Interview | Garnisonkirchen-Konflikt: „Es ist eine schwere Hypothek“
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) über die Turbulenzen um den Garnisonkirchen-Kompromiss, Transparenz - und warum er nicht den Pausenknopf drücken will.
Herr Schubert, der Hauptausschuss befasst sich am Mittwoch erneut mit dem Thema Garnisonkirche und Rechenzentrum. Was wollen Sie in der komplizierten Gemengelage als nächstes erreichen?
Zunächst einmal: Es fällt momentan angesichts des Kriegs in der Ukraine ziemlich schwer, sich diesem Thema zu widmen. Wir werden in den nächsten Wochen viele zentrale Fragen zu klären haben, unter anderem die Unterbringung der aus der Ukraine Geflüchteten.
Da tritt das noch vor wenigen Tagen die Stadtpolitik bestimmende Thema Garnisonkirche in den Hintergrund?
In den Hintergrund trifft es vielleicht nicht. Denn wir haben ja konkrete Aufträge. Es ist ratsam, hier einmal innezuhalten, diese Aufträge des Stadtverordnetenbeschlusses abzuarbeiten und den Prozess zum Umfeld der Garnisonkirche dann auf einer sachlicheren Ebene weiterzuführen. Aktuell wird im Rathaus die Ausschreibung für das Rechtsgutachten fertig gemacht, dessen Ergebnis in der zum Teil aufgeheizt geführten Diskussion der letzten Wochen helfen kann, Fragen zu beantworten. Etwa, wenn es um die Rückübertragung des Kirchenschiff-Grundstücks der Stiftung Garnisonkirche an die Stadt geht. Oder um die Frage, was es für die Stadt heißt, wenn der Turm von der Stiftung nicht dauerhaft bewirtschaftet werden könnte. Damit haben wir für die weitere Diskussion eine rechtliche Grundlage.
Wie ist der Stand bei der Machbarkeitsstudie für das „Forum an der Plantage“, den Dreiklang aus Kirchturm, Rechenzentrum und einem neu gebauten Haus der Demokratie anstelle des Kirchenschiffs?
Wir arbeiten an den Vorbereitungen für die Machbarkeitsstudie, die vor der Ausschreibung noch einmal im Hauptausschuss vorgestellt und besprochen wird.
Wenn das Rechtsgutachten die Frage untersuchen soll, ob die Stiftung Garnisonkirche den Betrieb des Turms bezahlen kann, setzt das die Kooperation der Stiftung bei dieser Prüfung voraus?
Nicht zwingend, aber es lässt sich besser gemeinsam arbeiten. Wichtig ist, dass diese Prüfung zusätzlich durch das kirchliche Rechnungsprüfungsamt erfolgen soll, das unabhängig und nicht weisungsgebunden ist. Ich denke, dass das der richtige Weg wäre, um auch über die Prüfung nach außen hin deutlich zu machen, wo die Stiftung steht.
"Die Stiftung kann sich nicht selber prüfen lassen"
Das Kuratorium der Stiftung Garnisonkirche, in dem Sie die Prüfung beantragen wollen, müsste sich dafür aussprechen?
Ja. Die Stiftung kann sich nicht selber prüfen lassen – das müssen die Kirchenleitung oder die Synode entscheiden. Aber wenn sie mit einem starken Signal des Kuratoriums um eine Prüfung bittet, wäre die Kirchenleitung sicherlich in einer Situation, das nicht auszuschlagen.
Meinen Sie, dass das Kuratorium die Prüfung will? Bei der letzten Zusammenkunft gab es im Kuratorium trotz der herben Kritik des Bundesrechnungshofs wenig bis keine Zweifel an der Zuverlässigkeit der Stiftung.
Die Sitzung des Kuratoriums nächste Woche ist sehr wichtig. Der Stiftung Garnisonkirche muss es gelingen, jenes Vertrauen, das verloren gegangen ist, wiederherzustellen. Daher habe ich für die Sitzung den Antrag gestellt, die Aussagen zur Finanzlage durch ein unabhängiges Gremium prüfen zu lassen, also durch das kirchliche Rechnungsprüfungsamt. Das soll auch hier eine Versachlichung erreichen. Es ist der richtige Zeitpunkt für eine solide Überprüfung, auch für das allgemeine Vertrauen in der Öffentlichkeit.
Vertrauen ist das Stichwort. Sind Sie weiter überzeugt, dass das von Ihnen mit ausgehandelte „Forum an der Plantage“ umsetzbar ist, wo es doch auf einem durch einen Vertrauensbruch entwerteten Kompromiss beruht – bekanntlich hatten die Vertreter der Stiftung Garnisonkirche Sie nicht über den kritischen Prüfbericht des Bundesrechnungshofs informiert?
Ich sehe den Kompromiss inhaltlich nicht als entwertet an. Ausgangspunkt war für mich immer der Konflikt in den vergangenen 30 Jahren und die Grundidee, dass sich beide Seiten aufeinander zu bewegen müssen. Das hat sich jetzt nicht geändert.
