US-Präsident knickt ein: Wieso Trump plötzlich wie ausgewechselt klingt
Erst nach langem Zögern verurteilt der US-Präsident den Sturm aufs Kapitol. Zuvor hatten ihn Rechtsberater auf die drohenden Konsequenzen hinweisen müssen.
Die Tagesvorschau des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump liest sich in diesen Tagen eher eintönig. Für Freitag wird angekündigt: „Präsident Trump wird von früh am Morgen bis spät am Abend arbeiten. Er wird viele Anrufe tätigen und viele Treffen haben.“ Mehr nicht.
So geht das seit Wochen, das Regieren steht bei dem Republikaner ganz offensichtlich nicht mehr an erster Stelle. Zur Corona-Pandemie etwa, der am Donnerstag erstmals mehr als 4000 Menschen in Amerika zum Opfer gefallen sind, hat man von diesem Präsidenten schon lange nichts mehr gehört.
An erster Stelle steht stattdessen seit kurzem, seit am Mittwoch ein Mob aus Hunderten seiner Anhänger das Kapitol stürmte, um die Bestätigung seiner Abwahl zu verhindern, vor allem ein Thema: Wie kann Donald Trump, der nach Auffassung vieler zu diesem ungeheuerlichen Verhalten angestiftet hat, den drohenden Konsequenzen entgehen?
Die da wären: eine sofortige Amtsenthebung durch seinen Vize Mike Pence und große Teile seines Kabinetts oder ein zweites Impeachment, etwas, das noch kein US-Präsident erlebt hat. Die Demokraten zumindest sind nach eigenen Angaben wild entschlossen, auf eine der beiden Optionen hinzuarbeiten.
Der Druck war zu groß geworden
Am Donnerstagabend (Ortszeit) muss der Druck auf Trump aus seinem Umfeld, doch endlich das Verhalten der eigenen Anhänger zu verurteilen und dabei am besten auch gleich mit der Mär des Wahlsiegs aufzuräumen, zu groß geworden sein.
Die Auflösungserscheinungen in der Regierung waren unübersehbar geworden, ein Rücktritt nach dem anderen wurde eingereicht, selbst Trumps Nationaler Sicherheitsberater Robert O’Brien spielte mit diesem Gedanken.
[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag durch die Präsidentschaft Joe Bidens. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty.]
Die Republikanische Partei zerlegte sich zunehmend, manche stellten sich gar an die Seite der Opposition bei deren Rufen nach einer Amtsenthebung, darunter auch Trumps früherer Stabschef John Kelly und George W. Bushs einstiger Heimatschutzminister Michael Chertoff.
Ex-Justizminister Barr spricht von „Verrat“
Der erst Ende Dezember zurückgetretene Justizminister William Barr, lange sehr loyal, nannte Trumps Verhalten einen „Verrat an seinem Amt und seinen Unterstützern“. Einen Mob dazu aufzurufen, Druck auf den Kongress auszuüben, sei „unentschuldbar“, zitierte ihn die Nachrichtenseite „Politico“.
Außerdem kündigte Facebook an, Trumps Konten mindestens bis zur Amtsübergabe an Joe Biden am 20. Januar zu sperren. Und selbst Rupert Murdochs konservatives „Wall Street Journal“ nannte sein Verhalten „impeachable“ und forderte ihn mit eindeutigen Worten zum Rücktritt auf: „Es ist das Beste für alle, auch für ihn, wenn er geräuschlos abtritt.“ Eine nie dagewesene Situation für Trump – trotz aller Grenzüberschreitungen und Skandale in den vergangenen vier Jahren.
Ein zweites Video - Trump wirkt wie ausgewechselt
Also nahm dieser das zweite Video seit dem Sturm aufs Kapitol auf, und dieses Mal erlebten die Amerikaner zweieinhalb Minuten lang einen Präsidenten, der wie ausgewechselt wirkte. Scharf verurteilte er den Mob, der das Herz der amerikanischen Demokratie geschändet hatte – natürlich ohne auf seine eigene Verantwortung dafür einzugehen.
[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Er ließ sogar erkennen, seine Niederlage vom 3. November endlich zu akzeptieren, auch wenn er explizit nicht von seiner Verschwörungstheorie vom Wahlbetrug abrückte. Dennoch: Am 20. Januar, so las er vom Teleprompter ab, werde eine neue Regierung übernehmen. Er werde sich nun darauf konzentrieren, dass es eine geordnete Machtübergabe geben werde. Und, als ob Biden das Mikrofon übernommen hätte, fügte Trump am Ende noch hinzu: „Dieser Moment erfordert Heilung und Versöhnung.“
Nach Informationen der stets gut informierten „New York Times“-Korrespondenten Peter Baker und Maggie Haberman soll er sich länger dagegen gesträubt haben, dieses Video aufzunehmen. Erst als ihm seine Rechtsberater klargemacht hätten, dass ihm juristische Konsequenzen drohten, habe er nachgegeben.
Zuvor hatte Michael Sherwin, der zuständige Bundesanwalt in Washington, die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, die Rolle des Präsidenten bei den Ausschreitungen zu untersuchen, weil der seine Anhänger aufgefordert hatte, zum Kapitol zu marschieren.
Kann der Präsident sich selbst begnadigen?
Welche Wirkung das sichtlich nur widerwillig aufgenommene Video hat, wird sich zeigen. Der „New York Times“ zufolge rief Präsidententochter Ivanka Trump Mitglieder des Kongresses eigens vor der Veröffentlichung an und versprach ihnen, der Inhalt werde sie bestärken, zum Präsidenten zu halten.
Trump selbst ist sich offenbar aber nicht so sicher, dass ihm keine strafrechtlichen Ermittlungen nach seinem Ausscheiden drohen: Der Zeitung zufolge denkt er weiter darüber nach, sich selbst noch schnell vorsorglich zu begnadigen. Seit dem Wahltag habe er darüber mehrfach mit seinen Beratern gesprochen.
Ob eine Selbst-Begnadigung überhaupt möglich ist, und welche Konsequenzen dies hätte, ist unter Verfassungsjuristen umstritten. Versucht hat dies bislang zumindest noch kein amerikanischer Präsident, weswegen sich der Supreme Court dazu auch noch nie verhalten musste. Trump behauptet, diese Macht zu haben.
Trump, der perfekte Testfall
Die „Washington Post“ schreibt, damit würde der 74-Jährige sich selbst als über dem Gesetz stehend darstellen – und sich letzten Endes selbst eine Falle stellen. Denn mit solch einem Schritt würde er die Autorität des Justizministeriums infrage stellen. Dieses wiederum, künftig in der Hand der Demokraten, müsste ihm Straftaten vorwerfen, um die Begnadigung anzuzweifeln. Genau dafür gebe es unter anderem schon die Erkenntnisse von Russland-Sonderermittler Robert Mueller.
Trump könnte also jene strafrechtlichen Ermittlungen erst auslösen, die er so sehr fürchtet. Dieser, so schreibt die Zeitung, sei im Grunde der perfekte Testfall, um zu klären, ob eine Selbst-Begnadigung möglich ist.