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US-Regisseur Woody Allen sieht sich erneut Vorwürfen wegen sexuellen Missbrauchs ausgesetzt.
© Tristan Fewings / Pool/GETTY IMAGES/dpa

MeToo-Debatte: Woody Allen oder der Bildersturm

Die weltweite Debatte über Missbrauch sollte nicht übergriffig werden, sonst gefährdet sie am Ende die Kunstfreiheit. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Dr. Peter von Becker

Es war der heiße Sommer 1965. Ich war in den Schulferien in London, wo meine englischen Cousinen Partys veranstalteten, von denen ein pubertierender Junge aus der gerade erst nachadenauerschen Bundesrepublik bis dahin nur träumen konnte. Ein Hauch von Flower Power durchwehte die große Stadt, wir hörten, gerade erschienen, „Satisfaction“ von den Stones, und die Beatles sangen „Ticket to Ride“, Bob Dylan „Like A Rolling Stone“.

In London kaufte ich mir auch zum ersten Mal einen „Playboy“. Die Fotos waren, na ja. Alles mit Weichzeichner, viel Gegenlicht, ein bisschen dieser damals grassierende David-Hamilton-Stil wie auch im deutschen Magazin „Twen“. Aber es gab, als intellektuelle Feigenblätter, dazu die berühmten, ambitionierten Interviews im „Playboy“. In jenem Sommerheft war es das Gespräch mit einem noch kaum bekannten 30 Jahre alten Drehbuchautor und Filmschauspieler namens Woody Allen. Es ging um das Schreiben von Komödien, um die Komik wohl auch von irgendwie stark verwickelten Sex- und Liebesgeschichten. Anlass war der Start des Films „What’s New, Pussycat?“, für den Allen das Script verfasst und in dem er in einer Nebenrolle mitgespielt hatte.

Allens Werk ist ein Stück Lebensbegleitung

So sind wir uns erstmals begegnet. Und für viele Menschen, auch die Eltern und Kinder der nun wieder jubiläumshalber erinnerten 68er-Generation, sind sie ein Stück Lebensbegleitung geworden: Woodys Meisterwerke wie „Annie Hall“ („Der Stadtneurotiker“), „Manhattan“, „The Purple Rose of Cairo“, „Hannah und ihre Schwestern“ – bis hin zum späten Thriller „Match Point“ oder raffinierten Romanzen wie „Midnight in Paris“ und „Café Society“.

Das soll jetzt alles nicht mehr gelten? Im Zuge der MeToo-Debatte sind die Vorwürfe aus den 1990er Jahren wieder neu erhoben worden, Allen habe seine damals siebenjährige Adoptivtochter Dylan Farrow unsittlich berührt. Die Anschuldigungen kamen während der als Schmutzwäschekrieg geführten Scheidung zwischen Allen und Mia Farrow auf. Sie sind deswegen nicht weniger schwerwiegend. Allerdings sind sie nie bewiesen worden. Allen hat immer alles bestritten, sich freilich neuen Verdächtigungen ausgesetzt, als er vor zwanzig Jahren Mia Farrows Adoptivtocher Soon-Yi, seine frühere Stieftochter, geheiratet hat.

Man will derlei nicht so genau wissen. Solange man es nicht sicher wissen kann. Peinlich wirkt nur, wenn Woody Allen anlässlich des deutschen Kinostarts seines neuen Films „Wonder Wheel“ in einem bizarren „Spiegel“-Gespräch ausweichend, zerstreut auftritt. Vielleicht krank.

Es gibt in richtigen Bewegungen auch Übertreibungen

Dass es, von Amerika ausgehend, heute einen Aufstand gibt gegen sexuellen Missbrauch, ermöglicht durch (fast immer männlichen) Machtmissbrauch, ist nur überfällig und gut so. Aber es gibt am Rande einer wichtigen, richtigen Bewegung auch Übertreibungen. Durch Denunziationen, Wichtigtuerei oder aus weniger moralischen als geschäftlichen Gründen. Schon einen großen, eben noch allgemein gerühmten Schauspieler wie Kevin Spacey nachträglich aus „Alles Geld der Welt“ herauszuschneiden, war mindestens fragwürdig. Was Spacey nachgesagt wurde, ist ja unbewiesen und mit den mutmaßlichen Übergriffen eines Harvey Weinstein jedenfalls nicht vergleichbar. Ungeheuerlich erscheint auch die Kampagne in den USA, die einen unbescholtenen, sozial engagierten Künstler wie Matt Damon wegen einer offenbar nie stattgehabten Intervention bei der „New York Times“ vor einem Jahrzehnt zugunsten Weinsteins anprangert und verlangt, auch Damon aus einem demnächst erscheinenden Hollywoodfilm „herauszuschneiden“.

So wird der moralische Protest zum bigotten Bildersturm. Und Mahnungen wie die französischer Künstlerinnen (Catherine Deneuve, Catherine Millet) werden schnell niedergemacht. Auch die wunderbare Kate Winslet musste massivem Druck widerstehen, sich von ihrer Hauptrolle im gerade angelaufenen Allen-Film „Wonder Wheel“ nicht zu distanzieren. Ein männlicher Nebendarsteller brüstet sich dagegen in nacheilendem Opportunismus öffentlich damit, sich „zu schämen“, für Allen gearbeitet zu haben.

Eben waren sie noch alle stolz darauf. Jetzt aber wollen Fanatiker (oder Opportunisten) schon Allens nächsten, gerade im Schnitt befindlichen Film boykottieren.

Das geht zu weit, da sei die Kunstfreiheit vor. Im Übrigen sind auch Genies nur Menschen. Es gab nie einen Grund, Woody Allen oder viele andere, von Chaplin bis Polanski, für Engel zu halten. Doch ihre besten Werke bleiben. Sie sind teuflisch, himmlisch gut.

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