Streit über Rundfunkbeitrag in Sachsen-Anhalt: Wofür brauchen ARD und ZDF immer mehr Geld?
Die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent hat zu einer Debatte um die Rolle der öffentlich-rechtlichen Sender geführt. Die wichtigsten Fragen.
Rund acht Milliarden Euro Beitragseinnahmen erhält der öffentlich-rechtliche Verbund in Deutschland pro Jahr. Geld für Programm, teure Sportrechte auch, Mitarbeiter, Intendanten. Über 23.000 Festangestellte hat die ARD, zuständig für elf Fernsehprogramme, 55 Hörfunkprogramme, 16 Orchester und acht Chöre. Dazu circa 3400 Mitarbeiter beim ZDF.
Man kann über diese Zahlen staunen, sich wundern, ärgern, sie aber auch mal einordnen, gerade am Ende eines Jahres, das infolge der Corona-Pandemie auch von enorm hohem Zuschauerinteresse an öffentlich-rechtlichen Informationssendungen geprägt war – und nun, via Sachsen-Anhalt, eine heftige Debatte um Sinn und Unsinn des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR), konkret über eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages um 86 Cent erfährt.
Warum ist die Abgabe für den ÖRR immer wieder so umstritten?
Der Tenor der Kritiker lautet: Warum soll ich für etwas zahlen, was ich gar nicht nutze? Der haushaltsbezogene Rundfunkbeitrag ist eine zusätzliche Ausgabe für jedermann, der man nicht entgehen kann, die aber dennoch keine Steuer sein soll. Das ÖRR-Prinzip stammt aus einer Medienzeit, als Kanäle noch rar, TV und Hörfunk noch Mangelware und sehr teuer waren, als es darum ging, überhaupt Vielfalt zu sichern.
Heute ist der ÖRR ist nur noch eine Stimme im Stimmengewirr aus Privatsendern, Internet oder Streamingdiensten, die gerade von den Jüngeren viel stärker konsumiert werden. Als ungerecht wird auch empfunden, dass die Senderchefs so viel verdienen. Als Beispiel wird immer wieder das Gehalt von WDR-Intendant Tom Buhrow von 395.000 Euro im Jahr genannt. Auch deswegen steht die Frage im Raum, ob und wenn ja, wieviel ÖRR es noch braucht.
Wo gibt es Einsparmöglichkeiten und Synergieeffekte?
In diesem Punkt sind ARD, ZDF & Co. tatsächlich angreifbar. Darauf weist jetzt auch wieder die CDU in Sachsen-Anhalt in der Diskussion um die Beitragserhöhung hin: Man müsse rangehen an Größe und Struktur der Sender. Braucht es Radio Bremen oder den saarländischen Rundfunk wirklich, oder könnten sie nicht mit anderen Sendern fusioniert werden?
Es ist schon was dran am Satz von Markus Kurze, dem medienpolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt: „Ich kann die Größe des öffentlich-rechtlichen Systems keinem mehr erklären, das kann sich kein normales Unternehmen leisten.“
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Würde das nicht reichen: Regionalprogramme für die regionale Berichterstattung, dazu ein nationales Programm mit viel Information, „Tagesschau“ oder „heute“, „Tagesthemen“, Magazinen? Gebe es ohne ÖRR wirklich zu wenig Shows, Quiz, Serien, Soaps, Boulevardmagazine und vor allem teure Sportübertragungen? Alleine für die Fußball-Bundesliga-Verwertungsrechte mit der „Sportschau“ legt die ARD rund 130 Millionen Euro im Jahr hin.
Überdies liegt die Gehaltsstruktur vieler Sender über dem des Öffentlichen Dienstes. Generell rutscht der ÖRR so Schritt für Schritt immer weiter in eine Legitimationskrise.
Was ist mit dem kreativen Potenzial?
Es gibt junge Kanäle wie „funk“, Vorabausstrahlungen in der Mediathek oder einen Jan Böhmermann im ZDF-Hauptprogramm. Es wirkt aber nicht unbedingt so, als entwickle der ÖRR aus sich selbst heraus einen Innovationsschub, was Formate oder Netzpräsenz angeht, worauf auch der Medienexperte Bernd Gäbler hinweist.
ARD und ZDF könnten das tollste Online-Archiv anbieten. Aber wer nochmal Kommissar Haferkamp sehen will oder das legendäre Gespräch von Günter Gaus mit Hannah Ahrendt, muss auf Youtube suchen (wobei dazu gesagt werden muss: das Gaus-Video wurde von einer Privatperson eingestellt, nicht von dem produzierenden Sender. Das Rechteproblem dürfte nicht geklärt sein). Und die neue Lust an Serien, Podcasts, Newslettern – nichts davon hatte in öffentlich-rechtlichen Sendern seinen Ursprung. Es gibt keinen öffentlich-rechtlichen Rezo, keine feministische Bloggerin.
