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Bundestagswahl 2017: Eins zu neun: Wenn die SPD kein Land mehr sieht

Die SPD ist in der Mark nur noch drittstärkste Kraft hinter der AfD. Erste Genossen fordern von Ministerpräsident Dietmar Woidke eine Abkehr von der Kreisreform. CDU-Landeschef Senftleben: „Ich mache mir Sorgen um die SPD“.

Potsdam - In der Landespolitik ist nichts wie es vorher war, Schock bei der SPD, Betroffenheit bei den Linken, Ernüchterung aber selbst beim Sieger, der Union: In Brandenburg, seit 1990 ununterbrochen von Ministerpräsidenten der SPD regiert, bisher zumindest immer eine Bastion der Genossen im Osten, sind die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl nur drittstärkste Kraft geworden. Und zwar noch hinter der in der Mark von Bundesvize Alexander Gauland geführten AfD. Die rechtspopulistische Partei, die bereits im Landtag sitzt, wurde in Brandenburg nun zweitstärkste Kraft – und konnte ihr Ergebnis fast verdoppeln. In den Kreisen Oberspreewald-Lausitz und Spree-Neiße, in der Stadt Cottbus, aber auch in Eisenhüttenstadt, in Gemeinden wie Ortrand, Peitz oder Golzow nahe der polnischen Grenze und Ortrand erhielt die AFD sogar die meisten Zweitstimmen.

Im Land insgesamt kam die AfD nach Auszählung von 3696 von 3700 Wahlbezirke - das vorläufige Zwischenergebnis des Landeswahlleiters lag 23:30 Uhr noch nicht vor - auf 20,2 Prozent, die SPD nur auf 17,6 Prozent. Und das nur mit hauchdünnem Vorsprung vor der Linken mit 17,1 Prozent. Im Osten und Süden Brandenburgs, in einem Streifen, der vom Barnim, über Märkisch-Oderland, bis hach Cottbus und in die Lausitzkreise reichte, wurde die Woidke-SPD nur noch viertstärkste Kraft - hinter CDU, AfD und Linken. Ein Trauma für die Genossen.

Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD): Sozialdemokraten muss wieder roter werden

Sieger in Brandenburg ist die von Parteichef Ingo Senftleben geführte Union mit 26,7 Prozent, die die besten Zweitstimmenergebnisse im Norden und Westen einfuhr, Uckermark, Prignitz, Ostprignitz-Ruppin, Oberhavel, der Stadt Brandenburg, Potsdam-Mittelmark. Die FDP, seit 2014 nicht mehr im Landtag, kam auf 7,1 Prozent, die Grünen auf 5,0 Prozent. Von zehn Wahlkreisen holte – bis auf Potsdam und Umgebung mit der SPD-Siegerin Manja Schüle – alle die CDU.

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sprach von einem „bitteren Ergebnis für die SPD, im Bund und im Land“. Nötig sei es nun auch, „die Fehler zu analysieren.“ Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) forderte prompt eine Erneuerung der Bundespartei, die in den letzten Jahren zu sehr auf Nebengleisen unterwegs gewesen sei. „Dazu zählt auch die blödsinnige Anbiederung an ökoradikale Positionen. Es ist dringend notwendig, dass die SPD wieder roter wird.“

Rumoren an der SPD-Basis - womit Woidke jetzt zu kämpfen hat

Doch in Brandenburg gerät Woidke, seit 2013 Ministerpräsident, mit seiner SPD zwei Jahre vor der nächsten Landtagswahl in noch schwierigeres Fahrwasser. Auch unter dem Eindruck der Katastrophe rumort es an der Basis, die umstrittene Kreisgebietsreform abzublasen. Wie lange steht die Landtagsfraktion noch? „Nun stehen auch zentrale Vorhaben der Landesregierung zu Diskussion“, sagte Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Die Stimmung in der Partei sei kritisch. „Es ist bisher nicht gelungen, deutlich zu machen, was damit bewirkt werden soll.“ Kann man die Kreisgebietsreform weiter durchziehen? „So nicht!“, sagte Peter Winkelmann, früher Büroleiter der Sozialministerin Regine Hildebrandt, ein SPD-Urgestein. Oder Volker Westphal, Ortsvereinschef in Michendorf, der früher im Innenministerium selbst das Projekt vorangetrieben hatte, inzwischen ins Bildungsministerium wechselte. „Man muss über alles neu nachdenken.  So geht es nicht.“ 

