„Ich bin das Gesicht der Anarchie“: Wütende Mütter stellen sich Trump entgegen
Bundespolizisten schlagen im Auftrag Trumps gewaltsam Proteste nieder. Inmitten der Ausschreitungen: Ein Schutzwall aus Müttern vor den Demonstranten.
In den Augen von Desiree LaBella zeigt sich Verzweiflung und Wut. Mit zwei gerahmten Fotos ihres Sohnes in den Händen stellt sie sich Polizisten in Schutzausrüstung entgegen. „Hören Sie auf, die Situation eskalieren zu lassen“, schreit sie. „Das ist mein Sohn!“
Zwei Tage zuvor schoss ein Bundespolizist ihrem Sohn Donavan LaBella während der Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in Portland im US-Bundesstaat Oregon in den Kopf. Um welche Waffe es sich genau handelte, ist nicht bekannt. Fakt ist: LaBellas Sohn wurde mit Gesichtsbrüchen in ein Krankenhaus eingeliefert, wo in einer Operation Teile seines Schädels rekonstruiert werden mussten.
LaBella, deren mutiger Auftritt in einem Video auf Twitter bereits tausendfach gesehen wurde, ist eine von hunderten Müttern, die sich in Portland seit vergangenem Samstag maskierten Bundespolizisten und Grenzbeamten in den Weg stellen. Sie wollen die Demonstranten inmitten der brutalen Ausschreitungen schützen – wenn es sein muss, mit ihren eigenen Körpern.
Die Frauen bezeichnen sich als „Wall of Moms“ („Mauer aus Müttern“). Ihre Erkennungszeichen: bunte Fahrradhelme, gelbe Kleidung. Und: Alle tragen Stoffmasken. Viele haben zum Schutz ihrer Augen Taucherbrillen aufgesetzt.
Am vergangenen Samstag versammelten sich die Mütter das erste Mal vor dem Gerichtsgebäude in Portland, dem Hotspot der Antirassismus-Demonstrationen in Oregon. Sie riefen: „Feds stay clear! Moms are here!” („Bundespolizisten, bleibt weg! Die Mütter sind hier!“) und „Leave our kids alone!” („Lasst unsere Kinder in Ruhe!“). Aus rund 30 Frauen wurden im Laufe des Abends rund 400.
Die Initiatorin der Proteste, Bev Barnum, rief auf Facebook zu der Aktion auf. Auslöser war ein Video, das zwei bewaffnete Bundesbeamte zeigt, wie sie einen Demonstranten offenbar grundlos gewaltsam in ein Zivilfahrzeug zerren.
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In ihrem Aufruf schrieb Barnum deshalb: „...in letzter Zeit werden die Demonstranten ihrer Rechte beraubt, indem sie von nicht identifizierbaren Beamten in nicht gekennzeichnete Autos geschleppt werden.“ Sie selbst war zuvor noch nie auf einer Demonstration.
„Ich bin das Gesicht der Anarchie“
Die Initiatorin wünschte sich, dass die Mütter sich zurechtmachen, als würden sie einkaufen gehen – ganz normal eben, und nicht so wie man sich Demonstranten vorstellt. Sie erhoffe sich, dass die Beamten ihr unscheinbares Aussehen automatisch als weniger bedrohlich wahrnehmen würden, schrieb sie. In einem ihrer Chöre singen die Mütter: „Die Hände sind oben, bitte nicht schießen“. Sie stimmen die Zeilen so an, als würden sie einem Kind ein Schlaflied vorsingen.
