Umfrage zu außenpolitischen Präferenzen: So immun sind die Deutschen gegen Chinas Propaganda
Widersprüchliche Lehren aus Corona: Deutsche misstrauen Peking, wollen aber mehr Kooperation. Sie sind für Globalisierung, möchten jedoch Produktion heimholen.
Einmal im Jahr fühlt die Körber-Stiftung den außenpolitischen Puls der Deutschen: Wie denken sie über internationale Kooperation und Globalisierung, wer sind ihre liebsten Partner und wen sehen sie kritisch, was sind sie selbst bereit zu tun, um die Welt zu verbessern?
Dabei ergeben sich beträchtliche Diskrepanzen zwischen dem Meinungsbild im Volk und der offiziellen Außen- und Sicherheitspolitik der Regierung. Einige Haltungen der Befragten sind auch in diesem Jahr widersprüchlich.
Die wichtigsten Trends des "Berlin Pulse 2020" und Verschiebungen gegenüber 2019: Der Wunsch nach Kooperation mit den USA ist stark gesunken, der zur Zusammenarbeit mit China deutlich gestiegen. Deutsche befürworten internationale Kooperation und Globalisierung; sie hoffen, dass beide durch die Corona-Pandemie eher zunehmen als leiden.
Zugleich fordern sie jedoch zu 85 Prozent, dass die Produktion lebenswichtiger Güter und die kritische Infrastruktur nach Deutschland zurückverlagert werden, auch wenn das zu höheren Preisen führe.
Umfrage im Zeichen von Corona
Die Umfrage wurde in der ersten Aprilhälfte durchgeführt und stand im Zeichen von Corona sowie der Frage, wie die Erfahrungen mit der Pandemie die internationalen Beziehungen verändern. Die Vergleichsdaten in den USA wurden Ende April durch das Pew-Center erhoben.
Das Ansehen der EU hat ebenfalls gelitten auf Grund der Erfahrungen mit der Coronakrise. Als wichtigster Partner gilt Frankreich (44 Prozent) mit weitem Abstand vor den USA (10), China (6) und Russland (4). Die stärkste Veränderung gegenüber 2019 ist auch hier bei den USA zu beobachten, Im Vorjahr nannten sie noch fast doppelt so viele (19 Prozent) als wichtigsten Partner.
Die Deutschen misstrauen Peking und seiner Propaganda
Insgesamt bewegt sich die öffentliche Meinung auf Äquidistanz zwischen den Supermächten USA und China zu. 2019 hatten 50 Prozent gesagt, enge Beziehungen zu den USA seien wichtiger als die zu China; jetzt sind es nur noch 37 Prozent. Umgekehrt ist der Anteil derer, die engere Beziehungen zu Peking als zu Washington befürworten von 24 auf 36 Prozent gewachsen. Äquidistanz fordern jetzt 18 Prozent (2019: 13).
Manche Haltungen wirken auf den ersten Blick klarer, als sie es bei näherem Hinsehen sind. Das Ansehen der USA hat unter Präsident Donald Trump stark gelitten.
Doch gegenüber China empfinden die Deutschen ebenfalls großes Misstrauen. 71 Prozent sagen, die globale Ausbreitung des Coronavirus hätte sich vermeiden oder zumindest begrenzen lassen, wenn China den Ausbruch und den Verlauf der Pandemie transparenter kommuniziert hätte. Die Befragten erwiesen sich auch weitgehend immun gegen Pekings Propaganda, China handele weit effektiver und solidarischer als andere Mächte in der Krise und stelle bedürftigen Ländern mehr Hilfe zur Verfügung als zum Beispiel die EU. 87 sagen, die EU tue mehr für die Bekämpfung der Pandemie als China.
Das Ansehen der USA leidet unter Trump, das nützt China
Die internationalen Präferenzen und Antipathien der Deutschen werden signifikant von ihrer Bewertung des jeweiligen US-Präsidenten beeinflusst, analysierten drei Experten bei der Vorstellung der Studie am Dienstag in Berlin: Spaniens Ex-Außenministerin Ana Palacio, Ian Lesser vom German Marshall Fund und Sebastian Groth, Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt.
China werde nicht als China besser beurteilt, sondern verbessere sein Ansehen lediglich relativ zu den USA, wenn deren Ansehen unter dem Verhalten des Präsidenten leide. Wenn Pekings Einfluss wachse, dann in erster Linie, weil die USA sich aus der internationalen Kooperation zurückziehen und ein Vakuum hinterlassen.
[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]
Die Umfrage stützt diese Beobachtung. Ihr Bild von China habe sich in der Coronakrise verschlechtert, sagen 36 Prozent der befragten Deutschen; 25 Prozent gaben an, ihr Chinabild habe sich verbessert, 32 Prozent nennen es unverändert.
