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Von links: Jens Uwe Sprengel, Anja Engel und Heike Bohmann.
© Ottmar Winter PNN

Interview | Netzwerk „KulturMachtPotsdam“: „Die Krise geht jetzt erst richtig los“

Nikolaisaal Potsdam, Rechenzentrum und T-Werk haben nicht viel gemeinsam. Und doch sind Heike Bohmann, Anja Engel und Jens-Uwe Sprengel überzeugt: Die Coronakrise ist nur solidarisch zu überwinden. Ein Gespräch über das neue Netzwerk „KulturMachtPotsdam“.

Frau Bohmann, Frau Engel, Herr Sprengel, wir treffen uns kurz nachdem offiziell wurde, dass der zweite Lockdown für die Kultur weitergehen wird – zunächst bis 20. Dezember. Was halten Sie als Kulturschaffende von dieser Salamitaktik?
Heike Bohmann
: Aus Konzerthaussicht ist dieses Auf-Sicht-Fahren unproduktiv. Ich merke auch im Dialog mit der Politik, dass man dort schon selbst unbefriedigt ist von diesen Aussagen. Ich hätte damit gerechnet, dass es zumindest etwas gibt, das uns bis Ende Januar Klarheit verschafft. Wir alle wissen, dass bis Ende Januar ohnehin nichts stattfinden wird. Was bis jetzt kommuniziert wurde, ist, dass man Weihnachten mit der Familie feiern kann. Für uns Veranstalter heißt das, dass wir unsere Weihnachtskonzerte proben müssen, weil theoretisch an Weihnachten Konzerte stattfinden können. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Jede längerfristige Planung wurde uns vorenthalten.

Jens-Uwe Sprengel: Ich kann mich dem komplett anschließen. Was dazu kommt: Man ist nicht mehr in der Lage, den Künstlern Ersatztermine für ausgefallene Veranstaltungen anzubieten. Als Unidram wegen des zweiten Teil-Lockdowns verschoben wurde, wurden wir sofort gefragt: Verschiebt ihr das Festival? Ja, wohin denn! In den Februar oder März? Die Probleme hinter solchen Verschiebungen sind enorm. Möglicherweise kann auch der neue Termin nicht stattfinden. Den Künstlern gegenüber, die auf solche Auftritte angewiesen sind, kann man überhaupt keine verbindlichen Aussagen treffen. An sich geht es uns als Haus ja ganz gut. Das würden wir gerne den Künstlern weitergeben, ihnen die Möglichkeit geben, Geld zu verdienen. Dass man darin so ausgebremst wird, ist sehr schmerzhaft.

Anja Engel: Seit kurzem können Soloselbstständige die Novemberhilfe beantragen, und der erste Eindruck ist, dass diese Hilfe den Bedarfen nach Deckung von Lebenshaltungskosten eher entspricht. Da wurde offenbar etwas von der Politik verstanden. Das ist ein gutes Signal. Für das Auf-Sicht-Fahren der Politik bin ich auch relativ verständnisvoll. Es ist für alle das erste Mal. Ich finde aber die Diskrepanz zwischen „Ich kann weiter shoppen“ und „Ich darf nicht mehr ins Kino gehen“ immer weniger nachzuvollziehen. Anders als große Häuser sind wir im Programm ja viel flexibler, wir können spontan kleine Projektmittel umwidmen. Das haben wir im Frühjahr gemacht. Jetzt merke ich aber eine gewisse Müdigkeit. Die große Energie für neue Formate ist nicht mehr da. Je länger man auf Sicht fahren muss, desto länger werden die Nachwehen sein.

