Kritiker verschwinden, die EU wird vorgeführt: So dreist vertuscht China die Ursprünge von Corona
Peking streicht den Hinweis auf den Ursprung des Coronavirus in Wuhan eigenmächtig aus einem Dokument mit der EU. Die Liste der Vertuschungsversuche wird länger.
China hat die gemeinsame Erklärung mit der EU zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 45 Jahren eigenmächtig abgeändert. Die Regierung in Peking strich eine Passage mit dem Hinweis, dass sich das Coronavirus von Wuhan ausgebreitet und eine weltweite Pandemie ausgelöst habe, aus dem Dokument.
Zugleich droht die Volkrepublik der EU, es andernfalls nicht in der englischsprachigen Staatszeitung "China Daily" zu veröffentlichen. Dort werde nur mit Genehmigung des chinesischen Außenministeriums publiziert. Die EU-Botschaft habe sich der Zensur gebeugt, berichtet die "Süddeutsche Zeitung".
China will die USA als Führungsmacht ersetzen
Damit wird die Liste der chinesischen Vertuschungsversuche immer länger. EU-Diplomaten nennen es ein "Ärgernis", dass die EU sich derart vorführen lasse. Jedes Entgegenkommen ermuntere Peking offenbar, den Druck zu erhöhen und weitere Zumutungen zu testen. Chinas Ziel ist es, das schlechte Ansehen der USA unter Präsident Donald Trump zu nutzen, um sich als neue Führungsmacht der Erde zu positionieren.
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Ende April hatte Peking die EU erfolgreich gedrängt, ihren Bericht zur chinesischen Desinformation über den Ursprung und die Ausbreitung des Coronavirus abzumildern. Seit Wochen verlangt China von europäischen Regierungen, darunter auch die Bundesregierung, den chinesischen Umgang mit der Pandemie als Vorbild zu loben.
Peking droht Staaten, die der These vom Vorbild China nicht folgen oder gar eine internationale Untersuchung über den Auslöser und den Verlauf der globalen Pandemie verlangen wie Australien, mit Sanktionen. Chinesische Wissenschaftler, Coronapatienten und Bürgerjournalisten, die dem Propagandabild widersprechen, verschwinden plötzlich und tauchen nicht wieder auf.
Chinesische Kritiker verschwinden, darunter die eventuelle "Patientin 0"
Dazu gehört, zum Beispiel, die Forscherin Huang Yan Ling. Sie arbeitete in dem Hochsicherheitslabor für Virologie in Wuhan, das seit Jahren an Corona-Virenstämmen forscht. Nachdem Regimekritiker in sozialen Netzwerken Chinas behauptet hatten, dass sie "Patient Zero" der Pandemie war - und nicht ein Besucher eines Markts für Wildtiere, wie Peking behauptet -, verschwand sie. Alle Hinweise auf sie und ihre Forschung wurden von der Webseite des Labors gelöscht, ebenso die Hinweise in den sozialen Netzwerken.
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Ähnlich verstörend ist der Fall der Bürgerreporter Fang Bin und Chen Qiushi. Fang Bin, ein Geschäftsmann in Wuhan, hatte mit selbstgedrehten Videos die offizielle Propaganda über die Abläufe am Ursprungsort der Pandemie konterkariert und erste Zweifel geweckt, ob China die Lage wahrheitsgemäß darstellt und ob die offiziellen Zahlen über Infizierte und Tote stimmen. Seit Februar hat man nichts von ihm gehört.
Chen Qiushi hatte sich bereits als Menschenrechtsanwalt bei den Unruhen in Hongkong mit der Staatsmacht angelegt. Im Januar reiste er nach Wuhan und drehte Videos über die wahre Lage in den Krankenhäusern. Auch er verschwand in der ersten Februarhälfte.
Vorwürfe der "Five Eyes" - und wie Peking sie nutzt
Vor wenigen Tagen wurde ein Bericht der Geheimdienste Australiens, Großbritanniens, Kanadas, Neuseeland und der USA über Chinas Vertuschungsmethoden bekannt. Sie kooperieren seit dem Zweiten Weltkrieg als die so genannten "Five Eyes". Sie stimmen beim Vorwurf der Vertuschung weitgehend überein, differieren aber bei der Einschätzung, von wo die Pandemie ihren Ausgang nahm.