Aber es bleibt der Verdacht im Raum, dass sich die Haltung der Garnisonkirchen-Stiftung möglicherweise nur geändert hat, weil sie in ihrer offenbar gewordenen Finanznot keine andere Option hat – und es ihr nutzt, wenn die Stadt jetzt ein Problem der Kirche löst: Nämlich, das Grundstück des einstigen Kirchenschiffs zu nutzen.
Ich finde diesen Blick zu defensiv. Weil er immer noch von Einzelinteressen ausgeht. Es geht aber darum, einen Konflikt aufzulösen, der diese Stadt über Jahre zum Teil in sehr persönliche Konfliktsituationen geführt hat. Mir geht es darum, diesen Grundkonflikt aufzulösen – und daran hat sich für mich nichts geändert.
Trotz des Vertrauensbruch durch die Stiftung?
Ich habe es schon mehrfach gesagt: Für mich geht es um eine Lösung und ich weiß, dass wir noch nicht am Ende der Diskussion sind. Ich habe mir die letzten Jahre mit allen gegenseitigen Verletzungen, Vertrauensbrüchen und Verunglimpfungen angesehen. Irgendwann muss man aus diesem Teufelskreis raus – und deswegen müssen wir jetzt am Tisch sitzen bleiben.
"Einem Konflikt aus dem Weg zu gehen, ist keine Konfliktlösung"
Aber es müsste doch jetzt niemand wieder in den Konflikt einsteigen, wenn Sie ein Moratorium verhängen würden und die Entscheidung, was mit dem Kirchenschiff-Grundstück passiert, auf Eis legen. Erst kann ja der Turm fertig gebaut werden, und das Rechenzentrum entsprechen lange weiter stehen bleiben.
Wir haben mal gesagt, wir klären diese Fragen in den kommenden Generationen. Diese Generationen sind mittlerweile da. Und: Ich brauche für jede Lösung die Zustimmung des jeweils anderen Partners, da kommen wir nicht dran vorbei. Einem Konflikt aus dem Weg zu gehen, ist keine Konfliktlösung.
Sie bleiben dabei, dass Ihr Kompromiss tragfähig und finanzierbar ist – auch vor dem Hintergrund der Weltlage, die ungeahnte wirtschaftliche Folgen auch in Potsdam haben kann? Warum nicht erst einmal den Pausenknopf drücken?
Ich glaube, wir haben schon viel zu häufig den Pausenknopf bei dem Projekt gedrückt – und jetzt käme das in einer Phase, wo wir mit diversen Gutachten einen Konflikt versachlichen wollen. Ich glaube, den Pausenknopf will nur der drücken, der auch den Konflikt weiter haben möchte. Die Ausgangssituation des Konflikts, was wird mit Turm, was mit Rechenzentrum, ändert sich nicht durch einen Knopfdruck.
Aber die Ausgangslage hat sich doch schon geändert durch den Kompromiss.
Ja, wenn man den auf dem Tisch liegenden Vorschlag konkretisiert. Aber Ausgangslage sagt ja schon, dass wir noch nicht am Ende sind. Bis jetzt haben wir nur einen Vorschlag auf dem Tisch.
Das heißt, alles hängt daran, dass das „Forum an der Plantage“ mit dem Haus der Demokratie tatsächlich kommt?
Die Lösung liegt in einem Miteinander am Standort. Und dafür gibt es einen Vorschlag, den beide Partner tragen. In Gesprächen nehme ich auch wahr, dass die meisten, die nicht in dem jahrelangen Streit verhaftet sind, eher auf die Lösung mit dem „Forum an der Plantage“ setzen und es als Lösungsansatz sehen. Aber das wird noch ein Stück Weg sein. Ich habe immer von mindestens zwei weiteren Jahren Arbeit des Versachlichens gesprochen. Das nun anzuhalten, halte ich für verkehrt.
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Stichwort „Haus der Demokratie“: Dass die Stadtverordneten dann nicht mehr im Rathaus nahe der Verwaltung tagen würden, wurde bisher nur am Rande debattiert. Ist das wirklich klug?
Wir werden zukünftig ohnehin verschiedene Verwaltungsstandorte haben. Das ist in anderen Städten auch üblich, wenn sich Rathäuser als zu klein erwiesen haben. Auch jetzt haben wir schon seit einer Weile die Situation, nicht nur wegen der Pandemie, dass wir an getrennten Orten tagen müssen. Wichtig wird sein, dass der Tagungsort, egal wo er sich befindet, der Stadtverordnetenversammlung vernünftige Bedingungen bietet.
Haben die Planungen für das „Haus der Demokratie“ Auswirkungen auf die geplante Sanierung des Rathauses – kann sie vorangehen, solange man nicht genau weiß, was an der Plantage passiert?