Ohne Kunst wird es still. Das Hans Otto Theater beteiligte sich am Montag mit einer Menschenkette mit Abstand an einer bundesweiten Aktion des Deutschen Bühnenvereins. Theater und Orchester wollten so auf ihre schwierige Lage in der Pandemie aufmerksam machen, aber auch ein "Zeichen von Zuversicht" aussenden.
Ohne Kunst wird es still. Das Hans Otto Theater beteiligte sich am Montag mit einer Menschenkette mit Abstand an einer bundesweiten Aktion des Deutschen Bühnenvereins. Theater und Orchester wollten so auf ihre schwierige Lage in der Pandemie aufmerksam machen, aber auch ein "Zeichen von Zuversicht" aussenden.
© Andreas Klaer

Der Nikolaisaal war sehr kreativ, was neue Formate anging. Im Zusammenhang mit dem zweiten Lockdown sagten Sie dann, die Kultur sei das „Bauernopfer“ der Politik. Das klang ernüchtert, fast bitter.
Bohmann
: Es wäre vermessen für uns zu jammern. Wir sind eine städtische Gesellschaft, sind subventioniert. Unsere Aufgabe ist es, auch unter widrigen Bedingungen weiter zu produzieren. Das bleibt unser Motor. Aber es gibt Momente, da fühlt sich das bitter an. Wir haben viel gestemmt, Konzepte entwickelt, die kompletten Musikfestspiele eingepackt, packen sie 2021 wieder aus. Im Herzen bleibe ich positiv, aber wenn ich dann zu meiner Schwester nach Köln fliege und im Check-In begegnet mir ein Typ, dessen Nase permanent über der Maske hängt, dann denke ich doch: Das kann nicht wahr sein. In Köln waren die Einkaufsstraßen voll. Hätte es andere Angebote gegeben, Museen, Kinos, Konzerte, dann hätte sich das verteilt. Jetzt gehen alle shoppen, weil es das Einzige ist, was erlaubt ist. Ich verstehe das Grundprinzip des Lockdowns, aber dann hätte es noch konsequenter sein müssen.

Was heißt das? Lieber alles schließen?
Bohmann
: Ich hätte lieber kurzfristig mehr geschlossen und es auch nachvollziehbarer verteilt. Wir sind in einer Situation, in der es immer schwerer fällt, bestimmte Entscheidungen nachvollziehbar zu vermitteln. Es fällt mir schwer, einem Abonnenten zu vermitteln, dass ich ihn ausladen muss, trotz der Hygienekonzepte und einer Klimaanlage.

Sprengel: Ich glaube, es wurde eine rücksichtslose Entscheidung getroffen, weil keine andere möglich war. Das ist der Punkt. Es ging nicht anders.

Bohmann: Der Schmerz kommt im Vergleich, finde ich. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, mit der Bahn, die auf langen Strecken bis vor Kurzem immer noch überbucht fahren durfte.

Sprengel: Dass die Energie runtergeht, hängt auch damit zusammen, dass über den Sommer sehr individuelle Konzepte erarbeitet wurden, auch die Stadt hatte ein ganz konkretes Konzept. Es gab lokale Entscheidungen, die wir als Veranstalter aufwändig umgesetzt haben. Dann gab es aufgrund der hohen Zahlen den, durchaus verständlichen, Cut: Die Eigenverantwortung wurde uns vollkommen weggenommen. Da tritt jetzt eine Frustration ein. Das Gefühl, dass aller Aufwand sinnlos war – auch wenn es ganz bestimmt nicht sinnlos war. Es gibt nicht mal die Möglichkeit, wenigstens für 20 Leute zu spielen, wenn wir das wollen. Das ermüdet.

Engel: Bei uns passiert spannenderweise noch etwas anders. Ich hatte die Sorge, dass es coronabedingte Kündigungen gibt. Aber viele Künstler sagen: Hier bin ich wenigstens nicht allein, sondern umgeben von Leuten, die auch nicht ausstellen dürfen, ein Theaterstück zum dritten Mal verschieben mussten. Der kleinteilige Arbeitsraum, den wir bieten, wird gerade wichtiger. Die Mietanfragen nehmen zu. Orte von Vergemeinschaftung werden in Zeiten der Vereinzelung wichtiger.