Viel gravierender ist der Einbruch des Ansehens bei Trumps USA. Für 73 Prozent hat sich ihr Bild von Amerika durch Corona verschlechtert, für 5 Prozent verbessert, für 17 Prozent ist es unverändert. Auch das Bild von der EU hat in der Summe gelitten: für 38 Prozent hat es sich verschlechtert, für 33 Prozent verbessert, für 24 Prozent ist es unverändert.
Erholt sich das Amerikabild, wenn Biden die Wahl gewinnt?
Seit vielen Jahren bestätigt sich der Umfragebefund, dass das Ansehen der USA unter Deutschen im Wesentlichen von ihrer Sicht des amtierenden Präsidenten abhängt - und dies in höherem Maße als bei anderen Völkern. In keinem anderen Land der Erde war der emotionale Umschwung in der Bewertung der USA beim Amtswechsel von George W. Bush zu Barack Obama so groß wie in Deutschland.
In Bushs letztem Amtsjahr 2008 äußerten 12 Prozent Zustimmung zur US-Außenpolitik, wenige Monate später unter Obama 92 Prozent. Ähnliches wiederholte sich beim Wechsel von Obama zu Trump. Das Vertrauen der Deutschen, dass die USA unter dem jeweiligen Präsidenten die richtigen Entscheidungen treffen, sank von 86 auf elf Prozent, ergaben Pew-Erhebungen.
Deshalb erwarte er, dass sich das Ansehen der US erholen werde, falls die US-Bürger im Herbst Joe Biden zum Präsidenten wählen, sagt Ian Lesser. Dabei könne es gut sein, dass der außenpolitische Kurs der USA unter Biden gegenüber manchen Ländern konfrontativer werde, darunter Russland.
Konflikt zwischen offizieller Außenpolitik und Volksmeinung
Diese emotionalen Wechselbäder der Bürger mit Blick auf den US-Präsidenten führen immer wieder zu einem Auseinanderklaffen zwischen der öffentlichen Meinung einerseits und der Amerikapolitik der Bundesregierung sowie der Expertenmeinung andererseits.
Letztere orientieren sich stärker an den strategischen Interessen Deutschlands, und die ändern sich nicht abrupt mit dem Amtsinhaber im Weißen Haus. Eine spontane, nicht repräsentative Befragung unter den 150 Teilnehmern bei der Vorstellung der Studie, die sich fast durchweg als Wissenschaftler, Diplomaten, Politiker und Journalisten professionell mit deutscher Außenpolitik befassen, ergab ein ganz anderes Bild: 87 Prozent von ihnen sagen, enge Beziehungen zu den USA seien wichtiger als enge Beziehungen zu China.
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Auch der "Berlin Pulse 2020" bestätigt die Erkenntnis früherer Umfragen: Die Haltung der Deutschen zum internationalem Engagement ihres Landes ist wechselhaft und zu einem Gutteil durch Idealismus geprägt. Häufig zeigen sich Widersprüche zwischen generellen Vorlieben, welche Rolle Deutschland in der Welt spielen soll, und ihrer praktischen Anwendung.
Widersprüche beim Wunsch nach mehr deutschem Engagement
1994, fünf Jahr nach der Wende und der deutschen Einheit, die das Selbstvertrauen der Deutschen gestärkt hatte, sagten zwei Drittel, Deutschland solle sich international stärker engagieren; ein Drittel war dagegen. 2014 war es umgekehrt: 37 Prozent dafür, 60 Prozent dagegen. Inzwischen hatten die Balkankriege, der Terrorangriff auf New York mit den anschließenden Kriegen in Afghanistan und im Irak sowie die globale Finanzkrise die Risiken stärker ins Bewusstsein gerückt.
2020 sagen 73 Prozent, Deutschland solle als reiches Land mehr tun, um globale Probleme zu lösen, als ökonomisch schwächere Länder. 71 Prozent wünschen mehr Kooperation mit anderen Ländern und sind bereit, deutsche Interessen dafür hintanzustellen.
Und 65 Prozent bewerten es als negativ, wenn die Globalisierung infolge von Corona gestoppt würde. In gewissem Kontrast dazu meinen jedoch 85 Prozent, kritische Infrastruktur und die Produktion lebenswichtiger Güter müsse nach Deutschland zurückverlagert werden - was ja bedeutet, dass ihnen die Globalisierung da zu weit gegangen ist.
Und 59 Prozent sprechen sich gegen "Coronabonds" aus, obwohl deren Zweck sich doch mit dem Ziel einer europäischen Kooperation deckt, bei der die Deutschen mehr zahlen als ökonomisch schwächere Partner und ihre nationalen Vorteil hintanstellen.