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Ein Demonstrant mit einer gelben Weste schwenkt die französische Flagge. Im Hintergrund der Arc de Triomphe.
© Michel Euler/AP/dpa

Die unerhörten Bürger: Woher kommt die Wut auf Macron, Merkel und Clinton?

Wahrgenommen werden ist ein Grundbedürfnis, auch ein politisches. Politiker müssen offen bleiben, wahrnehmen, Resonanz anbieten, Aufmerksamkeit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Nach den gewaltsamen Protesten der „Gelbwesten“ in Frankreich fragt sich das Land immer noch: Wo kommt das her? Ein Schlüssel zum Verständnis der Wut könnte diese Szene aus dem Sommer sein, am Tag der offenen Tür im Elysée Palast. Dort sprach ein junger Arbeitsloser den französischen Präsidenten an und berichtete von seinen Schwierigkeiten bei der Jobsuche. „Ich könnte über die Straße gehen und ihnen sofort eine Arbeit finden“, antwortete Emmanuel Macron mit großer Geste. Und: „Allez-y“, na los.

Herablassender kann man wohl nicht reagieren. Der junge Mann hatte seine Sorgen artikuliert, doch nichts hallte wieder. Dabei ist Wirksamkeit – und ihre Minimalform, das Wahrgenommenwerden – ein menschliches Grundbedürfnis, ein persönliches, aber auch ein politisches. Emmanuel Macron verweigert seinen Bürgern derzeit Wirksamkeit und Wahrnehmung.

Erst rohe Gewalt brachte die französische Regierung dazu, die Steuererhöhungen auf Benzin und Diesel zu verschieben. Macron zieht sich in einen Kokon der Unnahbarkeit zurück, und er ist nicht der einzige Politiker, der durch diese Verweigerungshaltung die politische Wut schürt. Diese Art der politischen Nicht-Kommunikation hat nicht nur ihn, sondern auch Angela Merkel und Hillary Clinton zu Hassfiguren gemacht.

Um das Grundbedürfnis des Menschen nach persönlicher und politischer Wirksamkeit und Wahrnehmung beschreiben, sind schon viele Metaphern gefunden worden. Der Zeitdiagnostiker Hartmut Rosa hat das Phänomen als „Resonanz“ bezeichnet. Der Begriff beschreibt das Verhältnis des Menschen zur Welt. Der Mensch definiere sich über die Frage: Wenn ich handle oder etwas sage, antwortet die Welt dann – oder bleibt sie stumm? Eine stumme Welt macht Menschen wütend. Der britische Historiker Timothy Garton Ash drückte es kürzlich in Berlin so aus, als er die Ursachen der Krise liberaler Demokratien analysierte: „Aufmerksamkeit ist die Währung unserer Zeit.“ Und die politische Aufmerksamkeit sei sehr ungleich verteilt.

Weitergegebene Machtlosigkeit

Das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und tatsächlicher Wirksamkeit wächst, aus verschiedenen Gründen. Viele Menschen beobachten, wie die Banalitäten mancher Instagramer millionenfach gelikt werden – während die eigene politische Wirksamkeit zu schrumpfen scheint. Manche Ursachen dafür sind systemspezifisch. In Deutschland können noch alle Wähler ihre Wahlkreisabgeordneten am Wochenende auf dem Weinfest anpampen. In den USA werden immer mehr Wählerstimmen von Wahlkreiszuschnitten verschluckt, die darauf ausgelegt sind, die herrschende Partei an der Macht zu halten. In Frankreich sind die politischen Strukturen in den Regionen nur gering ausgeprägt.

Teilweise aber geben Politiker auch nur ihre eigene Machtlosigkeit weiter. Angela Merkel war den Großteil ihrer Amtszeit damit beschäftigt, die Migrations-, Finanz- und Klimakrise zu managen, die ihr die Globalisierung vor die Füße geworfen hat und für die es keine nationale Lösung gibt. Der deutsche Wählerwille verdampfte im internationalen Kompromiss. Auch Emmanuel Macron kämpft mit der Inkompatibilität des französischen Sozialstaats und der globalen Wirtschaft.

Noch stärker aber liegt die Ursache der Wut in der politischen Kommunikation. Die Wut auf Angela Merkels Mantra von der „Alternativlosigkeit“ ist mindestens so stark wie Wut über ihre politischen Entscheidungen. Auch Hillary Clinton schaffte es nicht, auf Donald Trumps Anhänger zuzugehen. 2016 bezeichnete sie sie als „basket of deplorables“, als einen „Haufen Beklagenswerter“ – eine Art endgültige verbale Entlassung aus der politischen Fürsorge. Dabei stand auf dem Pult, von dem sie sprach, ihr Wahlkampfspruch: „Stronger together“.

In dieser Art der Nicht-Kommunikation zwischen Politikern und Bürgern entstehen Entfremdungsspiralen. Noch eine Szene, der Tag der Einheit 2016: Angela Merkel ist nach Dresden gereist. „Volksverräter“ und „Fotze“ schreien die Menschen. Merkel geht weiter, stieren Blickes, hinter dem Absperrband. Ende der Kommunikation.

Politiker müssen Interesse nicht heucheln. Sie müssen auch nicht so tun, als könnten sie alles lösen. Aber sie müssen offen bleiben, wahrnehmen, Resonanz anbieten, Aufmerksamkeit – wie auch immer man es nennen mag. Sie sind verantwortlich für die tatsächliche politische Umsetzung des Wählerwillens, auch in emotionaler Hinsicht. Sie müssen sicherstellen, dass sich die Bürger gehört fühlen.

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