Woidke hingegen sieht keinen Anlass, das Reformprojekt zu stoppen, auch kein böses Omen für die Landtagswahl 2019, wie er den PNN sagte. „Auch wenn es schwierig wird, muss man die Dinge tun, die für die Zukunft des Landes notwendig sind. Da sollte man sich nicht von Populismus beeindrucken lassen, den die CDU betreibt.“ Vor vier Jahren habe es eine ähnliche Situation gegeben, als die Union damals im Land die Bundestagswahl gewann. „Wir haben die nächste Landtagswahl gewonnen, mit fast zehn Prozent Vorsprung. Wir wissen seit je her, dass sich Landtagswahlen in Brandenburg von Bundestagswahlen unterscheiden.“ Aber gilt diese Gewissheit wirklich heute noch, wo auch in Brandenburg, bei den Brandenburgern so vieles ins Rutschen geraten ist, wie sich zeigt?

„Für die politische Linke in Deutschland ist der Abend ein Desaster“

Für Brandenburg müsse man die Ergebnisse gründlich auswerten, reagierte Linke-Chef und Finanzminister Christian Gröke: „Für die politische Linke in Deutschland ist der Abend ein Desaster.“ Mit der Kreisreform habe die Bundestagswahl nichts zu tun.

„Ich mache mir Sorgen um die SPD“, sagte CDU-Chef Ingo Senftleben. Das war ein Satz, den der verstorbene SPD-Generalsekretär Klaus Ness früher immer über die CDU gesagt hatte. „Ab morgen ist der Tag eins vor der Landtagswahl“, sagte Senftleben. Er formulierte schon mal das Ziel der CDU, 2019 stärkste Kraft zu werden. Und er forderte die SPD erneut auf, die Kreisreform zu beerdigen. „Wenn sie daran festhält, wird sie 2019 die Quittung erhalten.“ Auch Brandenburgs früherer Vize-Regierungschef und Ex-Innenminister Jörg Schönbohm sieht das so. Er erinnert sich noch gut an die Zeiten, als die CDU in Brandenburg stolze war, zwei von zehn Wahlkreisen zu gewinnen. „Brandenburgs SPD ist im Niedergang“, sagte er den PNN. Natürlich könne die SPD stur an der Kreisreform festhalten. „Es wird ihr nicht helfen.“

Morddrohungen für private Flüchtlingsaufnahme

Es gab einen, der sich schon vorher keine Illusionen machte, dass die AfD stark zulegen wird, auch in Brandenburg. „Es ist ja auch eine Wahl zwischen Rational und Emotional“, sagte Martin Patzelt, 70, als er in Briesen (Oder-Spree) selbst zu Wahl ging. Er war früher Oberbürgermeister in Frankfurt (Oder), ist seit 2013 Bundestagsabgeordneter der CDU. Er gewann am Sonntag wieder den Wahlkreis 63 (Frankfurt/Oder–Spree). Gegen den Stimmungstrend, gegen den AfD-Herausforderer Alexander Gauland. Über die Landesgrenzen hinaus war Patzelt bekannt geworden, weil er 2015 zu Hause zwei Flüchtlinge aufnahm, Morddrohungen erhielt, einer, der für das helle Deutschland und Brandenburg steht. Deshalb war jüngst etwa die „Washington Post“ bei ihm, auch der russische „Sputnik“.

Denn die Flüchtlingsthematik prägte gerade auch in der Grenzregion zu Polen, im Wahlkreis um Frankfurt/Oder, zu Polen die Wahl, zumal hier Gauland als Direktkandidat antrat. Die Stimmung sei „sehr polarisiert“, sagt Patzelt. So habe er es in den letzten Tagen erlebt, Zuspruch, aber auch Anfeindungen. Die AfD profitiere, „wie früher die Linke vor den Regierungsbeteiligungen, von Wut, Angst und dem Drang nach Protest“. Es könne zumindest ein Gutes haben, wenn man sich direkt mit der AfD im Bundestag auseinandersetzen könne, so Patzelt. „Wir entzaubern sie“.

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