Einige Mütter versuchen es auch mit Humor und halten Transparente hoch, auf denen steht: „Ich bin enttäuscht von dir – deine Mutter.“
Auch Allison Hyder, fünffache Großmutter, steht seit Dienstag in den sonnenblumengelben Reihen des Mutter-Schutzwalls. „Ich bin das Gesicht der Anarchie“, sagte sie der New York Times. Und weiter: „Mütter, Großmütter und Kindermädchen sind da draußen und fordern mitten in der Nacht gleiche Rechte für alle!“
Seit der Ermordung George Floyds dauern die Proteste in Portland an, auch wenn sie in vielen anderen Teilen des Landes nachgelassen haben. Seit 55 Tagen in Folge gibt es Demonstrationen in der Stadt, die teilweise von Ausschreitungen und Gewalt seitens der Polizei begleitet werden. Am Sonntag hatte die Polizei in Portland den Ausnahmezustand verhängt, nachdem Demonstranten das Gebäude der Polizeigewerkschaft in Brand gesetzt hatten.
Portland als Trumps Wahlkampf-Bühne
US-Präsident Trump nutzt die Ausschreitungen derweil als politische Bühne für seinen Wahlkampf. In den Umfragen liegt er hinter seinem Konkurrenten, dem Demokraten Joe Biden mittlerweile deutlich zurück. Trumps Strategie: sich als „Law and Order“-Mann zu inszenieren, der hart durchgreift. Im Juni entsandte er per Erlass Bundespolizisten und Grenzbeamte nach Portland – gegen den Willen der Stadt und des Bundesstaates, die beide demokratisch regiert werden.
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Am Montag erklärte Trump, dass die Situation in den USA wegen der Anti-Rassismusproteste „schlimmer als in Afghanistan“ sei und behauptete, Portland lediglich helfen zu wollen.
Die entsandten Spezialkräfte gehen derweil mit Tränengas, Schlagstöcken und Geschossen gegen die Demonstranten vor. Ihre Gesichter sind hinter Gasmasken verborgen. Seitdem die Bundespolizisten in der Stadt sind, eskaliert die Situation zunehmend.
Tränengas gegen die Müttermauer
Und auch die „Wall of Moms“ geriet in die Gewaltspirale – entgegen Barnums Hoffnungen, dass die Mütter eben wegen ihres Auftretens verschont bleiben würden. Am Samstagabend, noch während des ersten Protesttags der „Moms“, lösten die Bundesbeamten die Mütterdemo auf. Am späten Abend setzten sie Blendgranaten, Schlagstöcke und Tränengas gegen die Demonstrantinnen ein.
Dem Protest tat das gewaltsame Vorgehen der Beamten keinen Abbruch. Auch an den darauffolgenden Tagen zogen die Mütter sich ihre gelben T-Shirts an, setzten ihre Helme auf und gingen demonstrieren. Und wieder gingen die Polizisten mit Tränengas gegen die Demonstrantinnen vor wie zuletzt Dienstagnacht, wie Videos auf Twitter belegen.
Initiatorin Barnum sieht ihren Protest bisher als Erfolg. Denn sie meint, bei den Beamten zumindest leichte Zweifel an ihrem Vorgehen gegen die Frauen bemerkt zu haben.
Heldinnen wollen die Mütter aber nicht sein, sagte sie dem Nachrichtenportal "Buzz Feed News". „Hier geht es um Black Lives Matter und nicht um weiße Frauen, die anmarschiert kommen und den Tag retten!“ Barnum wolle ihr Privileg, als weiß wahrgenommen zu werden, nutzen und Schwarze Demonstranten vor Angriffen der Polizei zu schützen.
In der Zwischenzeit hat Trump angekündigt, Bundespolizisten auch in andere demokratisch regierte Städte schicken zu wollen. Er sprach von Einsätzen in Chicago und New York. Das Ministerium für Innere Sicherheit der USA bereite bereits den Einsatz von 150 Kräften in Chicago vor.
Der Bürgermeister Portlands, Ted Wheeler, kritisierte derweil die „verfassungswidrigen Taktiken“ der Beamten, die die Situation gefährlich eskalieren ließen. Das führe tatsächlich „zu mehr Gewalt und mehr Vandalismus“. Trump hingegen hofft, sie führt zu mehr Wählerstimmen. Abziehen will er die Beamten aus Portland nicht.