Olaf Scholz im Aufwind: Zwischen Schlumpf und Ampelmännchen
Die SPD wollte ihn nicht als Chef, er schien erledigt. Nun ist er Kandidat, seine Partei stützt ihn. Scholz will jetzt die ganze Macht, doch es lauern Gefahren.
Anne Will hat Olaf Scholz schon aus Versehen als SPD-Parteivorsitzenden vorgestellt. Da musste der Vizekanzler schmunzeln, es beschreibt ganz gut die veränderte Wahrnehmung auf ihn. Es ist nur etwas mehr als ein Jahr her, dass er nach seiner Niederlage im Rennen um den Parteivorsitz über einen Rücktritt als Finanzminister und Vizekanzler nachdachte.
Er galt in dieser Zeit als Mann ohne Macht. Nun ist er wieder auf allen Kanälen unterwegs, triezt die Union mit seiner als überheblich empfundenen Art, als der Mann, der Kanzler werden will und kann.
Am Wahlabend redet er im ZDF, in der ARD, bei „Bild live“, er ist anders als CDU-Chef Armin Laschet „auf dem Platz“; die Botschaft immer die gleiche: Eine Regierung ohne CDU/CSU ist möglich, die Union könnte unter 30 Prozent fallen. „Ich will Kanzler werden.“
Immer weitermachen, bis er "Last man standing" ist?
Das mag angesichts von 16, 17 Prozent in Umfragen vermessen klingen, aber angesichts der Zersplitterung der Parteien-Landschaft und möglicher Dreierbündnisse können vielleicht auch schon 25 Prozent reichen, um eine Regierung anzuführen.
Die Methode Scholz geht so: Stoisch weitermachen, bis er quasi der "Last man standing" ist, einstecken können und auf die Chance lauern. Politik ist ein schnelllebiges Geschäft, wo sich rasch vieles komplett verändern kann.
Sein großes Problem: die Überheblichkeit, mit der er auch im Rennen um den Parteivorsitz machen vor den Kopf stieß. SPD-Vorsitzenden Scholz eine Rolle spielte. „Er hält sich für den Klügsten“, sagt ein Landesminister über ihn. Zugleich impft er der SPD neues Selbstvertrauen ein.
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Die Attacke von CSU-Chef Markus Söder, er solle nicht so verschlumpft dahergrinsen, bei der letzten Corona-Schalte konterte er damit, dass er den Schlumpf zu seinem Markenzeichen machte: „Das gefällt mir super, die sind klein, listig und gewinnen immer.“
Beim Auftritt am Montag im Willy-Brandt-Haus bietet er wieder sein verschmitztes Scholz-Lächeln, er will gar nicht groß auf das SPD-Ergebnis von elf Prozent für die SPD in Baden-Württemberg eingehen, das aber zumindest die Option auf eine Grün-geführte Ampel eröffnet.
Sein Vorbild ist der Wahlkampf Malu Dreyers, die er eine gute Freundin nennt. Mehr Zukunftsinvestitionen, sichere Arbeitsplätze, höherer Mindestlohn, mehr Respekt für Geringverdiener, Klimaschutz, den sich alle leisten können.
Und er wiederholt vor der roten Wand mit dem Slogan „Zukunft für Dich. Sozial. Digital. Klimaneutral“ seine Botschaft vom Wahlabend. „Es gibt Mehrheiten diesseits der Union. Diese Botschaft, die sitzt jetzt fest. Jetzt ist Bewegung in die Sache gekommen.“ Der heitere, zuversichtliche, fröhliche Antritt in Rheinland-Pfalz habe sehr geholfen – er will weg von der an sich selbst leidenden Partei, die es schafft, selbst Erfolge schlechtzureden.
Doch kaum einer weiß laut Umfragen, wofür die SPD steht – und ob der Burgfrieden mit dem linken Flügel hält, wird sich noch zeigen. Sein Umfeld setzt darauf, dass Armin Laschet derzeit trotz der Wahl zum CDU-Chef nicht die Autorität hat, die Kanzlerkandidatur der Union rasch für sich zu reklamieren. Je länger die Hängepartie dauert, umso besser für die SPD .
Und er hat es mit seiner Verhandlungskunst geschafft, auch den linken Parteiflügel einzubinden, seine Leute loben die Zusammenarbeit besonders mit SPD-Chefin Saskia Esken, die sich zurücknehme und Scholz die große Bühne überlasse.
Wie passt sein Profil aus Hamburger Tagen mit der aktuellen SPD zusammen?
Bislang droht nicht die Wiederholung einer Konstellation, in der Parteichef Sigmar Gabriel den SPD-Kanzlerkandidaten mit seinen Solo-Auftritten immer wieder in das Handwerk pfuschte.
Und Scholz kommt es zupass, dass eine pragmatisch orientierte, sich nicht in Identitäts- und Genderdebatten verharkende Ministerpräsidentin wie Malu Dreyer einen Wahlerfolg einfahren konnte, von dem die SPD im Bund nur träumen kann. Während die Kompetenzwerte der SPD sich dort zwar auch in Kernbereichen wie Soziales und Bildung sich verschlechtert hatten, war es vor allem eine Personenwahl.
