Comic-Bestenliste: Die besten Comics 2020 – Birte Försters Favoriten
Welches sind die besten Comics des Jahres? Das fragen wir unsere Leser und eine Fachjury. Heute: Die Top-5 von Tagesspiegel-Autorin Birte Förster.
Auch in diesem Jahr fragen wir unsere Leserinnen und Leser wieder, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren - hier eine erste Auswahl der Ergebnisse - unter allen Einsendenden werden wertvolle Buchpakete verlost.
Parallel dazu ist wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt. Die besteht in diesem Jahr aus acht Autorinnen und Autoren der Tagesspiegel-Comicseiten: Barbara Buchholz, Birte Förster, Christian Endres, Julia Frese, Moritz Honert, Sabine Scholz, Ralph Trommer, Lars von Törne.
Die Mitglieder der Jury küren in einem ersten Durchgang ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres, die in den vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Jeder individuelle Favorit wird von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt.
Daraus ergibt sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten oder mindestens zwei Nennungen landen. Diese Shortlist wird abschließend von allen acht Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet - daraus ergab sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die am 17. Dezember im Tagesspiegel veröffentlicht wird.
Die Favoriten von Tagesspiegel-Autorin Birte Förster
Platz 5: Zelba - „Im selben Boot“
Wiebke ist 16 Jahre alt und kämpft sich an die Spitze des deutschen Rudersports. Zusammen mit ihrer Partnerin Kati bestreitet sie zahlreiche Wettkämpfe, das Ziel ist die Aufnahme in die Nationalmannschaft. Das tägliche Training auf einem See in Essen bestimmt ihren Alltag. Gleichzeitig erlebt sie die erste Liebe. Mit ihrer autobiographischen Graphic Novel „Im selben Boot“ rekapituliert die mittlerweile 47 Jahre alte Zelba, eigentlich Wiebke Petersen, ihre aufregenden Jugendjahre und ihre frühe Karriere als professionelle Ruderin. In dem Comic greift sie auch die Zeitgeschichte rund um die Wiedervereinigung Deutschlands auf. Zunächst scheint diese für Wiebke weit weg. Kurz danach fürchten die westdeutschen Sportlerinnen die starke Konkurrenz aus dem Osten. Am Ende wachsen alle zu einer Nationalmannschaft zusammen und nehmen im Sommer 1991 an den Junior-Weltmeisterschaften teil. Zelba beschreibt all das in detaillierten schwarz-weiß-grauen Zeichnungen, die von farbig gestalteten, doppelseitigen Exkursen über den Rudersport oder die Historie der Wendezeit unterbrochen werden. Eine Erzählung auf mehreren Ebenen: eine Coming-of-Age-Geschichte verknüpft mit Sport und Wettkämpfen sowie dem zeitgeschichtlichen Horizont. Das sorgt für eine fesselnde Lektüre.
Platz 4: Mikael Ross - „Goldjunge – Beethovens Jugendjahre“
Im Jahr 2020 wurde, soweit es die Pandemie zuließ, mancherorts der 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven gefeiert. Comiczeichner Mikael Ross hat sich zu diesem Anlass Leben und Werk des Komponisten visuell angenähert. In seiner Graphic Novel „Goldjunge – Beethovens Jugendjahre“ konzentriert er sich auf die Kindheit und Jugend von „Luddi“, wie dieser von seinen Brüdern genannt wird. Beethoven ist bei ihm ein drolliges, aber eigenwilliges Kerlchen, das sich früh seiner besonderen Begabung bewusst ist. Erhaben wirkt er durch den skizzenhaften, cartoonhaft überzeichneten Strich zwar nicht gerade, aber genauso wenig zieht Ross Beethovens Geschichte ins Lächerliche. Er erzählt von dessen Aufwachsen in Bonn, dem tyrannischen und alkoholsüchtigen Vater, seinen ersten musikalischen Erfolgen und seinen Anfängen in Wien. Durch den Wechsel aus ernsthaften und komödiantischen Szenen entsteht ein dynamisches Erzählgeschehen. So einige Passagen, wie ein fiktives Treffen zwischen Beethoven und Mozart, bereiten in ihrem Zusammenspiel aus Dialogen, Erzählrhythmus und Tempo ein besonderes Vergnügen. Eine eindrucksvolle Ästhetik entfaltet sich durch die Farben, die an mehreren Stellen aus einem Flügel emporsteigen und die Kraft der Musik visualisieren.
