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"Der Vorname" (hier mit Ulrike Beerbaum, Mitte) ist nach "Die Mitwisser" die zweite digitale Premiere am Hans Otto Theater.
© Thomas M. Jauk

Potsdamer Online-Premiere von "Der Vorname": Die Tiger sind los

"Der Vorname" ist die zweite Online-Premiere des Hans Otto Theaters, mitten im Kultur-Lockdown. Neid, Aggression, Homophobie: In der Salonkomödie kommt Unterstes nach oben.

Potsdam - Zunächst natürlich: Tun wir nicht so, als könnte man unvoreingenommen in diesen Abend gehen. Tun wir nicht so, als sei der erste, alles andere knüppeldick überdeckende Impuls zu Beginn von "Der Vorname" nicht schlicht und ergreifend: pure Wiedersehensfreude. Drei Monate nach Beginn des zweiten Kultur-Lockdowns. 

Wiedersehensfreude mit Ulrike Beerbaum, Philipp MauritzFranziska Melzer, Hannes Schumacher und Henning Strübbe. Mit dem Bühnenraum des Hans Otto Theaters, dem Moment, wenn der Vorhang aufgeht (in der Bühne von Nehle Balkhausen halbtransparent), dem Moment, wenn der Sound von Mark Eisenschink das erste Mal einsetzt. Wenn der Umriss eines Hinterkopfes im Publikum sich kurz ins Blickfeld schiebt, wenn plötzlich ein Gymnastikball im Zuschauerraum gelandet ist und Ulrike Beerbaum ihn holen gehen muss. Mit den Momenten, die Theater ausmachen.

Ein befolgenswerter Rat: Kopfhörer auf!

Schon klar: Tun wir auch nicht so, als sei das eine gewöhnliche Premiere. "Der Vorname" von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière, Regie Moritz Peters, kommt als Stream zur Aufführung. Eine Vorpremiere hat der Regisseur es genannt, normalerweise dürfte da keine Presse rein. Nur ist gerade nichts normal, dies ist die zweite Hauptprobe. Dass nach dem Mitschnitt noch weiter gearbeitet wurde, sagt Regisseur Moritz Peters, bevor der Stream beginnt. Und er gibt auch den befolgenswerten Rat: Kopfhörer auf! So wird das Erlebnis noch exquisiter, als es das in dieser theaterlosen Zeit ohnehin schon ist.

Regisseur Moritz Peters.
Regisseur Moritz Peters.
© Stefan Klüter / Hans Otto Theater

Zu hibbeligen Synthesizerbeats werden eingangs die bourgeoisen Protagonist*innen vorgestellt: "Boubou" Elisabeth (Franziska Melzer) und ihr Ehemann Pierre (Philipp Mauritz), sie Französischlehrerin, er Professor. Sie mit gekorkten Locken, er mit bunter Brille. Er sucht sein Hemd, sie findet es, das sagt eigentlich alles. Beide erwarten Besuch: Claude (Henning Strübbe), ein Musiker, der sich "darüber definiert, was er alles nicht ist", zumindest findet das der Vierte im Bunde: Elisabeths Bruder Vincent (Hannes Schumacher). SUV, kurze Hosen, immer ein Scherz über "Salon-Marxisten" auf den Lippen. "Ein Held unserer Zeit", so sieht er sich.

Adolf, der größte Held romantischer Literatur

Dieser Vincent wird Vater, der Sohn künftig "ein echter Mann", so viel ist klar. Während Boubou die Runde flatternd und lockenwippend bewirtet, kommt das Gespräch der Männer auf den Namen des Babys: Adolphe. Natürlich nicht wie Hitler, sondern "wie der größte Held romantischer Literatur". Den keiner kennt, das ist der Witz.

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Es gibt tatsächlich einen Roman von Benjamin Constant, der so heißt, lernen wir. Jetzt beharrt Vincent zum Entsetzen der anderen darauf, dass dieser Adolphe für ihn zum Symbol seiner Liebe zur Kindsmutter geworden sei. Und überhaupt: Warum sich von einem Adolf den Namen als solchen vermiesen lassen? "Adolf ist tot, es lebe Adolf!"

Wo die Salonkomödie ins Gefährliche kippt

Philipp Mauritz wirft sich genüsslich in Pierres Erregung, Hannes Schumachers Vincent kostet die Empörung voll aus. Etwas vorhersehbar ist das, und entpuppt sich für das Publikum bald auch als ein Spaß Vincents. Lustig wird es, als Vincent das Ganze entgleitet: als seine schwangere Freundin Anna (Ulrike Beerbaum) dazustößt und von dem Namenspatron des künftigen Kindes schwärmt. Henri heißt der in Wirklichkeit. Wir im Publikum wissen das da bereits, die entsetzte Abendgesellschaft nicht.

Rote Stühle stehen im Zuschauersaal des Großen Hauses im Hans Otto Theater, der auch zu dieser Premiere leer bleibt.
Rote Stühle stehen im Zuschauersaal des Großen Hauses im Hans Otto Theater, der auch zu dieser Premiere leer bleibt.
© Sören Stache / dpa

Mit Annas Auftritt kippt die Salonkomödie auch ins Gefährliche. Die eitle Erregung über ein abstraktes Thema wird zum Angriff aufs Ureigenste: die eigenen Werte. Anna, von Pierre wegen der vermuteten Namenswahl beschimpft, schießt zurück: Von jemandem, der seine Kinder Adonas und Athena genannt hat, lässt sie sich gar nichts sagen! Jetzt ist der Tiger los, Unterstes wird nach oben gezerrt. Neid, Aggression, Homophobie. Da kann Vincent noch so sehr beteuern, alles sei nur Spaß gewesen. Gardinen fallen, metaphorisch und auch auf der Bühne. Am Ende gibt es eine blutige Nase.

Eine entfesselte Wuttirade

Bevor es zum arg versöhnlichen Schluss kommt, gehört Franziska Melzers "Boubou" der große Showdown: eine entfesselte Wuttirade auf die an ihren Mann verschenkte Karriere, seine Abwesenheit im Alltag, die Kinder, das Kochen, die Küche, das Machogehabe ihres Bruders Vincent. Die Angesprochenen haben dazu einen quälenden Moment lang nichts, aber auch gar nichts zu sagen. Also nimmt Elisabeth ihre Wut, ihren Rachedurst, ihren Ekel, und geht schlafen. 

Nach einem tablettenverstärkten Nachtschlaf wird sie vermutlich bald wieder Pierres Hemd suchen: Am Ende stellt sich die ursprüngliche Ordnung immer wieder ein, altes Komödiengesetz. So auch hier. Das ist eindrücklich und wahr und sehr bitter. Und dass es nicht wirklich live auf einer Bühne geschah, hatten wir kurz vergessen.

"Der Vorname" ist erneut am 5., 12., 19. und 26. Februar online zu sehen, abrufbar jeweils zwischen 19.30 Uhr und 0 Uhr. Karten gibt es über die Webseite des Hans Otto Theaters.

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