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Bettina Jahnke im Gespräch. 
© Andreas Klaer

Interview mit Bettina Jahnke: „Dialog, Dialog, Dialog“

Bettina Jahnke, Intendantin des Potsdamer Hans Otto Theaters, spricht über rassistische Äußerungen im Theater und fehlende politische Theatertexte.

Von Helena Davenport

Frau Jahnke, was sind die Herausforderungen, mit denen Sie sich aktuell als Intendantin konfrontiert sehen?
 

Wie positionieren wir uns als Theaterintendantinnen und Theaterintendanten persönlich und mit unseren Theatern im Kontext politischer Umbrüche? Darüber haben wir bei der Tagung zwei Tage lang diskutiert. Es ging dabei nicht darum, Antworten zu liefern, sondern eher darum, ein Forum zu haben, in dem wir uns austauschen können. Die Freiheit der Kunst ist in Gefahr und wir müssen uns dazu verhalten.

Zu der Tagung der Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins waren Anfang der Woche rund 70 Theater- und Orchesterintendanten nach Potsdam gekommen. Haben Sie in Gesprächen mit Kollegen auch von Problemen erfahren, die Sie sonst nicht tangieren?

Es werden beispielsweise immer wieder Theatervorstellungen von rechten Gruppierungen gestört. Das geschah im Dresdener Kabarett am 11. Januar oder auch im Deutschen Theater Berlin oder in Paderborn. Es gibt jetzt eine Partei, die eine andere Kulturpolitik verfolgt und die unsere weltoffene, liberale und auch freiheitlich gesinnte Kulturpolitik ablehnt. Diese Partei findet Mittel und Wege, unsere Kultur zu verhindern, entweder durch eine direkte Störung oder indem sie sich in die Kulturpolitik einmischt. Jedes Theater hat da unterschiedliche Erfahrungen gemacht und reagiert darauf.

Gibt es Beispiele aus Potsdam?

In letzter Zeit gab es keinen Zwischenfall, aber das will nichts heißen. Diese Zwischenfälle passieren plötzlich und ohne Vorankündigung.

Wie kam es denn überhaupt dazu, dass die Tagung in Potsdam stattfand?

Ein Theater ist immer der Gastgeber für die Kollegen und Kolleginnen, und in Potsdam ist die Gruppe lange nicht gewesen. Da ich jetzt seit eineinhalb Jahren hier, aber schon seit zehn Jahren im Bühnenverein tätig bin, war es eine gute Möglichkeit, auf unsere neue Intendanz und auf Potsdam aufmerksam zu machen.

Bettina Jahnke.
Bettina Jahnke.
© Thomas M. Jauk

Haben Sie ein gemeinsames Fazit gefunden?

Dass es wichtig ist, Haltung zu zeigen. Und dass es nicht mehr ausreicht, einen politisch ambitionierten Spielplan zu haben, sondern, dass die Theaterleiter und -leiterinnen sich auch als Personen politisch äußern müssen. Wir dürfen uns nicht von dem, dann gern zitierten, Neutralitätsgebot verschrecken lassen. Es geht nicht darum, Slogans zu verbreiten, große Sprüche zu machen, sondern die Theater zu öffnen für zusätzliche Formate und Diskussionen, parallel zu einem politisch aufgeladenen Spielplan.

Und wie ist das mit der Freiheit der Kunst vereinbar?

Kunst muss frei sein, sie darf auch politisch sein. Die Kunst muss sich in die gegenwärtigen politischen Debatten einmischen und natürlich Haltung zeigen. Sie kann aber gleichzeitig nicht alles richten, was in der Gesellschaft schiefläuft, beispielsweise bei Themen wie Inklusion, Bildung, Integration. Zwischen diesen beiden Polen muss sich die Kunst und müssen sich die Künstler und Künstlerinnen positionieren und sich ihre Freiheit nach beiden Seiten hin erkämpfen.

Gab es auch Diskussionen, bei denen gestritten wurde?

Es wurde viel diskutiert und natürlich auch gestritten. Dass wir etwas machen müssen, ist klar – die Frage ist eher, wie, in welcher Form. Das meinte ich vorhin: Drückt sich unsere Haltung nur als äußeres Statement aus, um in den Medien vorzukommen? Wie gehen wir mit Andersdenkenden um, die wir ja auch im Publikum haben? Wie gehen wir damit um, wenn bestimmte Äußerungen im Haus fallen, rassistische Äußerungen zum Beispiel, oder auch frauenfeindliche. Wie gehen wir damit um, wenn das in der Öffentlichkeit passiert, zum Beispiel bei Zuschauergesprächen?

