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Medizinerin an einem Krankenhaus in Brooklyn
© AFP/Johannes Eisele

100.000 Corona-Tote: Wieso uns ausgerechnet die Dichte des Sterbens in den USA so erschüttert

Die Opfer in den USA bewegen viele Deutsche so viel mehr als die Toten bei den EU-Partnern und in Brasilien, China, Russland. Aber warum? Ein Kommentar.

Was erschüttert die Deutschen an dieser Zahl so sehr, dass sie sich seit Tagen in den Schlagzeilen hält? 100.000 Corona-Tote in den USA! Die USA haben die Schwelle nun überschritten, später als erwartet. Auch dort steigen die Zahlen der Infizierten und Toten nicht mehr so schnell.

Es ist eine erschreckende Ziffer. Denn sie steht für 100.000 Leben, die plötzlich vorbei sind. Auch deshalb haben wohl so viele Menschen in Deutschland über die Titelseite der "New York Times" mit den Kurzbiografien eines Teils dieser Menschen gesprochen.

Die kleinen Puzzlestücke an Information, was diesen Verstorbenen wichtig war, zum Beispiel viel Zeit mit dem einzigen Enkel zu verbringen, was sie besonders mochten, etwa den Frühstücksschinken kross angebraten, oder was ihr Leben ausmachte, Jazzpianist in New York zu sein, ließen die Toten für einen Moment nochmal lebendig werden und haben Europäer tausende Kilometer weit angerührt.

Zugleich hat die intensive Beschäftigung mit der Zahl der Toten in den USA etwas willkürliches. Aussagekräftiger ist die Zahl der Toten im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Da stehen die USA gar nicht so einsam an der Spitze, wie der Ton der Schlagzeilen nahelegen könnte. Sie haben jetzt 305 Tote pro eine Million Einwohner.

Sieben Länder in Europa sind schlimmer dran

Sieben europäische Staaten sind schlimmer dran. Voran Belgien mit annähernd dem Dreifachen: 808 Tote pro eine Million Einwohner. Es folgen Spanien (580), Großbritannien (546), Italien (545), Frankreich (437), Schweden (418), die Niederlande (343) sowie nach den USA die Schweiz (202). Deutschland verzeichnet 101 Tote pro eine Million Einwohner.

Mit Blick auf die USA wird - zu Recht! - auf das schlechte Krisenmanagement ihres Präsidenten Donald Trump verwiesen und auf die Mängel des Gesundheitswesens und des Krankenversicherungssystems. Wenn das die entscheidenden Faktoren sein sollten, müsste eine Schlussfolgerung lauten: Offenbar haben Belgien, Spanien, Großbritannien, Italien, Frankreich, Schweden und die Niederlande noch schlechtere Regierungen und noch schlechtere Gesundheitssysteme als die USA. Ist das so?

Wenn uns Deutsche tatsächlich die Dichte des Sterbens so erschüttert, warum richten sich die grellen Scheinwerfer der öffentlichen Debatte so sehr auf die USA und weit weniger auf die europäischen Nachbarn, wo Corona schlimmer wütet? Die USA ziehen generell mehr Aufmerksamkeit auf sich, zumal unter Trump. Um Bertolt Brechts Mackie Messer zu paraphrasieren: Und man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.

Ressourcen, Moral, Überlegenheit

Das Erschrecken über die vielen Toten in den USA speist sich gewiss auch daraus, dass sie eigentlich ein so reiches Land sind und die Ressourcen haben müssten, um besser abzuschneiden. Das gilt freilich auch für die Europäer.

So viele Tote, so viele Gräber. Ein Friedhof im Bundesstaat New York. : Mitarbeiter des Friedhofs "Calvary Cemetery" arbeiten während der Corona-Pandemie an einem Grab. Foto: Michael Nagle/XinHua/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
So viele Tote, so viele Gräber. Ein Friedhof im Bundesstaat New York. : Mitarbeiter des Friedhofs "Calvary Cemetery" arbeiten während der Corona-Pandemie an einem Grab. Foto: Michael Nagle/XinHua/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
© Michael Nagle/XinHua/dpa

Daneben hat die Konzentration auf die USA auch emotionale Motive, zumal in Deutschland. Umfragen belegen immer wieder: Hier tut man sich mit einer nüchternen Betrachtung der Supermacht besonders schwer, die führend war bei der Beendigung zweier Weltkriege in Europa und bei der Befreiung der Deutschen von der Diktatur. Ist die Neigung, das Versagen der USA in der Coronakrise zu beklagen, auch deshalb so groß, weil wir uns moralisch besser fühlen wollen?

Warum fehlen Brasilien, China, Indien, Russland?

Noch eines fällt auf beim Umgang mit den Corona-Toten: Die Länder, von denen man in der Tat annehmen sollte, dass sie kein herausragendes Gesundheitssystem haben, oder von denen man weiß, dass sie besonders heftig von Corona betroffen waren, fehlen völlig in der Spitzengruppe. Brasilien, China, Indien, Russland und viele mehr.

Was sagt das eigentlich über den Zustand der Erde aus - um nochmals Bertolt Brecht zu bemühen -, dass das Gespräch über die Corona-Toten in den USA und Europa das Schweigen über so viele andere unbekannte Opfer einschließt? Wie ist das zu erklären, dass oben in der Opferstatistik ausnahmslos westliche Demokratien mit freien Medien zu finden sind? Und Länder, die die Meinungsfreiheit einschränken, fehlen?

Statistiken sind eben nur so aussagekräftig, wie wahrhaftige Informationen in sie einfließen.

In einer früheren Version des Artikels stand irrtümlich, die gewichteten Totenzahlen pro Land bezögen sich auf 100.000 Einwohner. Die korrekte Bezugsgröße ist: Tote pro eine Million Einwohner.

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