Nach Häufung von Corona-Fällen: Außerordentliche Krise im Bergmann-Klinikum
Aufnahmestopp und versperrte Türen im Schwerpunktkrankenhaus der Region. Wie die Situation im Klinikum jetzt ist und wohin sich Erkrankte nun wenden können.
Innenstadt - Ein Zehntel der aktuell rund 530 Patienten des Bergmann-Klinikums ist mit dem Coronavirus infiziert. Allein in der Geriatrie sind 33 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden, dazu kommen 17 weitere Patienten von anderen Stationen (PNN berichteten). Vier der bislang sieben Corona-Toten im Klinikum waren zuvor in der Geriatrie behandelt worden. Vor diesem Hintergrund hat die Stadt nun auf unbestimmte Zeit drastische Maßnahmen ergriffen. Ab sofort gilt ein Aufnahmestopp für neue Patienten, wie Oberbürgermeister Mike Schubert am Mittwoch bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz bekannt gab. Es gelte nun, die Corona-Infektionsketten in dem Haus „zu durchbrechen“. Gesundheitsdezernentin Brigitte Meier (beide SPD) sprach von einer „außerordentlichen Krise“. Was das bedeutet und wie es dazu kommen konnte – die PNN geben einen Überblick.
Warum wurde der Stopp verhängt?
Anlass ist eine Häufung von Corona-Infizierten im Klinikum, besonders auf der Geriatriestation. Den Aufnahmestopp formal verhängt hat das städtische Gesundheitsamt unter Berufung auf das Infektionsschutzgesetz. Die Maßnahme sei notwendig geworden, sagte Amtsärztin Kristina Böhm, um Personal und Patienten vor nicht kalkulierbaren Risiken zu schützen. In den letzten 72 Stunden habe sich eine Lage ergeben, deren Ausmaß unklar sei. Mit der Sperre wolle die Stadt nun Ruhe in das Klinikum hineinbekommen, um wegen des Virusausbruchs Strukturen und Prozesse überprüfen und neu justieren zu können. Dazu hat die Stadt die Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) hinzugezogen. Der Aufnahmestopp ist einschneidend: Das Bergmann-Klinikum ist das Schwerpunktkrankenhaus der Region, hat einen Einzugsbereich von rund 500 000 Menschen – einem Viertel der Bevölkerung des Landes. Wie lange die Maßnahmen im Bergmann-Klinikum gelten, ist offen. Nicht spekulieren wollte Schubert zu der Frage, ob nun zwei Covid-19-Patienten aus Italien, die im Klinikum behandelt werden sollen, tatsächlich noch kommen.
Wie konnte sich das Virus ausbreiten?
Das ist unklar. Dorothea Fischer, medizinische Geschäftsführerin des Klinikums, sagte in der auch im Internet übertragenen Pressekonferenz, man könne nicht nachweisen, wer wen angesteckt habe. In der Nacht zum Samstag war es nach Angaben des Klinikums zu einer auffälligen Anzahl positiver Tests auf das Coronavirus gekommen. Daraufhin sollten alle stationären Patienten getestet werden. Von 530 Patienten am Samstag seien zunächst 33 positiv getestet worden – allesamt in der Geriatrie, wie Fischer bestätigte. Von aktuell elf Patienten, die auf der Intensivstation um ihr Leben kämpfen, seien drei aus der Geriatrie, sagte sie.
Auf anderen Stationen wurden weitere 17 Infizierte identifiziert, sagte Fischer. Sie seien sofort im eigens eingerichteten Corona-Krankenhaus des Klinikums isoliert worden. Viele Infizierte hätten keine Symptome gezeigt. Auch drei von bislang 250 kontrollierten Mitarbeitern seien positiv auf das Virus getestet worden, hieß es. Ein Problem sei laut Fischer, dass die Tests nicht immer sofort anschlagen – dass also Menschen das Virus auch verbreiten können, ohne dass die Tests eine Infektion erkennen. Zumindest wolle man Anfang der nächsten Woche in der Lage sein, auch selbst Tests auszuwerten, um nicht mehr auf die überlasteten Labore in der Region angewiesen zu sein.
Wie berichtet hatte das Klinikum im Zuge der Krise – wie andere Häuser in Deutschland auch – über knapper werdendes Material geklagt. Daher hatte die Leitung des Hauses verfügt, dass zum Beispiel Tätigkeiten wie Blutdruck messen oder Infusionen legen bei Patienten ohne Infektionsrisiko auch ohne Handschuhe durchgeführt werden könnten. Auch Mund-Nasen-Schutzmasken wurden nur noch bei Arbeiten „mit direktem Kontakt mit Haut, Schleimhaut, Ausscheidungen und bei Wunden bei Patienten mit multiresistenten Erregern getragen“ – sowie von Mitarbeitern „bei möglichen Erkältungssymptomen zum Schutz der Patienten“, wie das städtische Unternehmen am 20. März erklärt hatte.
Das RKI solle nun am Freitag gemeinsam mit der Stadt die Lage neu bewerten, sagte Amtsärztin Böhm. Wenn nötig, würde nachgeschärft. „Wir wissen, dass Covid-19 verdammt schnell ist und auch ohne Symptome weiterverbreitet werden kann“, betonte Böhm. Die Hoffnung sei, mit dem RKI eine wissenschaftliche und klinische Basis zu bekommen, um den Klinikbetrieb weiter fahren zu können.
Welche weiteren Maßnahmen ergreift das Klinikum?
