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HPI Schul-Cloud wird mittlerweile von hunderttausenden Schülern genutzt. 
© Dirk Lässig

Die HPI-Schulcloud aus Potsdam: Plötzlich systemrelevant

Die HPI-Schulcloud startete als Pilotprojekt des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts. Mit dem Lockdown brauchten plötzliche tausende Schulen ein solches System – mittlerweile hat es eine Million Nutzer.

Potsdam - Es ist die Geschichte eines Potsdamer Pilotprojekts, das plötzlich enorm an Bedeutung gewonnen hat, überall dringend benötigt wird. Eines Projekts, dessen Nutzerzahlen sich innerhalb von kurzer Zeit verdreißigfacht haben – mit allen Vorzügen und Schwierigkeiten, die das mit sich bringt. Die HPI Schulcloud wurde seit 2016 am Potsdamer Hasso-Plattner-Institut (HPI) als Open-Source-Software entwickelt, gefördert aus Bundesmitteln. Ab 2017 startete es zunächst mit etwa 30 Pilotschulen. Die digitale Unterstützungsplattform für den Unterricht, nutzbar am Computer, Tablet oder Smartphone, wurde Schritt für Schritt auf rund 300 Schulen ausgedehnt, die Mitglied im naturwissenschaftlichen Exzellenz-Netzwerk MINT-EC sind. Brandenburg, Niedersachsen und Thüringen schufen länderspezifische Varianten der Cloud. Doch all das lief noch in der Projektphase, die ursprünglich bis Sommer 2021 angesetzt war.

Erster Lockdown

Dann, im März 2020, der erste Lockdown. Deutschlands Schulen waren zu. Der Vorlauf war kurz, viele nicht vorbereitet auf eine Umstellung auf den Distanzunterricht. „Plötzlich waren alle auf ein System wie unseres angewiesen“, sagt Christoph Meinel, Direktor des HPI. Aus rund 300 Schulen, die die Cloud nutzen, wurden innerhalb von weniger als einem Jahr knapp 3500. In Brandenburg verwenden mittlerweile etwa 600 und damit zwei Drittel aller Schulen die Cloud. Aus einigen tausend Nutzern wurde eine Million. Und selbst die Deutsche Auslandsschule in Silicon Valley greift auf die Schulcloud aus Potsdam zu.

Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts.
Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts.
© K. Herschelmann/HPI Hasso-Plattner-Institut

„Ursprünglich bestand unser Auftrag darin, eine datenschutzkonforme und offene Infrastruktur für das digitale Lernen zu schaffen“, erläutert Meinel. Eine einzige Plattform, bei der all jene Funktionen möglich sein sollten, die Lehrer und Schüler benötigen. Das unterscheidet sie von kommerziellen Plattformen, die teils nur manche Funktionen anbieten oder bei denen die Datenschutzfrage nicht eindeutig geregelt ist. Für Meinel ist das auch eine politische Frage: Es gehe um die digitale Souveränität. „Es ist die Aufgabe des Staates, die Daten seiner Bürger zu schützen.“

Loggt sich ein Schüler ein, sieht er in verschiedenen Farben seine aktuellen Kurse. Lehrer können dort oder auch im Bereich Aufgaben Arbeitsanweisungen hinterlegen. Das können digitale Arbeitsblätter sein, Videos oder verschiedene andere Formate. Die Lehrer können die ausgefüllten Aufgaben kontrollieren und kommentieren. Als Hilfe für die Lehrkräfte finden diese im Lernstore Bildungsmaterialien, die sicher eingesetzt werden können – ohne dass personenbezogene Daten der Schüler weitergegeben werden, das ist Meinel wichtig. Zudem können sich Klassen oder Kleingruppen über das Videokonferenzsystem Big Blue Button unterhalten.

Screenshot
So sieht die HPI-Schul-Cloud aus. 
© PNN

Aus der zunächst als Ergänzung zum Präsenzunterricht ausgelegten Plattform wurde mit dem Lockdown plötzlich ein Werkzeug für den täglichen Distanzunterricht. Aus dem Testbetrieb wurde der Normalbetrieb. Das Bundesbildungsministerium hatte das Pilotprojekt von Anfang an gefördert. Ende März 2020 verkündete Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), die HPI Schulcloud werde bundesweit für alle Schulen geöffnet, die nicht schon über eine Landes- oder Schullösung verfügten. „Die Technologie war bereit, die Größe des Teams und die Strukturen waren aber natürlich auf ein Pilotprojekt ausgerichtet. Sie mussten erst angepasst und erweitert werden, zum Beispiel im Support“, sagt Matthias Luderich, Technischer Leiter der Cloud.

Ein Rechenzentrum das Anbieters Ionos, dessen Server die HPI Schulcloud nutzt. 
Ein Rechenzentrum das Anbieters Ionos, dessen Server die HPI Schulcloud nutzt. 
© Ionos

Kritik von Lehrern, Schülern und Eltern über lange Ladezeiten oder technische Probleme blieb nicht aus. Auch gegenüber den PNN sprachen Nutzer von Unübersichtlichkeit der verschiedenen Bereiche, in denen Aufgaben hinterlegt werden, und von Unzuverlässigkeiten des Videokonferenzsystems. Einige Lehrer nutzen für Videokonferenzen statt der HPI-Schulcloud kommerzielle Programme wie Microsoft Teams, weil sie diese als stabiler empfinden, auch wenn das aus Datenschutzgründen vom Schulamt untersagt ist. Manche Eltern spotten, dass sie morgens die Cloud anklicken und sich während der Ladezeit erst einmal Kaffee kochen.

