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KulturMachtPotsdam plant große Aktion am Alten Markt ein Jahr nach dem ersten Kultur-Lockdown am 13. März 2021
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Kultur-Aktionstag am 13. März 2021: Potsdams Kulturszene sucht die Utopie

Mehr als 160 Kulturschaffende gehen am 13. März mit KulturMachtPotsdam in die Offensive – mit außergewöhnlichen Projekten.

Potsdam - „Kultur dient dazu, Utopien zu entwickeln“, sagt Anja Engel, Sprecherin des Rechenzentrums, zu Beginn der ersten Pressekonferenz von KulturMachtPotsdam. Wie eine solche Utopie konkret aussehen kann, machte die folgende Stunde deutlich. Vorgestellt wurde, was das Potsdamer Aktionsbündnis von Kulturschaffenden für den 13. März 2021 plant – den Jahrestag des ersten Kultur-Lockdowns. „Wir sind noch da“, das will die Szene an dem Tag bekanntlich zeigen. Das utopische, in dieser Wucht neue Elemente daran ist das geschlossene Neben- und Miteinander, mit dem das geschieht. 

Anja Engel
Anja Engel
© Ottmar Winter

Am 13. März wird nicht in Hoch- oder Subkultur, in „groß“ oder „klein“ unterschieden. Wer dabei sein wollte, ist dabei. Und man wollte. Annette Paul zufolge werden sich über 160 Künstler:innen präsentieren – auf drei analogen Bühnen im Nikolaisaal, Hans Otto Theater und Kunsthaus Sanstitre und auf drei digitalen Bühnen. Alles live, alles nur im Stream. Und alles kostenlos – Spenden seien natürlich willkommen. Ob wie ursprünglich geplant auch am Alten Markt eine Installation stattfinden kann, ist noch offen.

Erinnern wir kurz an die Anfänge

Im Frühjahr 2020, als der erste Lockdown die Kultur lahmlegte, hatte eine Kerngruppe um HOT-Intendantin Bettina Jahnke, Kulturakteur:innen zur Selbsthilfe aufgerufen. Es bildeten sich Arbeitsgruppen, Potsdams Kulturbeigeordnete Noosha Aubel (parteilos) stieß dazu. Im August fand mit rund 70 Menschen das erste große Netzwerktreffen statt, erstmals unter dem Namen KulturMachtPotsdam. Das Netzwerk wuchs. Der zweite Lockdown kam, die Not der Kulturschaffenden wuchs auch. Von der Kulturbeigeordneten bis zur Intendantin ist man sich sicher: Ohne den Leidensdruck, den Corona mit sich brachte, würde es das Potsdamer Netzwerk heute so nicht geben.

Im November begann man, die erste gemeinsame Aktion zu planen. Ende Februar brachte das Bündnis einen Forderungskatalog an die Politik heraus. Darunter: mehr Teilhabe an städteplanerischen Prozessen, mehr Transparenz, mehr Unterstützung, andere Förderung. Im Nachgang des Aktionstages will man hierfür wieder mehr Druck machen. Zunächst aber: Der Schritt an die Öffentlichkeit. 

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Das zentrale Prinzip der Veranstaltung lautet Überforderung. „Wir haben uns bewusst dazu bekannt“, sagt Intendantin Jahnke. Niemand sollte aussortiert werden, alle sollten unter den gleichen Bedingungen eine Bühne bekommen: 10 Minuten pro Künstler:in. Das Programm platzt daher aus allen Nähten. 

Alles von einer Website aus zu erreichen

Aber: Es ist gut auch sortiert. Der zentrale und einzige Zugang zu den Aktivitäten am 13. März befindet sich auf der Netzwerkwebseite www.kulturmachtpotsdam.de. Dort kann man dann wählen: Entweder man klickt sich mithilfe angebotener Filter (Theater, Familie, Kunst, Musik) durch das eng getaktete Tagesprogramm. Oder man schaut sich in den sechs Schauplätzen um, von wo jeweils Livestreams zugeschaltet sind.