Denken Sie dabei an ein konkretes Thema?

Da gibt es beispielsweise eine Frage, über die wir auch diskutiert haben: Darf das Wort „Neger“ auf der Bühne verwendet werden? Ist das durch die Freiheit der Kunst geschützt? Müssen wir aufpassen, dass wir vor lauter Political Correctness die Kunst zu sehr einschneiden, weil wir alles richtig machen wollen? Da gibt es natürlich extrem viel Diskussion, zurecht. Wir haben festgestellt: Es gibt kein allgemeines Gesetz. Wichtig ist, dass sich jedes Haus für sich entscheidet. Jedes Haus hat eine bestimmte innere Struktur, jedes Haus hat auch eine bestimmte Publikumsstruktur, und die Theaterleitungen müssen ein gutes, sensibles Gespür entwickeln.

Wie ist denn Ihre Meinung? Darf man „Neger“ auf der Bühne sagen?

Das hängt vom Kontext ab. Ich hätte Angst davor, dass man der Kunst nicht mehr erlaubt, Dinge zu sagen, die es aber in der Wirklichkeit gibt. Es hängt immer vom Kontext ab – wie wird das eingebunden? Wird eine Figur gezeigt, die rassistisch denkt, etwa der rechte Wutbürger in Sibylle Bergs „Viel gut essen“, dann halte ich das für richtig. Die Zuschauer und Zuschauerinnen müssen zum Nachdenken angeregt, manchmal auch durch Tabubrüche provoziert werden. Ansonsten bewegen wir uns in unseren Blasen und bestätigen uns immer nur selbst. Die Kunst muss erst einmal frei sein, sie muss erst einmal alles dürfen – dann muss man sich den Einzelfall angucken, mit den Künstlern und Künstlerinnen und den Regieteams reden und dann als Theaterleitung eine Entscheidung treffen. Wenn es einen Konsens auf der Tagung gab, dann den, dass wir immer wieder miteinander reden müssen: Dialog, Dialog Dialog.

Bettina Jahnke vor dem Hans Otto Theater.
Bettina Jahnke vor dem Hans Otto Theater.
© Andreas Klaer

Wie kann Austausch funktionieren?

Durch Vertrauen und durch eine gute Kommunikation auf allen Ebenen: im Theater selbst und mit dem Publikum. Durch Nach- und Vorgespräche zu den Inszenierungen, Podiumsdiskussionen und immer wieder durch den direkten Dialog.

Was bedeutet das alles für Potsdam? Gibt es neue Ideen, die Sie direkt anwenden wollen?

Die Tagung ist gerade zu Ende, ich muss das jetzt erst einmal ein bisschen sacken lassen. Für mich sind diese Tagungen immer gute Gradmesser für das eigene Handeln.

Es kommen sehr viele Adaptionen im aktuellen Programm des Hans Otto Theaters vor. Ist das ein allgemeiner Trend?

Ja. Es ist eine große Sprachlosigkeit in der zeitgenössischen Dramatik zu verzeichnen. Die Themen unserer Zeit finden noch zu wenig Eingang in den zeitgenössischen dramatischen Theaterkanon. Das wird von uns Theaterleuten, die nach neuen Texten gieren, mit großem Bedauern, auch mit einem Fragezeichen beobachtet. Ich glaube, die Dramatik braucht einfach mehr Zeit, um die gegenwärtige Situation adäquat in ihrer Kunst widerzuspiegeln, und so wenden wir uns eher den Romanen und Filmen zu, die uns die großen Stoffe und die komplexen Figuren liefern.

Wie werden Sie denn überhaupt auf junge Autoren aufmerksam?

Wir haben gute Kontakte zu den Verlagslektoren, bekommen ihre Kataloge zugeschickt oder wir schreiben die Lektoren und Lektorinnen an und suchen etwas zu einem speziellen Thema. Wir wollen aber auch zukünftig Autoren und Autorinnen direkt ansprechen und mit ihnen gemeinsam ein Stück entwickeln und auf die Bühne bringen.

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