Zwischen links und rechts eingeklemmt: Wie sich die CDU im Osten ins Abseits manövrierte
Den Rechtsextremismus wollte sie lange nicht sehen. Nun hat sich die CDU im Osten in eine schwierige Lage gebracht – und muss sich entscheiden. Eine Analyse.
Es gab diese Szene vor der Wahl von Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten von Thüringen, der geglückten damals im Dezember 2014. Die Politiker des Bundeslandes, das jetzt mit der dramatischen Demontage von Ramelow mit Stimmen der AfD das ganze Land erschüttert, trafen sich zum 25. Jahrestag des Sturms auf die Stasi-Zentrale in Erfurt.
Einträchtig standen hier CDU und Linke nebeneinander, schüttelten Hände, schwenkten Gläser und teilten Erinnerungen an den revolutionären Herbst 1989, die zum Teil ähnliche waren, zum Teil getrennte – auf jeden Fall aber in einem gemeinsamen Erinnerungsraum durchlebte. Danach strömten sie auseinander: die einen zur Wahl des ersten linken Ministerpräsidenten im wiedervereinten Deutschland, die anderen zur Demonstration gegen die Nach-Nach-Nachfolger der SED, die nun wieder nach der Macht greifen würden.
Die Zerrissenheit der Ost-CDU – sie wurde schon vor fünf Jahren in Erfurt deutlich. Nun ist sie nicht mehr zu übersehen, ja sie illustriert die gesamte strategische Unsicherheit der Partei gegenüber der AfD. Und zeigt nicht nur nebenbei: Die ostdeutsche CDU war schon immer ein besonderes Völkchen.
Einst Blockpartei in der Einheitsfront der DDR-Staatspartei SED, dann mit Hilfe des mit schnellem Westgeld wedelnden Kanzlers Helmut Kohl die einzig wahre Einheitspartei Deutschlands hat sich die Ost-CDU in eine fast ausweglose Lage gebracht: Eingeklemmt zwischen links und rechts findet sie ihre eigene Mitte nicht. Wie konnte es soweit kommen?
Bürgerrechtler und Bauernfunktionäre - sie gehörten nie recht zusammen
Als die CDU vor 30 Jahren im März 1990 die ersten freien Wahlen der DDR überraschend klar gewann – mit der von Kohl eilig geschmiedeten „Allianz für Deutschland“– kam für die Partei zusammen, was eigentlich nicht so recht zusammen gehörte: Bürgerrechtler, die für die Öffnung der Stasi-Akten kämpften, standen neben früheren Bauernfunktionären der DDR. Sie einten kulturelle Gemeinsamkeiten: der christliche Glaube (der auch für die DDR-Opposition wichtig war), eine Betonung des Patriotischen („Deutschland einig Vaterland“) und das Vertrauen in die Kraft der real existierenden Marktwirtschaft.
Insbesondere Bernhard Vogel in Thüringen und Kurt Biedenkopf in Sachsen, später auch Wolfgang Böhmer in Sachsen-Anhalt bauten als Landesväter Selbstverständnis und Selbstbewusstsein junger Bundesländer auf – für die SPD gelang das so nur Manfred Stolpe in Brandenburg.
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Den Granden der Ost-CDU, die damals von der Bundespartei nicht abschätzig behandelt wurden, setzten auf einen Begriff, den die Partei später sträflich vernachlässigen und anderen überlassen sollte: Heimat. Sie war der Kitt einer in den Umbrüchen der Einheit auseinanderbrechenden Gesellschaft, die mit hoher Arbeitslosigkeit und dem massenhaften Wegzug der jungen, aufgeklärten Mitte zu kämpfen hatte. Dabei entstanden Lücken, die auch die CDU nicht zu füllen vermochte und die ihr noch heute zu schaffen machen.