Am Dienstag schon hat das Klinikum den Zugang eingeschränkt. So galt bereits ein generelles Besuchsverbot für alle Stationen, um die Mitarbeiter zu schützen. Nun dürfe das Klinikum von allen nur noch mit Mund-Nase-Schutz betreten werden, sagte Schubert – diese erst eingeschränkte Ausrüstung ist nun also wieder verpflichtend. Die Eingänge werden von Wachschutzmitarbeitern kontrolliert. Ferner würden vermehrt Einzelzimmer angeboten, um die Infektionsketten zu unterbrechen, sagte Fischer.
Wohin können sich Erkrankte nun wenden?
An das St. Josefs-Krankenhaus, aber auch an die Partnerklinik der Bergmann-Verbunds in Bad Belzig. Die stationäre Versorgung der Potsdamer sei gesichert, sagte Gesundheitsdezernentin Meier. Niemand müsse nun Angst haben, dass er nicht behandelt werde, sagte Oliver Pommerenke, der Regionalgeschäftsführer des Josefs-Trägers Alexianer. Man habe aktuell 200 Betten zur Verfügung, freie Kapazitäten gebe es auch in Partnereinrichtungen wie der Oberlinklinik oder dem Evangelischen Zentrum für Altersmedizin in Potsdam. Weitere 42 Betten stehen in Bad Belzig zur Verfügung, sagte Steffen Grebner, Geschäftsführer des Bergmann-Klinikums.
Weiter hieß es bei der Pressekonferenz, noch für Mittwochabend sei geplant Personal des Bergmann-Klinikums, das negativ auf Corona getestet sei, zur Unterstützung ins Josefs-Krankenhaus zu senden. „Mit Schutzausrüstung eingekleidet, um Infektionswege zu unterbrechen“, wie Pommerenke betonte.
Im Klinikum selbst werden laut Fischer nur noch unabweisbare Notfälle aufgenommen, wie etwa ein akuter Herzinfarkt. Rettungswagen seien aber angewiesen, nicht mehr das Klinikum anzusteuern. „Wenn Sie sich etwas auf den Fuß geworfen haben, würden wir sie abweisen“, so Fischer. Auch Frauen, die ein Kind bekommen, sollen noch ins Klinikum dürfen. „Alle unsere Hebammen wurden getestet“, so Fischer. Dabei habe sich keine Corona-Infektion gezeigt. Wie mit der Kinderstation verfahren wird, müsse noch geklärt werden, hieß es.
Patienten würden aber nicht ins Josefs-Krankenhaus verlegt, sagte Fischer – es sei denn, die Lage verschärfe sich weiter. Bislang gehe man auch davon aus, dass das Josefs-Krankenhaus alle Potsdamer Patienten aufnehmen könne, sagte Stadtsprecher Stefan Schulz auf Nachfrage. Anfragen habe man vorsorglich aber auch an die Kliniken in Brandenburg/Havel und Cottbus gerichtet. „Wir beschränken uns bislang aber auf das Land Brandenburg“, so Schulz. Mit Berliner Kliniken habe es keine Gespräche gegeben.
Wie lief die Informationspolitik?
Zögerlich. Zwar informierten Schubert und Klinikumsvertreter bereits am Montagnachmittag bei einer Pressekonferenz über zahlreiche neue Corona-Infektionen im Klinikum, die man bemerkt habe. Allerdings teilte niemand mit, dass es insbesondere um die Geriatrie ging – also eine Station mit besonders gefährdeten Menschen. Warum das unterblieb, dazu machte Schubert am Mittwoch keine Angaben. Klinikum-Geschäftsführerin Fischer sagte, es habe eben auch andere Stationen mit Erkrankten gegeben. Auch am Dienstag hatten Rathaus und Klinikum nicht von sich aus über die Krise informiert, sondern nur auf Nachfrage.
Auf PNN-Anfrage bestätigte Fischer am Mittwoch auch einen Fall in der für krebskranke Menschen zuständigen Onkologie – dort sei ein Patient, der schon wieder zu Hause war, mit Corona infiziert. Das Ergebnis eines Abstrichs sei erst nach seiner Entlassung bekannt geworden. Auch die Erkrankung eines Mitarbeiters in der Psychiatrie An der Aue bestätigte Fischer: Bei dessen Kontaktpersonen seien die Tests bisher negativ ausgefallen – sie seien also offenbar nicht infiziert.
Schubert sagte, es dürfe nun nicht um Schuldzuweisungen gehen – wichtig sei, nun die Situation wieder in den Griff zu bekommen. „Wir können eben nicht ausschließen, dass in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen solche Infektionsketten entstehen“, sagte Schubert. Es kommt darauf an, in so einer Situation schnell und konsequent zu reagieren. Das habe man mit dem Aufnahmestopp getan.
Steigt die Zahl der Corona-Infektionen in Potsdam?
Ja. Aktuell gibt es 169 Infizierte in Potsdam – das sind 23 mehr als noch am Dienstag. Am vergangenen Mittwoch gab es noch 63 bestätigte Fälle. Mehr als 600 Menschen sind derzeit als Kontaktpersonen ersten Grades in häuslicher Isolation. Insgesamt sind in Potsdam bisher zehn Menschen an der Folge einer Infektion gestorben. Am Mittwoch wurde der Fall eines Arztes bekannt, der sich in London angesteckt und in einer Wohnung in Potsdam verstorben war (siehe Text rechts). Sieben Menschen starben im Bergmann-Klinikum – wie viele davon schon mit einer Covid-19-Erkrankung eingeliefert wurden und wie viele schon vorher dort behandelt wurden und sich ansteckten, dazu konnte Geschäftsführerin Fischer auf PNN-Nachfrage keine Angaben machen. Dies habe sie noch nicht geschafft zu recherchieren.
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