Woody Allens "Wonder Wheel": Alte Männer und sehr junge Frauen
Woody Allens Tragikomödie „Wonder Wheel“ hinterlässt mitten in der Weinstein-Debatte ein schales Gefühl.
Das berühmte Riesenrad im Vergnügungspark Coney Island thront wie ein Menetekel über Woody Allens „Wonder Wheel“. Vom Fenster des Häuschens aus, in dem Ginny mit ihrem Mann Humpty in den kodachromleuchtenden fünfziger Jahren lebt, hat man einen guten Blick auf die Touristenattraktion, die mit nostalgischer Verklärung an bessere Zeiten erinnert. Die Innenräume sind gebaut wie eine Theaterbühne, im Hintergrund steht das Riesenrad omnipräsent im Raum: Sehnsuchtsobjekt und böses Omen zugleich.
Aufgeführt wird auf dieser Bühne Boulevardtheater, wie häufig im Spätwerk des alternden Altmeisters. Ginny ist in einer unglücklichen Ehe gefangen. Sie hat Schuld auf sich geladen (glaubt sie) und sieht sich deshalb zu einem Leben mit einem cholerischen Säufer verdammt, dessen Vorstellung von einem romantischen Date sich auf einen Ausflug an den Pier beschränkt, wo er mit seinen proletarischen Freunden die Angelroute ins Wasser hält.
Ginny träumt dagegen von Hollywood, beim Blättern durch ihre Filmmagazine flüchtet sie sich in eine glamourösere Welt. Im wahren Leben arbeitet sie als Bedienung in einem Diner auf der Touristenmeile. Humpty macht sich über ihre bescheidenen Träume lustig, seine Welt endet am Eingang das Parks, in dem er für die Karussells verantwortlich ist.
Humpty (Jim Belushi als schmieriger Unterhemdenträger mit einer fragwürdigen Tochterfixierung, über die man bei jedem anderen Regisseur vielleicht gnädig hinwegsehen könnte) ist eine Figur, wie sie für Allens Filme längst typisch ist. Auch seine Welt wird zunehmend überschaubarer, mit jedem Film zieht sie sich mehr zusammen, unabhängig von Epoche oder Schauplatz. Seine Figuren agieren nach den immergleichen Verhaltensmustern, die Eigenheiten sozialer Milieus interessieren ihn kaum noch.
Belushi spielt Humpty, wie sich Regisseure in den fünfziger Jahren vielleicht mal einen Menschen aus der Arbeiterklasse vorgestellt haben, eine Karikatur von Marlon Brandos Stanley Kowalski. In der Logik des Drehbuchs muss das wohl so sein, damit die tragische Fallhöhe Ginnys umso schmerzhafter ist. Kate Winslet hat eine noch undankbarere Rolle erwischt. Ginny wirkt wie ein psychisches Wrack, sie hat sich in ihr Schicksal ergeben. Bertolucci-Kameramann Vittorio Storaro leuchtet Winslet in den prächtigsten Farben aus, aber ihre schöne Verzweiflung findet keinen emotionalen Nachhall.
Ginny ist bedürftig, kränklich und hoffnungslos naiv. Sie schmeißt sich dem gut aussehenden Bademeister Mickey, gespielt von Justin Timberlake, an den Hals, der in Greenwich Village lebt und Eugene O’Neill zitiert. Ihr Tête-à-Tête geht so lange gut, bis Humptys Tochter Carolina (Juno Temple) vor der Tür steht. Die ist auf der Flucht vor ihrem Mobster-Ehemann und sucht Unterschlupf. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich Carolina und Mickeys begegnen. Der Rest ist vorhersehbar. Allens Figuren sind inzwischen so dermaßen ihren Zwängen ausgeliefert – beziehungsweise denen ihres Regisseurs –, dass der sich mit der bloßen Variation von Plot-Bausteinen begnügen kann.
Woody Allen übersteigt jedes erträgliche Maß an Nostalgie
Bezeichnenderweise fungiert Timberlake in „Wonder Wheel“ als Erzähler, er spricht direkt in die Kamera, jedoch nicht allwissend, sondern durchtrieben. Allen hat in seiner ganzen Karriere noch keine interessante Frauenfigur geschrieben, in seinen letzten Filmen waren die Frauen bestenfalls hysterisch – oder willfährige Musen. Auch in „Wonder Wheel“ identifiziert er sich mit den Männern. Das warme Licht, in das er sie taucht, erweckt stellenweise den Eindruck von Alterssentimentalität, die jedes verträgliche Maß an Nostalgie überschreitet. Es scheint, als wolle Allen seine Idee des „guten alten Kinos“ rekonstruieren, selbst die Gangster, die irgendwann bei Humpty auftauchen, reden wie in einem James-Cagney-Film. Sein Frauenbild steht dem in nichts nach.
Dazu passt ein aktueller Artikel in der „Washington Post“, in dem der Autor Richard Morgan über seine Funde in Allens Privatarchiv berichtet. Er durchstöberte unverfilmte Drehbücher und Drafts, die bis in die sechziger Jahre zurückreichen. Sein Fazit ist vernichtend: „Allens Werk trieft vor Misogynie.“ Immer wieder gehe es um Beziehungen zwischen Männern und sehr jungen Frauen.
Gegen Woody Allen gibt es seit Jahren einen Vorwurf wegen sexuellen Missbrauchs
Der Name Woody Allen ist bei Diskussionen um Harvey Weinstein regelmäßig der weiße Elefant im Raum. Bereits 2015 erhob Ronan Farrow schwere Vorwürfe gegen seinen Vater: Seine Schwester Dylan hatte Allen des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Farrow wirft Hollywood Heuchelei vor, noch ist Allen sakrosankt. Natürlich wäre es töricht, das Verhalten eines Regisseurs an dessen Werk zu messen, die Branche reagiert derzeit ohnehin hochsensibel. Aber ein schales Gefühl bleibt nach „Wonder Wheel“, auch Timberlake und Winslet sahen sich Kritik für ihre Zusammenarbeit mit Allen ausgesetzt. In Hollywood liegen die Nerven blank, während Woody Allen sich in der Vergangenheit eingerichtet hat.
Ab Donnerstag im Kino.