Coronakrise im Klinikum: Ermittlungen im Bergmann-Krankenhaus
Bei der Suche nach Schuldigen für den Corona-Ausbruch im Potsdamer Klinikum soll die Staatsanwaltschaft helfen. Offenbar wurden Infektionen nicht rechtzeitig gemeldet.
Potsdam - Wie ist es zu dem Corona-Ausbruch im Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ gekommen? Wurde er zu spät bemerkt? Oder zu spät gemeldet? Wurden dadurch womöglich sogar Menschenleben aufs Spiel gesetzt? Diese Fragen beschäftigen die Landeshauptstadt seit Tagen, nun sollen sie von der Staatsanwaltschaft geprüft werden. Schon am Montag habe er ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen drei Klinikärzte eingeleitet, so Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) am Dienstag bei einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz. Am Dienstag weitete er das Verfahren dann auch auf die Geschäftsführung des kommunalen Hauses aus – und übergab alle Fälle an die Staatsanwaltschaft Potsdam. Diese solle klären, ob hier Straftaten vorliegen oder nicht. Konkret geht es um den langjährigen Geschäftsführer Steffen Grebner und die erst rund einem halben Jahr berufene Medizindirektorin Dorothea Fischer.
Staatsanwaltschaft prüft mögliche Verstöße
Ein Ordnungswidrigkeiten-Verfahren sei am Mittwoch an die Behörde abgegeben worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. „Wir prüfen mögliche strafrechtlich relevante Verstöße gegen Meldepflichten auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes“, sagte ein Sprecher. Daneben werde auch der Verdacht auf weitere Straftaten geprüft.
Bei den drei Medizinern besteht der Verdacht, dass eine Verletzung der ärztlichen Meldepflicht vorliegt. Laut Amtsärztin Kristina Böhm, die ebenfalls an der Pressekonferenz teilnahm, wurden sogenannte Arztmeldungen zu Neuinfektionen dem Gesundheitsamt „zeitlich verzögert oder gar nicht“ vorgelegt. Denn das Amt bekommt zwar positive Testungen von den Laboren gemeldet, nicht aber die Informationen zu den Patienten. Es sei leider „regelhaft“ so gewesen, dass die Zuarbeit von den Ärzten fehlte und ihre eigenen Mitarbeiter deshalb aufwendig nachrecherchieren mussten, so Böhm.
Laut Infektionsschutzgesetz müssen Erkrankungen an Covid-19 von Ärzten und Kliniken „unverzüglich an das zuständige Gesundheitsamt gemeldet werden“. Die Meldung muss spätestens 24 Stunden, nachdem der Meldende Kenntnis erlangt hat, im Gesundheitsamt vorliegen – dies ist hier offenbar nicht immer erfolgt.
Das RKI sieht offenbar Versäumnisse bei der Klinikleitung
Im Bezug auf die Geschäftsführung wiegen die Vorwürfe noch schwerer. Es gebe Anhaltspunkte auf Versäumnisse nicht nur in Bezug auf die Meldepflicht, sondern auch auf das sogenannte Ausbruchsmanagement, den Betriebsärztlichen Dienst die Hygiene, so Schubert. „Das sind Punkte, die hätten zum Zeitpunkt des Ausbruchs funktionierten müssen.“ Es gehe um die Frage, ob ein Organisationsverschulen vorliege.
Die Erkenntnisse, die nun zu den Ermittlungen auch gegen die Geschäftsführer geführt haben, gehen offenbar auf den mit Spannung erwarteten Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI) hervor, dessen Experten wegen des Ausbruchs wie berichtet eine Begehung des Krankenhauses vorgenommen hatten. Und der Bericht hat noch weitere Konsequenzen. So wird in mehrere Stationen ein „besonderes Management“ eingerichtet, etwa in der Fachklinik für Hämatologie und Onkologie, in der Kinderklinik oder der Geburtshilfe. Dort würden hygienische Festlegungen getroffen, um Personal und Patienten zu schützen, so Böhm. Außerdem soll das Abstrichmanagement „nachjustiert“ sowie personelle und strukturelle Anforderungen angepasst werden. Details hierzu nannte sie nicht.
