"MeToo"-Debatte: Die Macht und ihr Missbrauch
Ein Thema des Jahres ist die „MeToo“-Bewegung. Welche Folgen hat sie bisher, und wie soll und kann es weitergehen?
Für die Frauen und den Film fängt das nächste Jahr gar nicht schlecht an. Nämlich mit Sally Hawkins, Frances McDormand und Meryl Streep – sie spielen die Hauptrollen in jenen drei US-Filmen, die die Oscar-Saison dominieren. Der Vorlauf der Golden-Globes-Nominierungen macht es wahrscheinlich, dass der Fantasy-Thriller „The Shape of Water“, das Rachedrama „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ und das Biopic „The Post“ mit Streep als „Washington Post“-Chefin Katharine Graham bei den Oscars zu den Favoriten zählen. Drei Filme von Regisseuren, aber mit Frauen im Zentrum. Zudem setzt Jessica Chastain ihre Serie der Heldinnenfilme im Frühjahr fort, mit „Molly’s Game“ über die Poker-Mogulin Molly Bloom.
Wie ungewöhnlich das ist, zeigt ein Blick auf die letzten Oscar-Jahrgänge. „Moonlight“, „La La Land“, „Spotlight“, „Birdman“ oder „12 Years A Slave“ tragen zwar dem Ruf nach mehr diversity Rechnung, aber es sind Männersujets mit männlichen Helden. Frauen kommen meist nur über die Liebe ins Spiel.
Tut sich was in Hollywood? Im Windschatten von „MeToo“ und der Debatte über Frauenrechte und Frauenbilder seit dem Weinstein-Skandal geben die aktuellen Nominierungslisten Anlass zur leisen Hoffnung. Der Kinohit zum Jahreswechsel, „Star Wars: The Last Jedi“, bekennt sich ebenfalls unmissverständlich zur Sache der Frauen. „Auch Mädchen finden Laserschwerter cool“, sagt Lucasfilm-Chefin Kathleen Kennedy und durchsetzt die gute alte „Star Wars“-Truppe mit immer mehr Sternenkriegerinnen.
Was die weltweite Kampagne unter dem Hashtag „MeToo“ mit mehreren Millionen Tweets betrifft, hofft Kennedy, eine mächtige Frau im US-Filmbusiness, auf weitere Sensibilisierung in Sachen Machtmissbrauch und Sexismus. Damit die Täter sich nicht länger schützend hinter „Ruhm und Reichtum“ verschanzen können, gründete sie mit Kolleginnen und Juristinnen eine „Kommission gegen sexuelle Belästigung und für das Voranbringen von Gleichberechtigung am Arbeitsplatz“. Auch Männer wie der Disney-Chef Bob Iger oder Netflix-Boss Ted Sarandos unterstützen die Initiative.
Wie viele Feminismusdebatten muss es noch geben, bis sich was ändert?
Dabei fährt einem bei aller Hoffnung doch der Schreck darüber in die Glieder, dass im Jahr 2017 solche Kommissionen in der vermeintlich so gleichberechtigten westlichen Hemisphäre immer noch nötig sind. Nach 50, nein, nach gut 100 Jahren Frauenrechtskampf. Wie viele Feminismusdebatten, Alice-Schwarzer-Auftritte, Missbrauchsskandale und „Thelma & Louise“-Frauenfilmwellen muss es eigentlich noch geben?
Das grelle Scheinwerferlicht, das seit den Enthüllungen über die sexuellen Übergriffe des Hollywoodproduzenten Harvey Weinstein Anfang Oktober auch auf andere fällt, auf Männer im Unterhaltungsbusiness, in der Kultur und der Politik, hat das Thema zwar mit Wucht in die Öffentlichkeit katapultiert. Und hat es modifiziert: Auch Männer sind Opfer, Frauen als Täterinnen wurden bislang nicht identifiziert. Was aber immer noch weitgehend im Schatten bleibt, ist die strukturelle Gewalt, die jenseits der Promi-Welt kein bisschen weniger existiert.