Wie west-lastig sind ARD und ZDF?
Der ÖRR wirkt für viele Menschen in der Berichterstattung, sagt Gäbler, als zu „staatsnah“ beziehungsweise „erzieherisch/volkspädagogisch“. Diese Skepsis ist im Osten noch stärker ausgeprägt als im Westen.
Dazu gibt es ein strukturelles Ungleichgewicht. Markus Kurze wies im Gespräch mit dem Tagesspiegel darauf hin: Von den gut 50 Gemeinschaftseinrichtungen der ARD ist mit dem Kika im Grunde nur eine im Osten angesiedelt. Der Osten subventioniere damit dieses System quer. „Im gesamtdeutschen Kontext sind wir aber offiziell einsame Rufer geblieben.“ Ostdeutschland sei eben „RTL-affiner“ hieße es dann immer.
Der ÖRR habe schlicht „die Realität im Osten nicht eingefangen“, die Menschen fänden sich dort nicht wieder. Es stimme, was an Stammtischen erzählt werde, dass die ostdeutschen „Tatorte“ immer „dunkler als die westdeutschen“ seien, das falle den Menschen auf. Das macht es schwer, alle Bundesländer jetzt unter einen Hut zu bringen, wenn es darum geht, den Medienstaatsvertrag und damit die Beitragserhöhung um 86 Cent auf 18,36 Euro im Monat, ab 2021, zu ratifizieren. Auch wenn die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs das empfohlen hat.
Worin sind die öffentlich-rechtlichen Sender besonders gut?
Klagen über ARD und ZDF, übers Fernsehprogramm – das hat Tradition. Es sollte nicht vergessen werden, was alles ohne öffentlich-rechtlichen Auftrag auf der Strecke bleibt: Das Vorort-Sein in der Fläche durch die Struktur der ARD ist wichtig für einen föderalen Staat wie Deutschland, auch wenn das Geld kostet. Investigative Magazine und Nachrichtenformate wie „Tagesthemen“, „heute-journal“ oder auch die RBB-„Abendschau“ haben in den vergangenen Monaten in unsicheren Pandemiezeiten sowie bei der US-Wahl gezeigt, was für ein verlässlicher, täglicher Nachrichtenanker sie sind.
Dazu Denkanstöße, gesellschaftlich relevante Themen wie jüngst zur Sterbehilfe mit dem Schirach-Stück „Gott“ im Ersten, Dokumentationen und kulturelle Angebote (auch wenn klassische Formate wie „Aspekte“ im ZDF in der Tiefe ausgehöhlt werden). Das sorgt weiter für eine Grundakzeptanz in der Bevölkerung.
Wie steht es im Vergleich dazu um die Akzeptanz der englischen BBC?
Die Briten verehren ihre BBC als nationale Institution. Aber der Brexit hat auch „Tante Beeb“, wie der Sender im Volksmund liebevoll genannt wird, durch seinen Remain-Kurs zuletzt viele Sympathien gerade beim älteren Publikum gekostet. In den vergangenen Jahren steht die BBC auch zunehmend im Kreuzfeuer der Politik, von rechts wie von links.
Zur Diskussion steht dabei immer wieder die jährliche Rundfunkgebühr von 154,50 Pfund, die einen Großteil des BBC-Gesamtbudgets von 4,7 Milliarden Pfund ausmacht. Premierminister Boris Johnson würde die Gebühr am liebsten abschaffen, nachdem er im Wahlkampf wegen der kritischen Berichterstattung bereits eine Gesprächsrunde auf Channel 4 boykottiert hatte.
Der Streit wird im Moment auf Nebenschauplätzen ausgetragen: Darin geht es einerseits um die Wiedereinführung von kostenlosen Rundfunklizenzen für alle Bürger ab 75 Jahren, die die BBC 2015 unter dem Druck angedrohter Budget-Kürzungen streichen musste. Zudem steht die Forderung der Regierung im Raum, die Nichtzahlung der Gebühren als stafrechtliches Delikt abzuschaffen – wodurch einerseits der Status der BBC als Institution angekratzt wäre und Einnahmeeinbußen drohten.
Im Januar verkündete der weltweit angesehene Newsroom bereits die Streichung von 450 Stellen. Budget-Einschnitte bedrohen die Strukturen der BBC mit ihrer Verflechtung von globaler und regionaler Berichterstattung. Diese Krise geht einher mit einer wachsenden Entfremdung des jüngeren Publikums.
Viele Briten sehen bei aller Verbundenheit (im vergangenen Jahr wurden 26 Millionen Rundfunklizenzen verkauft) die BBC als dringend reformbedürftig an. Auch das Brexit-Chaos hat das Vertrauen in die Medien erschüttert. Die Akzeptanz verläuft weitgehend entlang der Gräben zwischen Brexit- und Remain-Lager.
Markus Ehrenberg, Andreas Busche