Was läuft verkehrt bei ARD und ZDF?: Mehr Geld auch ohne Reformen
Die Reform wurde wieder einmal verschoben. Warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer noch so unbeweglich ist.
Demnächst stellt sich die Lage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks so dar: Mit Ach und Krach wird die Erhöhung der Rundfunkgebühren die 16 Landesparlamente passiert haben. 18,36 Euro Rundfunkbeitrag sind dann ab 2021 zu zahlen, eine Steigerung um 86 Cent – so, wie dies die dafür zuständige Kommission KEF empfohlen hat.
Diese Empfehlung hat die KEF allerdings mit weitergehenden „Reform- und Optimierungsüberlegungen“ verbunden. Sie betreffen unter anderem die zu hohen Gehälter in den Leitungsfunktionen, die IT-Vereinheitlichung, die bessere Kooperation von ARD und ZDF, eine Verschlankung der ausufernden Unternehmensbeteiligungen und die Rechtekosten für den Sport. Im Juni haben die Ministerpräsidenten der Länder die öffentlich-rechtlichen Sender streng ermahnt, diesen KEF-Ratschlägen unbedingt Folge zu leisten. Beschlossen haben sie, dass bis zum Sommer 2022, also in zwei Jahren, entsprechende Reformvorschläge vorliegen sollen. De facto bedeutet dies: Das Geld soll fließen, die Reformen aber werden auf die lange Bank geschoben.
Es geht um acht Milliarden Euro - jährlich
Warum funktioniert das? Warum stört sich niemand daran? Warum konnte man das Junktim der KEF – Gebührenerhöhung nur bei Reformen – so geräuschlos auflösen? Warum passiert so wenig, obwohl es doch um den Einsatz von gut acht Milliarden Euro geht, die die Bürger jährlich aufbringen?
[ Der Autor war von 2000 bis 2005 Leiter des Grimme-Instituts in Marl]
Alle Beteiligten – die Sender, die Medienpolitiker, die Bürger – wissen, dass es zunächst unbedingt notwendig ist, den gesellschaftlichen Auftrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu präzisieren, zu fokussieren, zu schärfen und also zu beschränken. Die Linie der Sender: „Wir machen alles für alle“ ist kein Konzept, sondern nur eine durchsichtige Legitimation für die quantitativen Expansionen der Vergangenheit. Wie die Löwenmütter ihre Babys verteidigen die Intendanten jeden ihrer mittlerweile zwanzig linearen TV- und fast siebzig Hörfunksender, als käme es immer noch primär auf Sendezeiten und Quoten an und nicht auf Auffindbarkeit und nachhaltigen publizistischen Wert. Sie haben Angst, man wolle ihnen die Unterhaltung oder den Sport streitig machen, statt die Chance zu ergreifen, die in einer Betonung des Unterschieds zu kommerziellen Angeboten liegt.
Der Grund für derartige Beharrungskräfte ist schlicht, dass es so wie bisher ja noch einigermaßen läuft. Man kann den Fernsehnachmittag vollklatschen mit Zooserien und Kreuzfahrtreklame, kommt in der Unterhaltung seit Jahren ohne eine einzige durchschlagende neue Idee zurecht, produziert fürs Abendprogramm leichtgängige Serien mit Nonnen oder Ärzten, Krimis en masse und freitags dann noch einen netten frauenaffinen Film – wer wollte da von Krise reden? Es gibt eben keinen „Big Bang“ des öffentlich-rechtlichen Systems, sondern es dämmert leise dahin. Zwar werden die Zuschauer immer älter, zwar verabschieden sich junge Nutzer vom linearen Fernsehen – auch schwindet die inhaltliche Bedeutung. Diese ist allerdings schwer messbar. Mit einem Wort: Die Not ist nicht groß genug, um aus dem Inneren des Systems heraus Kräfte für substanzielle Reformen freizusetzen.
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In der Binnensicht der Sender sieht das natürlich ganz anders aus. Die Mitarbeiter werden traktiert mit Arbeitsgruppen zu Strukturreformen und Sparprogrammen; alle Sender stellen sich mittlerweile „trimedial“ auf; „Diversity“ zu beachten, gehört zum guten Ton; allenthalben werden „Garagen“, „Labors“ oder „Thinktanks“ geschaffen, die die Aufgabe haben, die Angel nach jungem Publikum auszuwerfen.
Ausgerichtet sein müssten alle Reformen natürlich eigentlich auf die Produkte: Wie kann bestes Handwerk in der Berichterstattung gesichert werden? Wie kann in öffentlichen Diskursen mehr Durchschlagskraft erzielt werden? Wie kann Recherche auch im regionalen Journalismus eine Rolle spielen? Wie kann der Wettbewerb unter den Kreativen so angeheizt werden, dass Unterhaltungsformate, Filme und Serien mit Weltgeltung auch einmal wieder aus Deutschland kommen? Warum kann Netflix mal eben Bertelsmann überholen, während bei uns nichts vergleichbar Großes entsteht – und was müsste sich ändern, damit das möglich wird?
Mehr Flexibilität für den digitalen Wettbewerb
Dazu ist es natürlich nötig, nicht nur den Auftrag zu schärfen, sondern die Flexibilität der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zu erhöhen, sich in digitalen Umwelten behaupten zu können. Nicht die Sender sind die Zukunft, sondern Plattformen, Streamingdienste und Mediatheken. Hier braucht das öffentlich-rechtliche System die Hilfe einer strategisch ausgerichteten Medienpolitik.
Die Situation ist absurd: Obwohl alle von einer „Informationsgesellschaft“ sprechen, gibt es keine inhaltlich profilierte oder personell erkennbare Medienpolitik. Intermediäre wie Google oder Facebook bestimmen die Struktur der Öffentlichkeit. Sie stoßen nicht auf Widerstand, sondern fröhlich werden weiße Fahnen geschwenkt: Kapitulation statt Politik.
Man sieht dies sehr schön am Projekt „funk“, dem „jungen Angebot“ von ARD und ZDF, das von Beginn an als Zulieferer für Facebook und andere konzipiert wurde. Die Plattformen danken herzlich für so viel kostenlose Zuträgerschaft. Von einer Selbstbehauptung der öffentlich-rechtlichen Einrichtungen keine Spur. Selbst wenn man noch einmal die Gespräche von Günter Gaus sehen will oder alte „Tatorte“ mit Kommissar Trimmel, schaut man in der ARD-Mediathek in die Röhre, wird bei Youtube aber bestens bedient.
Diese digitale Selbstverzwergung wird auch an der geplanten Einrichtung einer ARD-Kulturplattform deutlich. Sie soll in Halle an der Saale residieren – mit dem einzigen Zweck, so dem Landesparlament von Sachsen-Anhalt die Zustimmung zur Gebührenerhöhung abzuringen. Auch das ZDF unterhält eine eigene Kulturplattform. Dabei weiß jeder, dass die einzig sinnvolle Maßnahme wäre, ein paar Milliarden Euro in die Hand zu nehmen und eine große deutsche öffentlich-rechtliche Kulturplattform gemeinsam mit allen Museen und Theatern zu schaffen, werbefrei und mit kostenlosem Zugang für alle Bildungseinrichtungen. Aber wer soll das stemmen? Monika Grütters?
Das ist das klassische Muster eines Reformstaus. Von innen will keiner und von außen kann keiner substanzielle Veränderungen anstoßen. Das ist das Wesen des widersprüchlichen Juni-Beschlusses der Ministerpräsidenten: Das Geld soll fließen, der Rest wird vertagt – niemand macht niemandem Beine.