Die Lage soll wieder "beherrschbar" werden
Durch den externen Sachverstand wolle man möglichst zügig erreichen, dass die Lage wieder beherrschbar und die Dokumentation möglich sei, so Schubert. Und auch Gesundheitsbeigeordnete Brigitte Meier (SPD), die als dritte im Bunde vor die Journalisten getreten war, befürwortete diesen Schritt. Durch das externe Management und Controlling könnten Medizin und Hygiene aber auch das Krisenmanagement verbessert werden. „Wir müssen hier Klarheit reinbringen.“
Schubert betonte bei der Pressekonferenz mehrfach, dass sich die nun eingeleiteten Maßnahmen nicht gegen das Klinikpersonal im Allgemeinen richteten. „Im ,Ernst von Bergmann' arbeiten Menschen, die täglich riesige Dinge leisten“, sagte er. Es müsse aufgeklärt werden, jedoch ohne jemanden vorzuverurteilen und ohne die Klinik zu stigmatisieren. Es sei ihm bewusst gewesen, dass er und seine Kollegen in dieser Krise auch schwere Entscheidungen treffen müssten, sagte er sichtlich bewegt. Er sehe den Kampf, den Ärzte und Pflegekräfte in der Klinik kämpften. „Und trotzdem müssen Fragen geklärt werden, ob es zu Fehleinschätzungen gekommen ist.“
Waren die "Fehleinschätzungen" tödlich?
Und diese Fehleinschätzungen könnten gravierende, ja tödliche Folgen gehabt haben. Denn eine Ursache für die vielen Todesfälle im Klinikum nach Corona-Infektion könnte sein, dass der Virus-Ausbruch zunächst die Geriatrie-Station getroffen hatte. Das Klinikum hatte am 31. März bestätigt, dass dort 33 Patienten infiziert waren – 33 Menschen also, die der Hochrisiko-Gruppe angehören: ältere Menschen mit Vorerkrankungen. Menschen, die den Kampf mit dem Virus häufiger verlieren als andere. Mindestens vier der im Klinikum Verstorbenen waren zuvor in der Geriatrie in Behandlung.
Wie viele weitere Menschen mit einer ganz anderen Erkrankung in die Klinik eingeliefert wurden und erst dort angesteckt wurden, konnte Böhm auch am Dienstag noch nicht sagen. Die Verlegungen innerhalb der Klinik würden momentan noch aufgearbeitet.
"Wir hätten ein größeres Zeitfenster gehabt"
Aber sie stellte auch klar, dass die verspätete Meldung Schaden angerichtet hat, weil der Ausbruch so erst später erkannt und Maßnahmen eingeleitet werden konnten. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir ein größeres Zeitfenster gehabt hätten, wenn die Meldungen zu einem früheren Zeitpunkt erstellt worden wären.“ Tatsächlich wurde erst am 1. April der Aufnahmestopp für die Klinik verhängt, obwohl die Fallzahlen nach PNN-Recherchen schon am Mittwoch oder Donnerstag der Vorwoche nach oben schnellten.
Ein Grund für die schnelle Verbreitung des Virus in der Klinik könnte auch ein Ausbruch im Schwesternwohnheim des Krankenhauses sein. Böhm bestätigte am Dienstag, dass es unter den dort untergebrachten ukrainischen Pflegehelferinnen Corona-Infektionen gebe. Das Wohnheim sei mittlerweile unter Quarantäne gestellt. Die Pflegehelferinnen seien in verschiedenen Abteilungen eingesetzt gewesen, unter anderem in der Kinderklinik, so Böhm.
Dort sei man aber schon seit Beginn der Krise gut aufgestellt, weil dort wie berichtet ein zweijähriges Kind mit Covid-19 behandelt wurde. Man gehe nicht davon aus, dass sich das Virus dort weiterverbreitet habe, so Böhm.
Wie es nun weitergeht, hängt maßgeblich von der Einschätzung der Potsdamer Staatsanwaltschaft ab. Wenn diese zur Einschätzung kommt, dass eine Straftat vorliegen könnte, werden Ermittlungen gegen die drei Ärzte, Fischer und Grebner eingeleitet. Falls nicht, geht der Fall sozusagen zurück an die Stadt Potsdam, die dann wegen Ordnungswidrigkeiten ermittelt. Weder die Mediziner noch die Geschäftsführung seien derzeit freigestellt, so Schubert.
Klinik sichert Aufklärung zu
Das Klinikum äußerte sich am Dienstag ebenfalls - in einer am Abend versendeten Pressemitteilung. "Unsere Ärzte sind derzeit in außerordentlicher Weise bei der Patientenversorgung, insbesondere bei der Versorgung von Covid-Patienten, gefordert. Sie werden gleichwohl bestmöglich zur Aufklärung der Sachverhalte beitragen", hieß es dort.
Auch das Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die Geschäftsführung hindere diese nicht daran, "weiterhin ihr ganzes Engagement in den Dienst des Klinikums und damit der uns anvertrauten Patienten und Mitarbeiter zu stellen."
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