„Ziemlich beste Freunde“ am Hans Otto Theater: Der Unerschütterliche
In „Ziemlich beste Freunde“ am Hans Otto Theater spielt Philipp Mauritz den gelähmten Philippe
Die richtige Fußstellung ist wichtig. Genauso wie eine genau ausbalancierte Sitzhaltung. Sonst beginnen Philipp Mauritz’ Muskeln zu zittern und das dürfen sie nicht. Nicht in der Inszenierung von „Ziemlich beste Freunde“ nach dem gleichnamigen Film, in welcher der Schauspieler einen vom Hals abwärts gelähmten Mann spielt. Heute Abend hat das Stück am Hans Otto Theater (HOT) Premiere, erst wenige Tage zuvor fand die erste Durchlaufprobe statt.
Für Philipp Mauritz bedeutete das zum ersten Mal gute eineinhalb Stunden vollkommenes Stillsitzen – „durchaus eine Aufgabe“, wie er sagt. Von Herausforderung spricht er nicht gerne, von einer der herausforderndsten Rolle schon gar nicht. Das reduzierte Spiel sei vielmehr eine Chance, sich auf Mimik und Stimme zu konzentrieren. Dass Mauritz beides vielfältig einsetzen kann, hat er oft bewiesen.
In „Effi Briest“ etwa als harter Baron von Instetten oder als eiskalter König Alfonso VIII. in „Die Jüdin von Toledo“. Und doch: Trotz aller Härte schafft er es hier immer, Sympathie für seine Charaktere einzuholen. Die zerrissenen Figuren liegen ihm. Nicht immer sind sie es so deutlich wie sein hinreißender Andrej in der „Krieg und Frieden“-Inszenierung aus dem Jahr 2006. Manchmal ist es unterschwelliger wie etwa jüngst in „Geächtet“ oder auch in Yasmina Rezas „Kunst“, in dem sein verzweifelter Monolog über die bevorstehende Hochzeit zu Recht Szenenapplaus bekam.
Auch sein Philippe in „Ziemlich beste Freunde“ ist eine Figur, die zwischen den Emotionen lebt. „Es gibt sein Leben vor dem Unfall, das wir nicht zeigen, in dem er ein Lebemann, ein Abenteurer war“, sagt Mauritz. „Er war Geschäftsführer, ist immer noch ein reicher Mann, etwas Befehlendes haftet ihm noch immer an.“ Auf der anderen Seite ist er durch den Unfall hoch depressiv. Mauritz ist das nahegegangen, wie er erzählt. „Ich bin da in seelische Zustände gekommen, die ich so gar nicht kenne.“ Vor allem das viele Stillsitzen habe etwas mit ihm gemacht. Nicht nur die körperliche Muskelanspannung ist am Ende des Tages geblieben, sondern regelrecht schlechte Laune habe er bekommen. Dabei ist es selten, dass der 48-Jährige, der bereits seit 2001 Ensemblemitglied des HOT ist, seine Rollen mit nach Hause nimmt. Höchstens die musikalischen Stücke folgen ihm in das Privatleben. „Da summt und singt man dann schon manchmal die Texte“, sagt Mauritz und lächelt jungenhaft. Sein hinreißender Freddi in „My Fair Lady“ ist am 26. Januar ein letztes Mal am HOT zu sehen. Auch privat macht er Musik: Gemeinsam mit dem Musiker Marc Eisenschink ist er das Duo „Spätkauf“.
Nach Potsdam kam er nach Engagements in Karlsruhe, Würzburg, Regensburg. Eigentlich wollte er nach Berlin, gibt er zu. „Doch dort hat es leider nicht mit dem Theater geklappt.“ Hergekommen zu sein, hat er jedoch nie bereut. Mauritz ist bewusst geblieben, nicht nur wegen der Familie, mit der er in Berlin wohnt. Gezittert habe er allerdings bei jedem Intendantenwechsel, dass er gehen müsste. Doch er durfte bleiben. Es gab Zeiten, in denen große Rollen ausblieben, das habe er schon bemerkt. Mauritz sagt das ruhig, fast sachlich. Dann fügt er hinzu: „Nichtstun ist das Schlimmste.“ Nur ein Satz, aber er reicht aus, um zu verstehen, was er sagen möchte.
Die Intendanz von Tobias Wellemeyer startete für Mauritz mit einer kleinen Rolle in Lukas Langhoffs umstrittener „Macbeth“-Inszenierung – auch damals im Rollstuhl. „Außerdem hatte ich den Kopf verbunden und dachte: ,Was soll das nur werden’, erzählt er. Am Ende sei es dann doch ganz lustig gewesen. Es müssten auch gar nicht immer die Starrollen sein, nur interessant sollte die Figur sein und am liebsten verrückt. Deswegen gefalle es ihm besonders, dass seine aktuelle Rolle Philippe im Laufe des Stückes etwas von der alten Abenteuerlust zurückbekommt.
Inzwischen ist Mauritz unkündbar, ein Gefühl, an das er sich erst noch gewöhnen müsse, wie er sagt. Neben der Sicherheit schwingt doch die Frage mit, ob mit der neuen Intendanz unter Bettina Jahnke auch weiterhin gute Rollen an ihn gehen werden. „Wenn nicht, werde ich mich eben beweisen müssen“, sagt er achselzuckend. Resigniert klingt das nicht, eher unerschütterlich. Am Ende wird er dann aber doch leidenschaftlich: Wenn er davon spricht, dass der Standort Schiffbauergasse eine viel größere Aufmerksamkeit bedürfe. Viele Menschen wüssten gar nicht, dass es dort ein Theater gebe, das müsse sich ändern. „Wir brauchen hier Gastronomie, einen Spielplatz und immer hängt alles an der schrecklichen Verwaltung“, bricht es aus ihm heraus. Die von Wellemeyer ins Leben gerufene „Stadt für eine Nacht“ sei schon ein ganz wunderbarer erster Schritt für mehr Vernetzung. Was er sich für die Zeit mit Bettina Jahnke wünscht? Eine intensivere Zusammenarbeit mit der Stadtpolitik.
Die ersten Vorstellungen in der Reithalle sind bereits ausverkauft, für den 27. Januar gibt es wieder Karten
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