Anja Engel ist Sprecherin des Rechenzentrums.
Anja Engel ist Sprecherin des Rechenzentrums.
© Ottmar Winter

Im Sommer riefen Sie als Teil der 16-köpfigen Kerngruppe das Netzwerk „KulturMachtPotsdam“ ins Leben. Im Selbstverständnis heißt es: „KulturMachtPotsdam soll eine Plattform für künftige Corona-Herausforderungen sein.“ Worum geht es Ihnen konkret?
Bohmann
: Im Moment fahren wir immer noch auf Sicht. Wir haben uns zusammengetan, um gemeinsam rauszugehen, gemeinsam die Dinge anzupacken. Wir haben auch schon andiskutiert, unsere Räume zur Verfügung zu stellen, wenn das T-Werk zum Beispiel zu klein für Unidram wird. Oder der Ansatz, dass wir in der MBS-Arena spielen. Einen Austausch untereinander hinzubekommen, eine größere Flexibilität zu leben, wünsche ich mir. Aus ,KulturMachtPotsdam’ soll ein langfristiges Netzwerk entstehen.

Engel: Genau, es geht darum, die Ressourcen, die in der Stadt verfügbar sind, für Künstlerinnen und Künstler verfügbarer zu gestalten. Den Nikolaisaal kannte ich schon vorher, aber durch das neue Netzwerk konnten wir vom Rechenzentrum unsere Vollversammlung hier im Foyer machen. Das wünsche ich mir seit langem, dass die Kategorien zwischen Hoch-, Sub-, E- und U-Kultur aufgelöst werden. Dass man solidarischer wird. Kann man auch Ressourcen, Technik für Open-Air-Veranstaltungen, teilen? Dass jetzt alle Veranstalter von Freiland bis Hans Otto Theater um einen Tisch sitzen, ist eine riesige Chance für Potsdam.

Sprengel: Die Pandemie hat uns die Verantwortung, die wir als Haus für die Mitarbeiter und Künstler haben, noch einmal ganz neu deutlich gemacht. Ein Netzwerk, das häuserübergreifend solidarisch arbeitet, hilft uns da auch als Haus. Um eine neue, gemeinsame Energie zu spüren.

Bohmann: Es hieß ja immer: Wir, die Großen! Bis wir auch den Leuten am Rechenzentrum klar gemacht haben, dass auch wir, die vermeintlich Großen, in ganz vielen Momenten in einer ganz ähnlichen Situation sind. Für mich gibt es da gar nicht groß und klein.

Jens-Uwe Sprengel ist Leiter des T-Werks in der Schiffbauergasse.
Jens-Uwe Sprengel ist Leiter des T-Werks in der Schiffbauergasse.
© Ottmar Winter

Nun ja, Nikolaisaal und Musikfestspiele bekommen von der Stadt im Jahr 2,286 900 Millionen Euro. Das ist eine andere Dimension als T-Werk oder Rechenzentrum.
Bohmann
: Ja, dennoch haben wir die gleichen Probleme. Wir sind nur 17 Angestellte – aber unser Team umfasst 100 Leute. Was ich nicht verstehe ist, warum es nach wie vor keine Lösung für geringfügig Beschäftigte gibt, die „Wende-Rentner“, unsere wirklich das Geld brauchen. Sie gehen jedes Mal leer aus. Dafür bräuchten wir definitiv Änderungen im Zuwendungsrecht, um die Struktur der Häuser beibehalten zu können.

Ein institutionell gefördertes Haus, eine freie Spielstätte, ein Kreativhaus mit ungesicherter Zukunft: Wie viel kann man da wirklich gemeinsam haben?
Sprengel
: Die Herausforderung ist, dass man zwar völlig andere Strukturen hat. Von basisdemokratischem Arbeiten im Plenum bis hin zu ganz klar hierarchischen Strukturen. Die Problematik der Ausfallhonorare aber zeigt zum Beispiel, dass wir alle viel gemeinsam haben: Wie können wir die Ressourcen, über die wir verfügen, so einsetzen, dass auch die Künstler davon profitieren?

