Ich wünsche recht sehr, daß Du ein gesundes Kind zur Welt bringst. ... Nur keine allzu elendenWürmerchen; es ist eine Art Ehrensache; also nimm Dich zusammen und thu das Deine. Man schreibt mir sonst auf den Grabstein: seine Balladen waren strammer als seine Kinder.“ Ich weiß nicht, wie eine werdende Mutter, die schon drei Babys verloren hat, darauf reagiert. Witzig oder gar tröstlich ist es jedenfalls nicht.
Sicher nicht!
Auf der anderen Seite haben die Fontanes sich auch wunderschöne Liebesbriefe geschrieben – wobei wir die sicher leidenschaftlichen aus der fünfjährigen Verlobungszeit nicht kennen, da Emilie diese Korrespondenz nach seinem Tod verbrannt hat. Möglicherweise, weil er dort auch über seine zwei vorehelichen Kinder aus einer anderen Verbindung in Dresden geschrieben hat. Zudem hat Emilie, mit seiner Zustimmung, auch aus dem späteren Briefwechsel viel Familieninternes ausgesondert.
Aber es ist doch ein Brief bekannt, in dem sie ganz gerührt von seinen Worten ist...
Ja, der stammt aus dem Jahr 1867 und dort schreibt sie nach 17 Ehejahren: „Das Blut stieg mir ins Gesicht und ich lief schleunigst in mein Zimmer, um allein zu sein. Wie wunderbar doch geschriebene Worte wirken, es war mir, als umfaßtest Du mich so liebevoll ...“ Leider ist Fontanes Brief nicht überliefert, der dieses Bekenntnis ausgelöst hat.
Es existieren immerhin noch 750 Briefe des Ehepaares. Was macht diese so besonders?
Emilie und Theodor Fontane haben, wenn sie getrennt waren, in guten und in schlechten Zeiten, regelmäßig ihren Brief-Dialog geführt. Der war natürlich in existenziellen Ehekrisen besonders dramatisch, weil Fontane zweimal (1870 und 1876) vermeintlich gute Stellungen aufgab – unter dem Motto „Mir ist die Freiheit Nachtigall, den andern Leuten das Gehalt“. In solchen Situationen drehte Emilie durch, weil sie um den Unterhalt der Familie fürchtete und nach ihrer abenteuerlichen Lebensgeschichte auf finanzielle Sicherheit bedacht war, die der Schriftsteller-Ehemann freilich nicht bieten konnte. Auf dem schmalen Grat zwischen Anpassung und Selbstverwirklichung argumentiert sie klug und überzeugend in ihren Briefen, die übrigens in „normalen“ Zeiten ständig anregende Stichworte für ihren Mann liefern.
Inwiefern?
Fontane bezeichnete das Briefeschreiben als eine Form der „lichtgebenden Debatte“ und er brauchte zeitlebens einen Partner, bei dem er sich „ausräsonnieren“ konnte. Die vielseitig interessierte und meist wohlunterrichtete Emilie entlockt ihm mit ihren Briefen immer wieder aufschlussreiche Ausführungen über Zeitgeschichte und Politik, über Kunst und Gesellschaft. Entsetzt und schockiert, dass man im Jahre 1878 sogar auf den alten verehrten Kaiser schießt, verfolgt sie die Nachrichten über das Attentat auf Wilhelm I. und fragt bei Theodor an, was davon zu halten sei. Der antwortet mit einem erstaunlichen politischen Essay, wobei er Vorgänge aus der Geschichte einbezieht und die gegenwärtige Situation in Preußen beurteilt.
Von Fontane sind 6000 Briefe erhalten.
Vermutlich hat er aber mehr als das Doppelte verfasst; allein an Emilie will er über zehntausend Mal geschrieben haben. Solche Mengen sind zu seiner Zeit eigentlich die Norm. Bismarck und Goethe, Hesse und Thomas Mann haben sehr viel mehr geschrieben. Fontanes Briefe gelten als etwas Besonderes. Sie sind äußerst spannend, durchweg vorzüglich und espritvoll formuliert, und sie bieten eine Vielfalt von Formen und Themen, Bekenntnissen und Geständnissen und sind oft genug zauberhafte kleine Feuilletons.
Er hat ja nicht nur mit der Familie korrespondiert, sondern auch mit Verlegern, Bekannten und Freunden.
Das ist völlig richtig. Allein an Wilhelm Hertz, den Verleger der „Wanderungen“, sind 600 Briefe überliefert. Und in den Korrespondenzen mit Kollegen – Theodor Storm, Franz Kugler, Paul Heyse und vielen anderen – hat er sich über inhaltliche und handwerkliche Probleme ausgetauscht. Mancher heutige Leser, gewohnt an die rasche und meist sorglose elektronische Post, wundert sich vielleicht, wie intensiv man seinerzeit über ein Wort oder eine Formulierung wochenlang streiten konnte.
Fontane ist dafür bekannt, daß er Briefbogen sehr dicht beschrieben hat...
Er sagte von sich selbst: „Ich bin der Mann der langen Briefe“. 12 Seiten waren eigentlich normal für ihn, zumindest bei der Familie. Viele Briefe gehen über drei Bogen, also 16 Seiten. Da ist er aber oft auch noch nicht bei dem Thema angekommen, das ihn hauptsächlich bewegt; er hat sich, wie so oft, „verplaudert“. Und dann schreibt er die Ränder voll, und zwar von hinten nach vorn. Die erste Seite ist dann gefüllt bis zum letzten Eckchen. Im Jahre 1848 hat er sogar in einem Brief an Lepel 12 Seiten mit blauer Tinte ganz normal beschrieben. Als er dann gemerkt hat, dass das immer noch nicht ausreicht, hat der die Blätter um 90 Grad gedreht und zwischen die vorhandenen Zeilen mit roter Tinte weitergeschrieben.