All die Schlagzeilen über Weinstein, Kevin Spacey, den Amazon-Studiochef Roy Price, den Comedian Louis C. K., Rapper, TV-Moderatoren und viele mehr, all die mutigen Erfahrungsberichte von Stars wie Salma Hayek ändern wenig, wenn nicht die sexualisierte Gewalt abseits des Glamours nachhaltig in den Fokus rückt. In der Familie, der Jugendarbeit, der Kirche, im Sport, in Bildungseinrichtungen, am Arbeitsplatz. Es geht um die Beziehung zwischen Autoritäten und Untergebenen überall dort, wo es Schutzbefohlene gibt und Abhängigkeitsverhältnisse herrschen. Um Machtstrukturen, Rollenbilder, Chauvinismus, Schweigekartelle.
Erst wenn das Recht des Stärkeren nicht mehr gilt, war der Weinstein-Skandal nicht umsonst
Frauen sind keine besseren Menschen. Sie sind auch nicht von Natur aus die Opfer oder die Schwächeren. Aber erst wenn Schluss ist mit der Gleichsetzung von Macht und Männlichkeit, erst wenn das Recht des Stärkeren (egal ob Mann oder Frau) anderen zivilisatorischen Regeln weicht, könnte auch Schluss sein mit sexualisierter Gewalt. Erst dann war der Weinstein-Skandal nicht umsonst.
Frauen als Blockbuster-Heldinnen, Schweigebrecherinnen als „Person des Jahres“ auf dem „Time“-Cover, es sind wirkungsvolle visuelle Statements. Auch die ersten realen Folgen von „MeToo“ können sich sehen lassen. Mächtige Männer verlieren ihre Jobs, Karrieren sind beendet, es wird ermittelt, geklagt. Kevin Spacey wurde aus einem Film herausgeschnitten, Netflix beendete die Zusammenarbeit. Der Hip-Hop-Mogul Russell Simmons gab die Leitung seiner Firmen ab - auch wenn der in die Rap-Kultur eingeschriebene Frauenhass bislang seltsam unterbelichtet bleibt. James Levine dirigiert nicht mehr an der Met. New-York-City- Ballettchef Peter Martins legte sein Amt nieder. Sam Haskell, Chef des Schönheitswettbewerbs Miss America, wurde suspendiert. Nach Übergriffs-Vorwürfen wurde auch der Dirigent Charles Dutoit in London von Konzertverpflichtungen entbunden. US-Kongressabgeordnete stehen am Pranger, der Republikaner Roy Moore verlor die Nachwahl in Alabama, der britische Vize-Premier Damian Green trat zurück.
Gerät bei Künstlern das Werk selbst in Misskredit? Ein knifflige, bislang kaum erörterte Frage. Kann man „House of Cards“ jetzt noch gucken? Den nächsten Polanski- oder Woody-Allen-Film? Auch Allen zählt ja zu den jahrzehntealten Verdachtskandidaten. Rigide Moralcheck- Webseiten, wie therottenappl.es, die Serien und Filme auf den Index setzen, simplifizieren da auch wieder nur.
In Deutschland wurde bis heute kein prominenter Täter genannt. Woran liegt's?
Viele Täter sind alte Männer, ihre Verbrechen liegen teils Jahrzehnte zurück. Sie datieren in eine Zeit, in der ein anderer Moralkodex galt, Besetzungscouch ein lustiges Wort war, sexuelle Nötigung zum Kavaliersdelikt verharmlost wurde und das „Selber Schuld“-Argument grassierte. Aber das Schweigen über die Straftaten währte bis jetzt. Das ist der Kern des aktuellen Skandals: Dass die Täter bis in die Gegenwart unbehelligt blieben, dass sie Komplizen haben. Die Angst, nicht gehört oder als Opfer erneut gedemütigt zu werden und sich mit einem Outing womöglich selbst zu gefährden – diese Angst ist nicht gebannt. Donald Trump bleibt im Amt, trotz der 22 Frauen, die ihm sexuelle Belästigung vorwerfen. Er wird so wenig über seinen Sexismus stürzen wie Bill Clinton über die Lewinsky-Affäre.
Es ist ähnlich wie mit dem Rassismus. Amerika hatte seinen ersten schwarzen Präsidenten; in Kinofilmen befasst sich das Land intensiv mit der eigenen rassistischen Vergangenheit. Trotzdem gibt es nach wie vor massive Gewalt gegen Schwarze in den USA. Auf die Charleston-Morde folgte Charlottesville. Die Vergangenheit vergeht nicht, die Beharrungskräfte sind groß.