Oft genug besetzten Rechte die Leerstellen, die der Staat zunächst im Kleinen gelassen hatte, vom Fußballverein bis zur Feuerwehr. „Den nach dem Umbruch grassierenden und schon in der DDR latenten Rechtsextremismus hat die CDU im Lichte ihrer Mehrheiten zu lange nicht sehen wollen“, sagt der Politologe André Brodocz, Dekan der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Uni Erfurt. Viel stärker in ihrer politischen DNA schien der ostdeutschen CDU sowieso die Abgrenzung von der Linken zu sein. Dabei war es lange einfach, auf die SPD und ihren unsicheren Umgang mit der Linkspartei zu verweisen und mit Hilfe von „Rote Socken“-Kampagnen Stimmung zu machen.
AfD und Linke sind im Osten zu starke Vetoplayer
Inzwischen hat sich aber insbesondere in Ostdeutschland, wo die wirtschaftlichen Umbrüche und infrastrukturellen Abbrüche viele Menschen in eine stille Wut getrieben haben, die politische Landschaft stark verändert. Die Linke, die sich lange als Protestpartei Ost verstand, sowie die AfD, die jetzt mit Polemik gegen das angebliche Establishment behauptet „die Wende zu vollenden“, sind inzwischen starke Vetoplayer in den Parlamenten.
In Thüringen gibt es keine parlamentarische Mehrheit gegen beide Parteien. Genau deshalb ist der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU von 2018, initiiert übrigens von vier Westverbänden der CDU, für die Partei im Osten so fatal: Die Machtoptionen schwinden, wenn man die Linke auf Dauer draußen vor lässt und die SPD weiter ins Bodenlose fällt.
Die CDU muss sich also entscheiden: Will sie, insbesondere im Süden des Osten des Landes, weiter an der jahrzehntelang sicher geglaubten Macht bleiben? Oder will sie ideologisch unverkennbar sein? „In den letzten Merkel-Jahren hat sich die gesamte CDU für die Macht entschieden. Dabei hat sie an Schärfe und Stimmen verloren, gegen sie war aber keine Regierung zu bilden“, analysiert Politologe Brodosz.
Im Osten des Landes funktioniert diese Strategie nicht mehr, weil hier Linke und AfD inzwischen zu stark sind. Deshalb muss die CDU im Osten das tun, was viele Menschen längst verinnerlicht haben: improvisieren. Genau das fällt ihr aber gerade mit Blick auf die Linke schwer.
Gezeigt hat das der Ostbeauftragte der Bundesregierung Christian Hirte, im Nebenberuf CDU-Vize in Thüringen. Er klatschte nach der Wahl von Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten dem „Kandidaten der Mitte“ Beifall und machte sich für sein überparteiliches Amt damit unmöglich. Am Sonnabend musste er auf Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in der Thüringen-Krise zu seltener Klarheit gefunden hat, zurücktreten. Hirtes Reaktion auf die Skandal-Wahl von Erfurt, die er trotz vieler Proteste nicht zurückgenommen hat, zeigt vor allem eines: Wie er denken nicht wenige ostdeutsche Christdemokraten.
Dies hat durchaus auch kulturelle Gründe. Denn gerade in den Kommunen ist die AfD nicht aus dem Nichts gewachsen. Nicht wenige von der Unschärfe der CDU Enttäuschte (und auch Karrieristen aus dem Westen) suchten bei der AfD eine neue Heimat. Sie stehen in gesellschaftlichen Fragen wie der Familien- oder Schulpolitik den CDU-Positionen immer noch nahe und hoffen auf parteiinterne Siege der rechten Werte-Union im Flüchtlingsstreit.
In vielen Orten in Sachsen sind Mitglieder der AfD als örtliche Kneipenwirte, Bäcker, Bauern durchaus akzeptiert. Dabei spielt vielleicht auch noch eine alte DDR-Erfahrung eine Rolle: dass es bei einem nicht nur auf irgendein Parteibuch ankommt, sondern darauf, dass er ein trotzdem doch irgendwie ordentlicher Kerl ist.
