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Die Grünen-Spitzenkandidat:innen Michael Kellner und Anna Emmendörffer.
© Ottmar Winter

Grüne Spitzenkandidat:innen in Brandenburg: Die Zwei hinter Baerbock

Michael Kellner und Anna Emmendörffer werden maßgeblich den Wahlkampf in der Mark bestreiten, da Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin durch Deutschland tourt.

Potsdam - Bei den Brandenburger Grünen gibt es, anders als bei anderen Parteien, gleich drei Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl im Herbst. Die Bewerber auf den Plätzen 1 bis 3 der Landesliste werden alle so bezeichnet. Die Nummer 1 kennt wohl inzwischen bundesweit jeder: Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die im Potsdamer Wahlkreis 61 direkt gegen SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz antritt – und derzeit Brandenburgs einzige Grüne Bundestagsabgeordnete ist. 

Weil Baerbock viel bundesweit auftreten wird, werden die Weiten Brandenburgs im Wahlkampf zwei andere bespielen: Michael Kellner auf Platz 2 und Anna Emmendörffer auf Platz 3 der Landesliste. Doch wer sind die beiden hinter Baerbock? Zwei Porträts.

Michael Kellner

Mit Grünzeug im Wahlkampf hat er Erfahrung. Bundestagswahl 1998. Michael Kellner steht in der Potsdamer Innenstadt an einem Stand der Grünen. Es gibt ein Bild davon. Es ist ein historischer Wahlkampf, aber das kann der damals 21-Jährige da noch nicht wissen. Im Schlussspurt verteilen Kellner und seine Parteikollegen in Potsdam Kohlköpfe – mit dem Spruch „Kohl muss weg“. Am 27. September 1998 schließlich gibt es ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik: Zum ersten und bisher einzigen Mal wird eine Bundesregierung komplett abgewählt. Gerhard Schröder (SPD) wird Bundeskanzler, geht die erste rot-grüne Koalition auf Bundesebene ein.

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Am 26. September 2021 könnte wieder so ein historischer Tag sein aus Grünensicht: Die Partei könnte ihr bestes Ergebnis aller Zeiten einfahren und die Brandenburger Grünen erstmals zwei oder drei Bundestagsabgeordnete stellen. Michael Kellner auf Platz zwei der Landesliste dürfte seinen Platz im Bundestag sicher haben. Bekannt ist der 44-Jährige durchaus – auf Bundesebene. Seit 2013 ist er Bundesgeschäftsführer der Grünen – und damit, wie er betont, der längste amtierende Geschäftsführer aller Parteien. Als solcher managed er den gesamten Wahlkampf der Grünen. „Wahlkämpfe sind meine Leidenschaft“, sagt er.

Ein Berliner, der in der Mark auf Stimmenfang geht? Falsch. Kellner, der in Gera aufwuchs, ist mittlerweile in der Mark verwurzelt, seine politischen Anfänge liegen hier – nur erinnern sich außerhalb der Partei nicht viele daran, weil sein Engagement in der Landespolitik länger zurückliegt und zu einer Zeit stattfand, als die Grünen im landschaftlich grünen Brandenburg keine große Rolle spielten.

1996, nach einem Aufenthalt in einem israelischen Kibbuz, kommt Kellner für ein Studium nach Potsdam. Er studiert Politikwissenschaften, unter anderem bei Heinz Kleger, mit dem er bis heute Kontakt hält. In seiner Diplomarbeit beschäftigt er sich mit dem Verhältnis der Länder Berlin und Brandenburg. 1997 wird er Mitglied der Grünen, arbeitet drei Jahre im Landesvorstand der märkischen Bündnisgrünen, ist Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft. 

Direktkandidat in Potsdam 2004

2004 tritt er bei der Landtagswahl als Direktkandidat in Potsdam an – gegen Matthias Platzeck (SPD), Sven Petke (CDU) und Hans-Jürgen Scharfenberg (Linke). Kellner holt 2,5 Prozent. „Das Ergebnis hatte ich gar nicht mehr im Kopf“, sagt er, darauf angesprochen. Für die Arbeit zieht es ihn dann nach Berlin. Er arbeitet für die damalige Brandenburger Bundestagsabgeordnete Cornelia Behm, dann für die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth, später für Vizefraktionschef Frithjof Schmidt. 

Kellner lebt mit seiner Frau und den beiden Kindern im Alter von zehn und zwölf Jahren in Berlin und in der Uckermark, am Oberuckersee. Dort, im Wahlkreis 57 (Uckermark/Barnim I) tritt Kellner als Direktkandidat an – gegen den Spitzenkandidaten der Brandenburger CDU, den Bundestagsabgeordneten Jens Koeppen. Schnelles Internet, Zugverbindungen, Radwege, Oderausbaupläne – das seien die Themen im Wahlkreis. Aber auch der Erhalt von Arbeitsplätzen. Kellner erzählt vom Besuch der PCK-Raffinerie in Schwedt. Er habe erwartet, nicht gerade herzlich empfangen zu werden, schließlich wüssten die Arbeiter dort, dass „wir ihr Geschäftsmodell beenden“ wollen, sagt Kellner. Aber er habe eine große Offenheit erlebt, Bereitschaft für Wandel. Das Unternehmen investiere massiv in grünen Wasserstoff.