Platz 3: Émilie Gleason - „Trubel mit Ted“
Wie es ist, zusammen mit einem Bruder aufzuwachsen, der das Asperger-Syndrom hat, hat die belgisch-mexikanische Comiczeichnerin Émilie Gleason selbst erlebt. Daraus entstanden ist die Graphic Novel „Trubel mit Ted“, die frei vom Leben ihres Bruders inspiriert ist. Ted ist ein junger Mann, der in Paris als Bibliothekar arbeitet. Jeder Tag ist bei ihm festen Strukturen unterworfen: In der Metro beansprucht er immer denselben Sitzplatz, bestimmte Kleidungsstücke sowie Speisen sind zu festen Zeiten vorgesehen. Wird seine Routine unterbrochen, gerät Ted zunächst in Panik, erlebt danach aber lauter Neues und Überraschendes. Mit seinen extrem langen Beinen und den hochgezogenen Schultern bewegt sich Ted in Windeseile durch die Stadt. Der reduzierte Strich und die knalligen Farben bringen dabei viel Tempo in die Erzählung. Die Kolorierung richtet sich nach seinem Wahrnehmungshorizont: So sind flüchtige Begegnungen auf die Konturen beschränkt. Wie Ted, dem Empathie schwerfällt, auf andere Menschen reagiert, ist oft unterhaltsam: Höflich ist er weniger, dafür radikal ehrlich, ohne sich dessen bewusst zu sein. Ted nimmt die Welt auf seine ganz eigene Weise wahr und wird dadurch zu einem echten Sympathieträger.
Platz 2: Julian Voloj und Søren Mosdal - „Basquiat“
Wie die äußere und die innere Welt auseinanderdriften können, zeigt „Basquiat“, die Comic-Biografie über den Künstler Jean-Michel Basquiat, der im New York der 80er Jahre einen beeindruckenden Aufstieg erlebte. Der aus Brooklyn stammende Basquiat lernte in der New Yorker Kulturszene Größen wie Keith Haring, Andy Warhol und Madonna kennen, außerdem wurde er von renommierten Galerien vertreten. Trotz seines Erfolges empfand er Einsamkeit und innere Leere. Die Drogen wurden zu seinem ständigen Begleiter. Gerade einmal 27 Jahre war er alt, als er an einer Überdosis verstarb. Szenarist Julian Voloj und Zeichner Søren Mosdal tauchen mit ihrer grandiosen Umsetzung tief in die Wahrnehmungswelt des Künstlers ein. Das gelingt, da sie Basquiat nicht nur auf einer inhaltlichen, sondern auch auf einer gestalterischen Ebene begegnen. So geht es ihnen weniger darum, biografische Eckdaten abzuarbeiten. Die Szenen laufen wie in einem Fluss, sind stellenweise assoziativ verknüpft. Immer wieder steht Basquiat auch mit einer Figur im Dialog, die aus einem seiner Gemälde zu stammen scheint. Als sein Alter Ego wird sie zum Ausdruck seiner inneren Kämpfe. Das Leben des Exzentrikers zeichnet Mosdal in einem einzigen Farbrausch nach. Die kraftvollen Töne gehen oft von der Realität in die Gedankenwelt des Künstlers über.
Platz 1: Büke Schwarz - „Jein“
In ihrem Graphic-Novel-Debüt „Jein“ erzählt Comiczeichnerin Büke Schwarz die Geschichte einer Künstlerin in Berlin: Elâ Wolfs Karriere kommt gerade so richtig in Fahrt. Sie wird Preisträgerin der Goldmund-Stiftung und bereitet zusammen mit drei anderen ausgezeichneten Künstlern eine Ausstellung vor. „Jein“ lautet der Titel der Ausstellung, als Ausdruck der Verweigerung einer klaren Aussage. Ihre türkische Herkunft empfindet Elâ für ihr Leben und ihre Kunst als nebensächlich, bis sie von den politischen Geschehnissen in der Türkei eingeholt wird. Im April 2017 stimmt die Türkei für die Verfassungsreform, die Recep Tayyip Erdogan deutlich mehr Macht verleiht. Elâ ist erschrocken und äußert sich öffentlich erstmals kritisch zur türkischen Kulturpolitik. Die Entwicklungen lösen bei ihr Reflexionen darüber aus, ob und wie sie selbst als Künstlerin politisch Stellung beziehen sollte. Die deutsch-türkische Zeichnerin Büke Schwarz wirft mit ihrer Graphic Novel essenzielle Fragen auf, die noch lange nachhallen. Es geht um die gesellschaftliche Bedeutung der Kunst und die eigene Identität als Künstlerin mit türkischen Wurzeln. Schwarz erzählt all das mit lockerem Strich in skizzenhaften Aquarellzeichnungen in Schwarz- und Grautönen. Ihr Comic ist vielschichtig, unterhaltsam und spannend erzählt. Ein überzeugendes Debüt.
Birte Förster
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