Die USA betonen die "Labor-Theorie": dass das Virus aus dem Hochsicherheitslabor in Wuhan stammt und bei einem Unfall durch Missachtung der Sicherheitsvorschriften entwichen sei. Die anderen Länder bewerten das als zwar nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich.
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Peking macht sich solche Differenzen zunutze. Es stellt den Konflikt als einen Propagandakrieg der USA gegen China dar, bei dem doch auch viele traditionelle Verbündete der USA deren Behauptungen nicht folgen. Es behauptet auch Gegensätze zwischen den USA und anderen westlichen Demokratien, die gar nicht im Mittelpunkt der Kontroverse stehen.
Zum Beispiel unterstellt es Kritikern, sie hielten an der längst widerlegten Theorie fest, dass die Pandemie durch ein künstlich hergestelltes Virus aus dem Labor in Wuhan ausgelöst worden sei. In der Tat betrachten die meisten Wissenschaftler die Theorie vom künstlichen Virus als widerlegt. Das steht aber gar nicht im Widerspruch zum Vorwurf, das ein natürliches Virus, an dem die Wissenschaftler in Wuhan forschten, aus dem Labor stammt und dort Menschen ansteckte, die es dann in der Stadt verbreiteten.
Warum stellt sich die Bundesrepublik nicht an Australiens Seite?
Auch wenn die Vorwürfe der USA und insbesondere ihres Präsidenten Trump überzogen sein sollten, bleiben die weit besser begründeten Kritikpunkte der Regierungen in Australien, Großbritannien, Kanada und Neuseeland. Und es erhebt sich die Frage, warum die Bundesregierung sich nicht ausdrücklich an Australiens Seite stellt, wenn China versucht, Australien mit Sanktionsdrohungen mundtot zu machen?
Stellen Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Heiko Maas die Wirtschaftsinteressen auch hier wieder über die Solidarität mit einer befreundeten Demokratie, die doch zu Deutschlands engsten Verbündeten in einer zunehmend autoritären Welt gehören müsste? Schon im Konflikt zwischen Kanada und Saudi-Arabien um die Menschenrechte 2018 war Leisetreterei die deutsche Devise. Die Saudis verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Kanada, nachdem Außenministerin Chrystia Freeland die Menschenrechtslage kritisiert hatte. Deutschland sprang ihr nicht zur Seite, sondern erklärte, man mische sich nicht in die Belange von "Drittstaaten" ein.
China hat die Forschung an Impfstoffen behindert
Chinas Heimlichtuerei hat die Vorbereitung anderer Staaten auf die Pandemie behindert und die Arbeit an Impfstoffen um Monate verzögert. Die Zeitleiste, die die australische Zeitung "Daily Telegraph" an den Schluss ihres Artikels über den Bericht der "Five Eyes" stellt, liest sich wie eine erschütternde Anklage. Seit Anfang Dezember wussten Chinas Behörden von dem neuen Virus und dass es von Mensch zu Mensch übertragen wird. Doch erst Ende Dezember machten sie dies publik. Parallel begann Peking die Nachrichten über das Virus zu zensieren.
Am 10. Januar behauptete China, der Ausbruch sei unter Kontrolle, die Krankheit verlaufe in der Regel mild. Am 12. Januar schlossen die Behörden das Labor von Professor Zhang Yongzhen in Shanghai - einen Tag, nachdem er wichtige Angaben über das neue Virus mit ausländischen Kollegen geteilt hatte. Auch in den Folgewochen verbietet Peking chinesischen Wissenschaftlern, Proben des Virus an ausländische Wissenschaftler weiterzugeben.
So verhindert es Zweierlei: Dass diese an möglichen Therapien und Impfstoffen arbeiten können, aber auch dass diese aus den Proben Rückschlüsse über den Ursprung ziehen können.
Es ist gewiss möglich, dass nichts weiter dahinter steckt als die üblichen Methoden eines autoritären Systems, um die Kontrolle über Informationsflüsse zu behalten. Ebenso ist aber möglich, dass nicht ans Tageslicht kommen soll, was in Wuhan wirklich geschehen ist. Das kann nur durch eine internationale Untersuchung mit Zugang zu allen Quellen klären - wie sie unter anderem Australien fordert.