Und Deutschland? Liegt es wirklich nur am niedrigeren Erfolgsdruck, an besseren Arbeitgeberrechten und weniger „Hire and Fire“-Mentalität, dass hier eher übers „Grabschen“ geredet wird, über verbale Übergriffe als über Gewalt? Die „New York Times“ listete kürzlich 47 prominente „geschasste“ Männer auf. In Deutschland fiel bisher kein einziger Name. Die „Zeit“ hatte für ihr „MeToo“-Dossier 50 Schauspielerinnen angefragt. Nur drei wollten sich äußern, keine benannte einen potenziellen Täter.
Hierzulande wird weniger geoutet als analysiert
So unwahrscheinlich es ist, dass mächtige Menschen in der Politik, den Medien oder der Kulturwelt sich hierzulande besser benehmen als in den USA, so begrüßenswert ist es auch, dass hier mehr versucht wird, dem Übel an die Wurzel zu gehen. Die Debatte ist weniger Promi-fixiert, weniger hysterisch. Ein Vorwurf genügt nicht, Straftaten müssen bewiesen werden; in Amerika, dem Land der Schadenersatzklagen, herrscht ein anderes Klima. Die schlichte Dichotomie, hier arme Opfer, dort böse Täter, greift zu kurz. Ungleichbezahlung, ungleiche Karrierechancen, ungleiche Kosten für Dienstleistungen, nicht nur beim Friseur – es fängt oft harmlos an. Dazu gehört auch der solche Strukturkritik denunzierende Spruch, man dürfe Frauen ja bald nicht mal mehr Komplimente machen. Der WDR fragte Politiker: „Wann haben Sie zuletzt einen Mann auf sein sexistisches Verhalten angesprochen?“ Der Bundestagsabgeordnete und Berliner Ex-Justizsenator Thomas Heilmann ließ sich erst mal den Kragen richten und meinte zu der TV-Reporterin: „Sie dürfen alles anfassen“.
Gleichzeitig schlagen Männer aber auch selbstkritische Töne an, denken nach über alltäglichen Sexismus als Nährboden für Missbrauch, bei allen Unterschieden zwischen Wort und Tat. Über das Wesen der männlichen Sexualität, das „Dunkel am Grund“, wie Georg Diez im „Spiegel“ schreibt. „Was fehlt in der Diskussion“, so Diez weiter, „sind Männer, die erst einmal zuhören und nicht gleich Erklärungen haben für das, was Frauen erzählen. Was fehlt, sind die Geschichten, die die Komplexität und auch die Kaputtheit der gegenwärtigen Geschlechterbeziehungen spiegeln.“ Es geht um Körperpolitik. Um etwas sehr Intimes.
Sex mit Okay-Gebot: das geplante "Einverständnis"-Gesetz in Schweden
Die Schweden wollen ein neues Gesetz erlassen, das „Einverständnis“-Gesetz. Das Kabinett hat dem ersten Entwurf zugestimmt. Beim Sex müssen beide Partner erkennbar und ausdrücklich zustimmen, alles andere kann als fahrlässige Vergewaltigung geahndet werden. Nun mokieren sich alle: „Müssen die Schweden bald erst eine Unterschrift einholen, bevor sie miteinander ins Bett gehen?“
Abgesehen von juristischen Unwägbarkeiten (was heißt „erkennbar und ausdrücklich“?): Ist der politische Wille, das Recht auf körperliche Unversehrtheit besser garantieren zu wollen, tatsächlich bloß lächerlich? Reagiert er nicht vielmehr auf die ungeheuerliche Tatsache, dass das „Nein heißt Nein“-Prinzip im Sexualstrafrecht bis heute nicht vor Gewalt schützt, nicht einmal in der Ehe?
Viele Opfer von Harvey Weinstein haben Nein gesagt, klar und deutlich. Genützt hat es ihnen nichts. Solange die Welt kein Paradies ist, kann der Missbrauch von Machtgefälle gar nicht genug geächtet werden.
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