Eine Stimme für den Osten

Wandel, Umbrüche, gerade für die ältere Generation – er habe das im Blick. Zur Wende war der Thüringer zwölf, ging mit der Mutter auf eine Montagsdemo. Die Teeniejahre in den 90ern im Osten hätten ihn geprägt. „Alle Autoritäten waren plötzlich weg und die Erwachsenen waren mit sich selbst beschäftigt.“ Beide Elternteile verloren nach der Wende ihre Jobs. 

Eine Stimme für den Osten wolle er deshalb sein – und im Wahlkampf eine Stimme für Brandenburg. Nicht nur in seinem Wahlkreis. „Kreuz und quer durch Brandenburg“ werde er in der heißen Phase vor der Wahl touren. Das eigene Direktmandat steht dabei nicht ganz oben auf Kellners Zielliste. „Aber ich mache mir Hoffnung auf unser Direktmandat in Potsdam“, sagt der Wahlkampfmanager. Und auf ein historisch gutes, zweistelliges Ergebnis für die Grünen in Brandenburg, die seit 2019 in einer rot-schwarz-grünen Koalition auf Landesebene mitregieren. Nur fünf Prozent waren es bei der Bundestagswahl 2017 in Brandenburg für die Grünen.

Anna Sophie Emmendörfer

Der erfahrene, männliche Bewerber Kellner und der junge, weibliche Politikneuling Anna Emmendörffer aus Teltow – das passt, war nach der Listenaufstellung der Grünen am 17. April öfter zu hören. Eine gute Ergänzung – ungeplant. Emmendörffer, erst seit drei Jahren Parteimitglied, trat als Kandidatin der Grünen Jugend an – und gewann überraschend bereits im ersten Wahlgang für Listenplatz 3 gegen die frühere Landtagsabgeordnete Heide Schinowsky aus Jänschwalde.

Was Annalena Baerbock im Großen vorgehalten wird – keine Regierungserfahrung – hört Emmendörffer nun im Kleinen: grün hinter den Ohren, unerfahren. Die 25-Jährige verkörpert das, was manche Konservative in Wallung bringt: die Fridays-for-Future-Generation. Emmendörffer lebt seit fünf Jahren vegan, vorher vegetarisch. Sie trägt nur Second-Hand-Klamotten, kauft gebrauchte Elektrogeräte und fährt trotz Führerschein nur Rad oder Bahn, verzichtet auf Flugreisen. Um gleich hinterherzuschieben, dass sie vor dem Studium ein Jahr in Südamerika war, wo man nunmal nur mit dem Flugzeug hinkommt – als müsse sie sich präventiv rechtfertigen, falls jemand diesen Punkt in ihrem Lebenslauf entdecken sollte. 

Unter dem Hashtag #RailRenaissance setzt sie sich für attraktive Nachtzugverbindungen ein, die Kurzstreckenflüge innerhalb Europas überflüssig machen. „Die individuelle Konsumentscheidung ist wichtig“, sagt Emmendörffer. Aber es sei die Verantwortung der Politik, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Dem Vorwurf, dass ihr ökologischer Lebensstil teuer sei, widerspricht sie. „Auch als Studentin mit wenig Geld habe ich so gelebt.“ 

In Lüneburg hat sie einen Bachelor in Nachhaltigkeitswissenschaften gemacht, derzeit absolviert sie den Masterstudiengang „Urbane Zukunft“ an der Fachhochschule Potsdam – und lebt wieder in Teltow, wo sie aufgewachsen ist. 

Nachhaltigkeitsinitiativen und Deutschunterricht

Politisch ist Emmendörffer mittlerweile in Mittelmark stark eingebunden. Nach ihrem Parteiantritt ging alles ganz schnell. Emmendörffer war vorher in lokalen Nachhaltigkeitsinitiativen aktiv, gab Deutschunterricht für Geflüchtete, ihre Familie nahm auch mehrfach Flüchtlinge zu Hause auf. Auch bei der Teltower Tafel engagierte sie sich.

Dann kam die Bundestagswahl 2017. Als „der blaue Balken immer weiter gestiegen ist“, sagt Emmendörffer mit Blick auf die AfD, habe sie sich entschlossen, Mitglied bei den Grünen zu werden. Inzwischen ist sie Fraktionsvorsitzende der Grünen in Teltow und Sprecherin des Kreisverbands Potsdam-Mittelmark. Sie wolle auch im Bundestag für ein „neues Verständnis von Politik“ eintreten. Eine Politik, „die den Menschen in den Mittelpunkt“ stellt. Vielen sei nicht klar, wie Politik ihr Leben beeinflusse. Kürzlich postete sie bei Twitter nach einem Besuch auf der Tesla-Baustelle in Grünheide: „Soziale, ökologische und infrastrukturell nachhaltige Kriterien müssen auch für dieses Projekt gelten. Die Anwohner:innen müssen mitgenommen und die Region nachhaltig entwickelt werden.“

Mehr Aufmerksamkeit, gerade bei jungen Wählern, dürfte ihr aber dieser Post eingebracht haben: Sie sei ganz bei dem Bernauer Jugendrichter Andreas Müller, der für eine Legalisierung von Cannabis eintritt – für Selbstbestimmung und um Polizei und Justiz zu entlasten. „Cannabis ist zwar kein Brokkoli, aber nur weil’s in der Suppe nicht schmeckt, gehört’s noch lange nicht unter Strafe gestellt.“ Keine Kohlköpfe im Wahlkampf wie bei Kellner damals, aber anderes Grünzeug.

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