Im Hans Otto Theater gibt es ab 14.30 Uhr ein Familienprogramm, moderiert von der Clownin Angela Hopkins. Später Jazz vom LazzigTrio oder Wolfram Lotz’ flammende „Rede zum unmöglichen Theater“ von HOT-Mitglied Katja Zinsmeister. Im Nikolaisaal zeigt das Kabarett Obelisk „Spahnsinn 2.1“, Joachim Berger singt vier Lieder aus Schuberts „Winterreise“, der zeitgenössische Komponist Alex Nowitz gibt ein Pfeifkonzert und einen Text über „Die Kulturlose Zeit“ zum Besten, die experimentelle Flötistin Sabine Vogel spielt Improvisationen unter dem Titel „Isolated Connected“. Ein Projekt, das es der Potsdamer Künstlerin im Lockdown ermöglichte, zu reisen, obwohl reisen unmöglich war: Sie ließ andere Künstler zu ihren eigenen Improvisationen improvisieren. So reiste eine Potsdamer Musik bis nach Japan, Sri Lanka, Mexiko und Neuseeland.

Auch im Kunsthaus Sanstitre gibt es Kunst quer durch den Garten: Clownstheater von Steffen Findeisen und Marcel Pilz, Maskentheater von Noriko Seki und von dem Schauspieler René Schwittay Gedichte von Robert Gernhardt.

Während im Hans Otto Theater, Nikolaisaal und Sanstitre Gäste live auftreten (vorher wird getestet), bieten drei weitere Schauplätze rein digitale Formate an. Das im Vergleich konventionellste: digitales Kino. Hier zeigt der Fotograf Klaus D. Fahlbusch das Potsdam von 1989, der Tangotänzer Michal Ihnow einen Mitschnitt seiner Ballettgala „Ballet sin Fronteras“, aufgenommen im Palais Lichtenau.

Ein Museum das bleibt

Neue, überraschende Digital-Formate sind jedoch das „RZSpektral Enterspace“ und das Virtuelle Museum. Letzteres kann schon jetzt als nachhaltigstes Produkt des Aktionstages gelten, so Koordinatorin Annette Paul: Das virtuelle Museum bleibt auch nach dem 13. März geöffnet. Der virtuelle Ausstellungsraum, dem Potsdam Museum nachempfunden, zeigt zeitgenössische Werke, die sonst (noch) nicht im Museum hängen: von Jana Wilsky und Simone Westphal, K.T Blumberg oder Jenny Alten und Heike Isenmann. Besucher:innen können sich frei im virtuellen Raum zwischen den Bildern bewegen und sie quasi hautnah heranzoomen.

Plakat von Heike Isenmann.
Plakat von Heike Isenmann.
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Frei bewegen kann man sich auch im „RZSpektral Enterspace“. Klingt kompliziert, will aber etwas Einfaches: Begegnungsort sein. Technisch möglich wird das durch Zoom, Home Office erfahrenen Menschen bestens bekannt. Wer es nicht kennt, wird von „freundlichen Türsteher*innen“ begrüßt und eingewiesen. Eine bislang noch wenig bekannte Facette des Zoom-Formats ist der „Spacial Chat“: Hier kann man sich in separate Chatrooms zurückzuziehen – und über eine Art Avatar sogar räumlich bewegen. Zu anderen Besucher:innen hin – oder von ihnen weg. 

Über den Service „Potsdam liefert.de“ gibt es das Menü zum Aktionstag, und auch eine 3D-Brille als Souvenir. „Das kommt dem Festival-Feeling schon sehr nahe“, sagt Sina Schmidt, die den „Spacial Chat“ betreut. Und es kündet doch, wie die Aktion in aller digitaler Pracht insgesamt, im Grunde von jener Sehnsucht, die Bettina Jahnke so formulierte: „Dass wir uns im April oder Mai auf allen Bühnen hoffentlich analog wiedersehen.“ 

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