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Dafür hat HPI-Chef Meinel wenig Verständnis. „Jahrelang hat Deutschland die Digitalisierung der Schulen verschleppt, und jetzt befinden wir uns in einer Ausnahmesituation, in der alles sofort klappen soll. So funktioniert das nicht“, sagt er. Er vergleicht das mit einer Person, die plötzlich Auto fahren soll, ohne einen Führerschein zu haben. „Wenn es dann Schwierigkeiten oder sogar Unfälle gibt, liegt das nicht am Auto.“ Meinel bleibt beim Bild: Natürlich gebe es hin und wieder Stau, wenn sich morgens zur Stoßzeit alle gleichzeitig einloggen und bis zu 35.000 Nutzer gleichzeitig in einer Videokonferenz hängen. Doch teilweise, so Meinel, liege das Problem ganz einfach an der Internetverbindung der Nutzer.

Hunderte Server im Pool

Um leistungsfähig zu sein, wurde das System als Cloud konzipiert. Das bedeutet, dass das System automatisch wächst, wenn mehr Nutzer online sind. Im Januar erst meldete das HPI, dass der Serverpool um 100 zusätzliche Server erweitert worden seien. Durch das Cloud-System ist die Zahl der Server nicht präzise zu beziffern. Genutzt werden derzeit Kapazitäten in drei Rechenzentren. „Allein das Videokonferenzsystem nutzt zu Hochzeiten 740 Server, der restliche Cloudbetrieb mehr als 300 Server mit insgesamt über 3500 Prozessoren“, erläutert Matthias Luderich, Technischer Leiter der Cloud.

Matthias Luderich, Technikchef der HPI Schul-Cloud. 
Matthias Luderich, Technikchef der HPI Schul-Cloud. 
© Kay Herschelmann

Um künftig noch besser vor Hackerangriffen geschützt zu sein – Mitte Januar legte ein Angriff die Cloud soweit lahm, dass sie zeitweise nicht genutzt werden konnte – sollen die Server umziehen. Die Server, die für die Schulcloud Brandenburg zuständig sind, werden künftig statt in einem Rechenzentrum des Anbieters Hetzner bei Hannover in zwei weiteren des Anbieters Ionos in Berlin und Frankfurt (Main) untergebracht.

Luderich arbeitet derzeit mit einem Team von knapp 60 Personen an der HPI-Schulcloud. 40 von ihnen sind Mitarbeiter am Potsdamer HPI, die anderen sind zusätzliche IT-Berater der Firma Capgemini. Für die Cloud arbeiten Software-Entwickler oder Supportmitarbeiter. Fünf oder sechs Personen kümmern sich allein um die Support-Anfragen der Nutzer.

Digitaler Schub für die Schulen

Die Pandemie bedeutet einen „digitalen Schub“ für die Schulen, so drückte es Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) aus. Auch Meinel betont, die Bereitschaft der Lehrer sei stark gewachsen, sich mit den digitalen Fragen zu befassen. „Wir müssen die Disruption ermutigen“, sagt er, es hinkriegen, die Schule ins digitale Zeitalter zu bringen. „Bei der Nutzung der HPI-Schulcloud ist der Knoten geplatzt“, da ist er sich sicher. Das werde auch nach der Pandemie nicht verschwinden. Im Präsenzunterricht werde die Nutzung der Videokonferenzen wohl wieder weniger werden, aber der Zugriff auf die Lernsysteme werde bleiben, davon ist er überzeugt.

Erklärung zur Weiterentwicklung

Ebenfalls nicht verschwinden soll das nun so nötig gewordene Pilotprojekt. Vor wenigen Tagen haben Brandenburg, Thüringen und Niedersachsen eine Erklärung unterschrieben, die den Betrieb und die Weiterentwicklung über den Sommer 2021 hinaus sichern sollen (siehe Kasten). „Als Lehr- und Forschungsinstitut können wir den Betrieb nicht dauerhaft übernehmen. Das war auch nie so vorgesehen“, betont Meinel.

Das Team am HPI beschäftigt sich auch derzeit nicht nur mit dem Betrieb der Plattform, sondern auch mit deren Weiterentwicklung. So soll bald noch ein integriertes Messengersystem kommen, das auch am Handy genutzt werden kann. Auch überlegen Technikchef Luderich und seine Kollegen, das Menü noch zu vereinfachen, um es auch für Grundschulen noch leichter nutzbar zu machen. Ein weiteres Thema: „Wir arbeiten daran, wie wir den individuelleren und kompetenzorientierten Unterricht in einer immer heterogeneren Schülerschaft digital unterstützen können“, so Luderich. Um den Schub in Richtung Digitalisierung des Bildungswesens noch weiter zu nutzen.

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