Das klingt nach einem sehr passionierten, aber auch eigenwilligen Briefeschreiber.
Ja, unbedingt. Ich weiß nicht, ob man es so bezeichnen darf, aber ich habe immer den Eindruck gehabt, dass der Brief als Kommunikationsmittel eine Art Droge für ihn war. Er kam nicht aus ohne die Briefe, die eigenen und die der Partner, und er wurde rasch nervös, wenn einer ausblieb oder erst später eintraf.
Er legte größten Wert auf Pünktlichkeit?
Das ist ein Punkt, den ich ihm fast übelnehmen könnte, vielleicht aber nur, weil ich seine Forderung nach „Briefbeantwortungspromptheit“ auch nur selten einhalte. Für ihn war es ein Ehrenpunkt, dass Briefe sofort oder zumindest ganz schnell beantwortet werden. Und er hat mit überraschender Selbstverständlichkeit auch auf andere Formen der Kontaktaufnahme reagiert: Wer eine Kritik über ein Buch von ihm veröffentlichte, bekam „prompt“ eine Antwort, meist liebenswürdig und für das Verständnis des Werkes hilfreich. Und er hat seinen ausgedehnten Briefwechsel mit Frau und Kindern regelrecht in ein System gepresst.
Wie sieht das denn aus?
Er hatte feste „Briefschreibetage“ bestimmt, und wenn es etwas besonders Wichtiges zu besprechen gab, dann wurde das auf „eingeschobenen Extras“ fixiert, und der normale Briefwechsel lief nebenher. Emilie hatte unter dieser postalischen Drangsal am meisten zu leiden: Er fordert sie auf, es so einzurichten, dass er montags keine Briefe mit schlechten Nachrichten erhält, sonst sei ihm gleich die ganze Woche verdorben. Auch möge sie immer darauf achten, dass ihr Brief rechtzeitig vor acht Uhr abends am Postwagen der Bahn abgegeben werde, dann kriege er ihn mit Sicherheit am nächsten Tag. Und dann die Aufforderung an die abgehetzte Emilie: „Bitte keine so hingefludderten Briefe.“
Was sagen Sie denn zu dem oft angesprochenen Verhältnis Fontanes zu den Juden?
Die von ihm selbst so genannte „Judenfrage“ ist kein „eingeschobenes Extra“, sondern ein ständig wiederkehrendes Thema, vor allem in der späten Fontane-Korrespondenz. All das, was er im Tagebuch und in Briefen an Emilie und Freunde über „die Juden“ notiert hat, stammt aus der Feder des „privaten Fontane“; öffentlich hat er nach meiner Kenntnis nie etwas gegen „die Juden“ publiziert, nie etwas Antisemitisches drucken lassen – das haben in seiner Zeit andere besorgt, bis hin zum Berliner Hofprediger Stoecker. In mehreren Romanen spielen Juden als Geldgeber, Mäzene oder Kunstsammler eine Rolle; in dem Roman „Mathilde Möhring“ sind sie im Gegensatz zu der unerträglichen Adelsgesellschaft sogar die einzigen vernünftigen Menschen. Und doch hat derselbe Autor in nichtöffentlichen Dokumenten schlimme antijüdische Urteile formuliert.
Dabei hatte er jüdische Freunde, Georg Friedlaender zum Beispiel.
Dass er einige der aggressivsten Äußerungen ausgerechnet Briefen an den jüdischen Amtsgerichtsrat Georg Friedlaender anvertraut, zeigt, wie kompliziert und vielschichtig seine Haltung gewesen ist. Mit namhaften jüdischen Vertretern des öffentlichen Lebens war er verbunden und befreundet: etwa Verleger Wilhelm Hertz und Zeitschriften-Herausgeber Julius Rodenberg. Und wie Max Liebermann und Fontane bei den Maltagen über Gott und die Welt und Preußen hergezogen sind, das kann man sich lebhaft vorstellen. Fontanes Bemerkungen zur „Judenfrage“ sind sehr widersprüchlich und schwankend. Und neben dem Alltagsantisemitismus, in den er insgeheim voll integriert war, hat er auch dem Satz eines Berliner Gymnasialprofessors zugestimmt, der ihm auf einer Fahrt nach Potsdam gesagt haben soll: „Die Juden besorgen den Deutschen die Kultur und die Deutschen revanchieren sich mit dem Antisemitismus.“
Ist Fontane oft nach Potsdam gefahren?
Ja und nein. Er scheute sich vor solchen Fahrten, bei denen er sich „in Schale werfen“ musste. An Emilie schrieb er einmal, er müsse sich noch anziehen, und das sei, wie sie wisse, „wie Haus bauen“. Er verkehrte gern bei Pfarrer Windel in der Friedenskirche, und er traf sich in den fünfziger Jahren, als Storm in Potsdam lebte, gern mit diesem – allerdings immer in der Gefahr, von dessen unerzogenen Kindern attackiert zu werden, die durchaus an der Kaffeetafel unter dem Tisch spielten und sogar einem Gast in die Wade bissen.
- Das Gespräch führte Sarah Kugler
ZUR PERSON: Gotthard Erler, geboren 1933 in Meerane, ist Literaturhistoriker, Verleger sowie Fontaneforscher. Er ist unter anderem Herausgeber der Großen Brandenburger Ausgabe mit Werken Fontanes.