[Mehr zum Thema: Union, SPD, FDP, AfD und Grüne – was die Landtagswahlen für die einzelnen Parteien bedeuten (T+)]
Und darauf setzt auch Scholz, er sieht sich darin aus Hamburger Zeiten bestärkt: Eine eher mitteorientierte Politik, Verlässlichkeit, Klarheit im Kurs. Zur Methode Scholz gehört aber auch, dass er alle Fragen, ob eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP und nicht ein Linksbündnis viel besser zu seinem Profil passe, an sich abperlen lässt.
„Zu meinem Profil passt ein gutes Ergebnis für die SPD.“ Das sei das Geheimnis dieser Bundestagswahl. „Man kann nicht taktisch wählen, sondern muss sich entscheiden.“ Bloß nicht den linken Parteiflügel gegen sich aufbringen.
Die Aussicht auf eine Ampelkoalition kann die SPD auch spalten
Scholz weiß: Die Ampel ruft nicht in allen Teilen seiner Partei Begeisterung hervor, viele Sozialdemokraten halten es mit den Parteichefs und favorisieren Rot-Rot-Grün.
Die Sympathien für die Ampel sind im Kosmos der SPD klar verteilt: Das pragmatische Netzwerk Berlin, der konservative Seeheimer Kreis und auch das Wirtschaftsforum begrüßten die neue Machtchance auch wegen ihrer inhaltlichen Ausrichtung. Die Linke dagegen ist skeptisch. „Ich halte eine Ampel auch im Bund für eine gute und spannende Koalition, weil sie Innovation, soziale Gerechtigkeit und die Menschheitsfrage Klimaschutz zusammenbringt“, sagt Netzwerk-Sprecher Falko Mohrs.
Und der linke Flügel gibt sich auch brav, die plötzliche Aussicht, doch vielleicht weiter regieren zu können, wirkt aktuell disziplinierend. Und Scholz wirkt längst wie der Schatten-Parteichef, seine Leute erarbeiten die wichtigsten Vorlagen und koordinieren die Kommunikation, die viel stringenter und einstimmiger wirkt als früher.
Gleichwohl müsste die SPD ohnehin erst einmal vor den Grünen landen, gegen die mögliche Spitzenkandidatin Annalena Baerbock würde Scholz vor allem die Karte spielen, dass er viel Regierungserfahrung hat, sie keinerlei. Die Aussicht, dass sich etwas bewegt in der Machtfrage, lässt dem Kandidaten sichtbar neue Energie zufließen.
Scholz wirkt gelöster als noch vor Wochen. Doch das Regieren, das Lösen der Impfprobleme, wird sicher nicht einfacher, wenn die SPD-Spitze der Union ein strukturelles Korruptionsproblem wegen der Provisionszahlungen an mehrere Abgeordnete für Schutzmasken unterstellt.
Wenn Scholz Aufwind spürt, neigt er auch zu Fehlern
Und auf dem Weg zur Bundestagswahl gibt es noch viele Unwägbarkeiten und eine Gefahr: Gerade wenn Scholz sich und seine Politik im Aufwind wähnt, neigt er zu Fehlern. Als Generalsekretär wollte er nicht nur die Sozialreformen Gerhard Schröders und Hartz IV durchsetzen, sondern gleich noch den „demokratischen Sozialismus“ aus dem Grundsatzprogramm der SPD streichen. Der Sturm der Entrüstung zwang ihn zu einem Rückzieher, er hatte jedoch sein „rechtes“ Image in der SPD weg.
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Und als Bürgermeister von Hamburg verlor er entgegen seiner sicheren Erwartung nicht nur den Volksentscheid über die Olympischen Spiele in der Stadt, sondern garantierte im Vorfeld des G-20-Gipfels auch, dass er alles im Griff habe und die Großveranstaltung ohne Gewalt über die Bühne gehen werden. Dann brannte seine Stadt, die Polizei lief den Gewalttätern hinterher.
Und wegen der Fehleinschätzungen im Wirecard-Skandal muss er sich noch vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags verantworten; fehlende Aufklärung oder eine arrogante Attitüde könnten ihm da noch auf die Füße fallen, ebenso wie sein Versprechen von zehn Millionen Impfungen pro Woche bis Ende Juni.
Aber zur Methode Scholz gehört auch, dass er einer der besten Verhandler des Landes ist, nicht alles sind immer gute Kompromisse – er lächelte auch verschmitzt, wenn man ihn fragte, wie es zum Beispiel bei der Reform der Grundsteuer die Quadratur des Kreises schaffen wolle. Am Ende stand ein kompliziertes Modell, das kaum jemanden glücklich machte.
In den Koalitionsverhandlungen mit der Union blieb er einfach so lange bis zum nächsten Morgen im Konrad-Adenauer-Haus sitzen, bis die SPD trotz eines Wahlergebnisses von 20,5 Prozent auch noch das Finanzministerium bekam. Diese Fähigkeit eröffnete Scholz in der Corona-Krise große Gestaltungsmacht und die schwarze Null wurde beerdigt.
Jamaika scheiterte vor allem daran, weil die Union die FDP auflaufen ließ. Scholz ist zuzutrauen, sollte es rechnerisch für die Option reichen, dass er alles dafür tun würde, zum Ampel-Architekten zu werden. Statt eines Schlumpfes, könnte er dann ein Ampelmännchen auf seinen Schreibtisch aufstellen.
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