Engel: Entwickelt hat sich das Netzwerk ja im Sommer aus der Gemeinsamkeit heraus, dass man in dieser Kulturlandschaft nun mal gemeinsam unterwegs ist. Von den Theatern über Konzertsäle bis hin zu den Kiezkulturen und dem Bürgerhaus am Schlaatz. Die Gemeinsamkeit ist die neue Situation, vor die uns Corona stellt. Die Gemeinsamkeit entsteht nicht daraus, dass wir die gleichen Bedingungen haben, sondern dadurch, dass wir merken, es hängt alles zusammen. Das hat Corona auch auf anderen Ebenen deutlich gemacht. Das ist die Chance daran: Das Nebeneinander nicht als Konkurrenz zu sehen, sondern als gemeinsame Landschaft.

Bohmann: Es ist eine Art „Schicksal als Chance“ würde ich sagen. Im Sommer haben wir darüber nachgedacht, eine gemeinsame Sommerbühne zu schaffen. Das würde ich großartig finden. Es wäre schade, wenn man die Situation nicht nutzt, um auch neue Blickwinkel, neue Programme zu entwickeln. Für wen ist Kultur eigentlich? Das ist eine Frage, die uns mehr denn je umtreibt.

Heike Bohmann ist Geschäftsführerin von Nikolaisaal und Musikfestspielen Potsdam Sanssouci.
Heike Bohmann ist Geschäftsführerin von Nikolaisaal und Musikfestspielen Potsdam Sanssouci.
© Ottmar Winter

Michael Schindhelm schreibt über die Folgen von Corona für die Kultur: „Zwischen institutionalisierter und freier Kunst wird ein harter Überlebenskampf zu befürchten sein.“ Wie wollen Sie das vermeiden?
Bohmann
: Ich muss für uns als Nikolaisaal sagen: Die Symbiose zwischen Freien und Festen ist ja schon da. Meine Sorge ist eher, dass sich die Freien andere Jobs suchen, weil ich sie gerade nicht beschäftigen kann.

Sprengel: Für mich sind gar nicht so sehr die Grabenkämpfe die Gefahr, sondern dass die schwächsten aufgeben. Das betrifft auch Auszubildende, die wir auch am Haus haben. Man kann sich schon fragen: Macht es unter diesen Bedingungen Sinn, noch Azubis zu haben? Im Moment gibt es noch keine Konkurrenz bei uns. Aber natürlich ist das grundsätzlich eine Frage, wie sich die finanzielle Situation der Kultur entwickelt – eine langfristige Frage. Erst einmal haben wir die größte Krisensituation zu bewältigen im Sinne von: die Häuser sind zu, die Konzepte müssen entwickelt werden. Die Chance ist jetzt, sich auf die Situation von fehlenden Steuergeldern in der Zukunft vorzubereiten. Dafür ist das Netzwerk da.

Engel: Ich denke, die Krise geht erst jetzt richtig los. Das dicke Ende kommt erst noch. Noch werden Gelder verteilt. Vielleicht auch weil die Förderhilfen nicht da griffen, wo sie wirklich gebraucht wurden – wie bei den Soloselbstständigen Musikern. Deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt, da noch Luft ist, die solidarische Praxis üben. Denn wenn die Situation sich weiter zuspitzt, bleibt dafür keine Zeit. Dann ist es gut, wenn man die Telefonnummern schon kennt.

Wo ist eigentlich das Netzwerk-Papier mit den gemeinsamen Forderungen?
Sprengel
: Erst einmal haben wir uns gefunden, ein Selbstverständnis formuliert. Das Netzwerk funktioniert noch nicht als politische Waffe. Aber es funktioniert, um die Abstimmung zwischen den Häusern herzustellen. Das war vorher nicht so.

Und was ist der nächste Schritt?
Bohmann
: Dass es bisher keinen Forderungskatalog gibt, heißt ja nicht, dass das so bleibt. Am 7. Dezember wird es erstmals eine Zoom-Konferenz geben, wo alle Interessierten dazukommen und ihre Ideen beitragen können. Und es gibt drei Arbeitsgruppen, die weiterhin arbeiten. Im Frühjahr wollen wir uns dann, wenn Corona das zulässt, mit einer Veranstaltung an die Öffentlichkeit wenden.

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