Die Grünen waren lange als Westpartei verschrien
Mit solchen ordentlichen Kerlen können sich örtliche CDUler eine Zusammenarbeit jedenfalls eher vorstellen als zum Beispiel mit Grünen. Die waren im Osten lange als Westpartei verschrien, auch weil sie die eigene Bürgerbewegung Bündnis 90 zwar in den Namen einfügten, aber sie zu lange am Rande liegen ließen. Ein zartes grün-bürgerliches Milieu hat sich erst in den letzten Jahren herausgebildet, in den auch im Osten wieder wachsenden Groß- und Studentenstädten. Mit diesem grünen Milieu kann aber die CDU im Osten wenig anfangen, wie die Krämpfe der Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt zeigen.
Die Linke, als Protestpartei auferstanden aus der Asche ihrer SED-Vergangenheit, gehört dagegen längst zum ostdeutschen Establishment. Bodo Ramelow ist laut Befragungen selbst bei der Mehrheit der thüringischen CDU-Wähler angesehen. Doch sobald es Lockerungsübungen junger Christdemokraten gibt, zuletzt etwa im Wahlkampf in Brandenburg, wird der antisozialistischen Einstellung aus den 90er Jahren nachgegeben.
Dies soll nun zumindest in Thüringen korrigiert werden - durch eine mögliche Enthaltung der CDU-Fraktion bei einer möglichen Wiederwahl von Bodo Ramelow. Hier fügt man sich allerdings eher der politischen Not als den eigenen Überzeugungen. Schließlich war das wichtigste Wahlversprechen der CDU im thüringischen Wahlkampf genau das Gegenteil: die Abwahl der Regierung Ramelow.
In den Kommunen gibt es viele Berührungspunkte zur AfD
Das Lavieren in Ostdeutschland wird für die CDU weitergehen, so fatal das für die Partei auf Dauer ist. In den Kommunen gibt es immer wieder Berührungspunkte mit der AfD, die mit bis zu einem Drittel der Wählerstimmen teilweise schon Volkspartei ist und sich deshalb schwerlich gänzlich ignorieren lässt. Bei kommunalen Problemen vor Ort spielen die prinzipiellen Unvereinbarkeiten mit der AfD – ihr Geschichtsrevisionismus und die Relativierung des Nationalsozialismus, ihr kaum verhohlen geschürter Hass gegen alles Linke und gegen Europa - bisher weniger eine Rolle als landes- oder bundespolitisch.
Die AfD, insbesondere die von Björn Höcke in Thüringen, als rechtsextrem einzustufen, geht immer noch wenigen Christdemokraten in Ostdeutschland leicht von den Lippen. Dabei ist es offensichtlich, dass sich die CDU im Osten entscheiden muss: für eine neue eigene Mitte, die die Linke nicht mehr komplett ausschließen kann, wenn sie die AfD auf keinen Fall einschließen soll. Bei Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der selbst lange laviert hatte im Umgang mit der in Sachsen starken AfD, scheint sich diese Erkenntnis langsam durchzusetzen. In der Krise scheint auch er an Klarheit zu gewinnen, muss dies allerdings auch noch im weiten Land durchzusetzen bereit sein.
Auf die Hilfe der Bundespartei, die selbst unter der Führung der ostdeutschen Bundeskanzlerin Merkel kaum ein Gespür für ostdeutsche Besonderheiten bewiesen hat, ist in dem Selbstfindungsprozess nicht zu zählen. Das zeigen die hilflosen Rettungsversuche und die wiederholten Neuwahl-Rufe von Parteichefin Kramp-Karrenbauer deutlich. Entsprechend groß sind die Wut und der Widerstand ihrer Parteifreunde insbesondere in Thüringen.
Die ostdeutsche CDU ist zerrissen und fühlt sich auf sich allein gestellt. Damit ereilt sie eine Erfahrung, die viele ihrer Wähler längst gemacht haben: Alte Gewissheiten gibt es nicht mehr. Neue muss man sich selbst erarbeiten.