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Oans, zwoa, gsuffa. Das Oktoberfest ist in den Jahresplanern der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ARD-Programmdirektion in München rot unterstrichen.
© WDR

Planspiele sorgen für Unruhe: Die ARD entdeckt den Osten – und zieht um

Gemeinschaftseinrichtungen der ARD sollen von West- nach Ostdeutschland umziehen. Das löst bei manchen Panik aus.

Was verbinden die Arge Rundfunk-Betriebstechnik, den Beitragsservice, die Degeto Film GmbH und die Programmdirektion Das Erste? Sie sind wie rund ein Dutzend weiterer Institutionen Gemeinschaftseinrichtungen der ARD. Und sie sind alle im Westen Deutschlands angesiedelt.

Die Rundfunk-Betriebstechnik in Nürnberg, der Beitragsservice in Köln, die Degeto in Frankfurt/Main, die Programmdirektion in München.

Dahinter steckt keine Planwirtschaft, das hat sich über die Jahre und Jahrzehnte seit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland 1950 über die alten Bundesländer verteilt.

Nun ist die ARD mit der Wende in den Osten Deutschlands gekommen, der Osten Berlins wurde Beitrags- und Beitrittsgebiet des Senders Freies Berlin, für Brandenburg wurde der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg etabliert, der 2003mit dem SFB zum Rundfunk Berlin-Brandenburg fusioniert wurde. Mecklenburg-Vorpommern wurde das vierte Rad am NDR-Wagen, in Mitteldeutschland schafften es Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, den früheren Mitteldeutschen Rundfunk neu zu beleben.

Wir im Osten!

Das hat sich alles bewährt, die neun Landesrundfunkanstalten funktionieren individuell so gut, wie die erweiterte ARD das tut.

Und doch ist im Zuge der sich mehr und mehr verstärkenden Bewegung und Besinnung auf „Wir im Osten“ zwischen Rostock und Zwickau die Überzeugung entwickelt, die neuen Länder fänden weder im ersten Programm noch in den Strukturen des Senderverbunds ausreichend Berücksichtigung.

Es mag für Westler nicht weiter erheblich sein, aber wenn in der Talkshow bei „Anne Will“ – im Studio in Berlin-Adlershof und in der redaktionellen Verantwortung des Norddeutschen Rundfunks – über den „Wahl-Eklat in Thüringen“ diskutiert wird und es findet sich in der Runde keine Thüringerin/kein Thüringer, dann springen in Erfurt die Messer auf.

Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen kommt nicht nur von der AfD

Und dass der MDR einst bei den Korrespondentenplätzen federführend nur Prag und Neu-Dehli zugesprochen bekam, weil die Hotspots wie Washington, Moskau oder Paris längst in WDR- oder NDR-Hand waren, stößt beim viertgrößten ARD-Sender unverändert auf Missvergnügen.

Derartiges lässt sich aussitzen, von einer anderen Gewichtsklasse ist es, wenn Ministerpräsidenten wie Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) sich verhärten, sobald das Stichwort der Beitragserhöhung fällt. Der CDU-Politiker muss mindestens so sehr vom Sinn und Zweck des von 2021 an geplanten Aufschlags auf dann 18,36 Euro überzeugt werden wie der Landtag in Magdeburg.

Es ist nicht der Druck der „Lügenpresse“-Agitatoren und der ARDskeptischen bis -feindlichen AfD allein, dass im Osten das frühere Ja und Aber Renitenz und Bockigkeit gewichen ist.

Mehr Regionales in den "Tagesthemen"

Die ARD weiß mittlerweile, wie gut sie beraten ist, wenn sie den Osten weder im Programm noch in den Strukturen links oder rechts liegen lässt. Der Plan, die Regionalität in den „Tagesthemen“ um fünf mehr Sendeminuten zu stärken, ist da schon zielführend, weil er die Empfindlichkeiten beachtet und berücksichtigt.

Und die Strukturen? In der ARD wurden Prüfaufträge verteilt, was an Instituten und Institutionen nach Leipzig oder Halle oder Erfurt verlagert werden könnte. Seitdem herrscht Panik im Westen des ARD-Reichs.

Mitarbeiter der ARD-Programmdirektion in München sollen im Falle der Umzugspflicht mit Selbstentleibung gedroht haben, Mitarbeiterinnen der Degeto in der „Mainmetropole“ sprechen von der „Sahel-Zone“, wenn, nur zum Beispiel, von Halle die Rede ist. Nicht alle, aber die Mehrheit denkt so. Der Osten ist, natürlich, toll, aber noch besser, wenn er weit weg ist.

Es braucht mehr als Gesten

Das lassen sich einzelne Staatskanzleien nicht länger gefallen, es braucht mehr als Gesten, es braucht Taten. Der amtierende ARD-Vorsitzende, WDR-Intendant Tom Buhrow, hat sich das ins Aufgabenheft geschrieben. Bis zur Intendantensitzung Ende April braucht es spruchreife Pläne: Komplett- oder Teilumzug von Gemeinschaftseinrichtungen. Oder die dritte Lösung mit dem möglichen Wohl-und-Wehe-Faktor für alle: Neugründung von ARD-Institutionen oder der sichtbare Ausbau einer schon bestehenden Initiative wie die Innovations- und Digitalagentur (ida), gemeinsames Tochterunternehmen von MDR und ZDF.

Jede Lösung, die den Status quo bei den Gemeinschaftseinrichtungen der ARD aufbrechen wird, kostet Geld aus den Beitragseinnahmen. Immer heißt es, der Solidaritätszuschlag werde demnächst für alle und für immer abgeschafft. Das stimmt so nicht: Er lebt als Rundfunkbeitrag fort.

Joachim Huber

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