Nein, das hat keine Auswirkungen. Wir reden hier über ein denkmalgeschütztes Haus, das im Bestand saniert wird, und von einem Projekt, bei dem wir einen Sanierungsstau der letzten 20 Jahre aufarbeiten. Aber auch von daher gilt: Umso eher wir Klarheit an der Plantage haben, desto besser.
Was wäre, wenn das Grundstück des Kirchenschiffs einfach frei bliebe? Können Sie sich dies vorstellen?
Dann gäbe es keinen Platz für die Räume, die wir im Haus der Demokratie geplant haben. Das wird gern verkürzt auf den Plenarsaal – aber es soll ja weitere Funktionalitäten geben, insbesondere für die geschichtliche Arbeit in Potsdam. Das dürfte sogar der größere Teil im Gebäude sein.
"Ich plädiere dafür, die Kosten transparent darzustellen und dann darüber zu diskutieren"
Was ist mit den Folgekosten des Hauses der Demokratie, das ja auch betrieben und Instand gehalten werden muss. Überhebt sich Potsdam da nicht?
Wir haben von Beginn an gesagt, dass Nutzungen in das Haus der Demokratie kommen sollen, die gebraucht werden. Wir planen dort nichts Neues, wir hatten auch vorher schon Standorte für den Plenarsaal und den Anbau für das Potsdam Museum gesucht. Ich plädiere dafür, die Kosten transparent darzustellen und dann darüber zu diskutieren. Und noch kennen wir die Kosten nicht. Gefährlich finde ich solche Kostendebatten, ohne wenigstens mal eine Vorplanung zu machen, weil in der Vergangenheit aus solchen Gründen zum Beispiel die Sanierung des Rathauses immer wieder hintenangestellt wurde – und wir nun hier einen Zustand haben, der mit modernen Arbeitsbedingungen eigentlich nichts mehr zu tun hat. Daher brauchen wir Fakten und die besagte Machbarkeitsstudie. Vorher ist jede Debatte vor allem vom Bauchgefühl geprägt.
Dennoch: Der Plenarsaal kann auch am Rathaus gebaut werden, das Potsdam Museum anderswo unterkommen, wenn dafür Geld im Haushalt ist. Braucht Potsdam dieses Haus der Demokratie wirklich – und ist es wirklich bezahlbar?
Ich glaube, dass Potsdam sich einen vernünftigen Plenarsaal für seine demokratische Arbeit und eine ordentliche historische Ausstellung leisten kann und auch leisten sollte. Und zwar gerade in Zeiten, in denen wir viel darüber diskutieren, wie wir unsere Demokratie stärken. Es braucht solche Orte, die sich mit Demokratie auseinandersetzen. Und es gibt, glaube ich, in Deutschland nur wenige Orte, die so deutlich für die Brüche deutscher Geschichte stehen wie dieser Ort. Das gibt uns die Chance, uns mit unserer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen.
Das „Forum an der Plantage“ ist Ihre Versöhnungsidee. Wollen Sie sich möglicherweise am Ende einfach nicht eingestehen, dass der Kompromiss mit dem Vertrauensbruch der Stiftung zu sehr gelitten hat, um ihn noch umsetzen zu können?
Für die Machbarkeitsstudie gibt es einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung. Ich habe einen Vorschlag gemacht, ich halte ihn immer noch für richtig. Es hätte ja auch keine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung für die Machbarkeitsstudie geben können. Dann wäre der Prozess sicherlich an der Stelle zu Ende gewesen, aber wir hätten weiter keine Lösung für die Situation gehabt.
"Der Kompromiss muss weiterentwickelt werden"
Wenn die Stadtverordneten gewusst hätten, dass der Bundesrechnungshof die Stiftung Garnisonkirche derartig rügt, hätte es die Mehrheit vielleicht wirklich nicht gegeben. Aber die Stiftung hat es ja nicht einmal Ihnen angedeutet.
Man sollte nicht im Nachhinein versuchen zu wissen, wie es gewesen wäre, wenn man etwas anders gewusst hätte. Das ist mir immer zu leicht. Wenn ich Kenntnis vom Bundesrechnungshofbericht gehabt hätte, hätte ich den Prozess anders gestaltet. Ich habe doch nicht fast vier Jahre daran gearbeitet, Transparenz in den Prozess reinzubringen, um dann auf den letzten Metern so eine Situation zu erleben. Das ist enttäuschend. Aber es ist doch weiter richtig, diesen Konflikt irgendwann zu beenden.
Aus Ihrer Sicht ist der Kompromiss weiter belastbar und der Vertrauensbruch durch die Stiftung zu heilen?
Der Kompromiss muss weiterentwickelt werden. Was in den letzten Wochen seit Januar passiert ist, ist eine schwere Hypothek für das Ganze, das ist mir bewusst. Da ist in den Tornister etwas hineingekommen, was ich dort nicht haben wollte und was das Ganze noch viel, viel schwerer macht. Trotzdem sollten wir weiter nach einer Lösung suchen.
Das Interview führten Henri Kramer und Sabine Schicketanz