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Ein türkisches Bohrschiff liegt im Hafen von Istanbul.
© imago images/Zuma Wire/Jason Dean

Öl- und Gasvorkommen im Mittelmeer: Wie Corona den Konflikt der Türkei mit Griechenland befeuert

Die Spannungen im östlichen Mittelmeer zwischen der Türkei und Griechenland wachsen. Dahinter stecken handfeste wirtschaftliche Interessen.

Gewaltige Energiereserven schlummern unter dem Boden des Mittelmeers zwischen Zypern, Ägypten, Israel und dem Libanon. Nach US-Schätzungen lagern dort rund 3,5 Billionen Kubikmeter Erdgas. Damit könnte ein Land wie Deutschland fast 40 Jahre lang mit Gas versorgt werden. Außerdem liegen dort 1,7 Milliarden Barrel Erdöl.

Türkei und Griechenland streiten seit längerem über Gebietsansprüche im östlichen Mittelmeer und die darunter vermuteten Gas- und Öl-Vorkommen. Inmitten der aktuell wachsenden Spannungen sind kürzlich zwei Kriegsschiffe der Nato-Partner in der Region kollidiert. Dies schürte die Furcht vor einer kriegerischen Auseinandersetzung.

Am Freitag forderte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu die Regierung in Athen auf, von weiteren Provokationen des türkischen Explorationsschiffes abzusehen, dass in der umstrittenen Region nach Gas- und Ölvorkommen sucht. Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte mit Vergeltung, sollte das Schiff attackiert werden. Hinter dem Säbelrasseln stecken handfeste wirtschaftliche Interessen.

Mit Ägypten, Griechenland, Israel, Italien, Jordanien, Palästina und Zypern gründeten sieben Akteure, die sich sonst nicht immer grün sind, im Januar 2019, ein gemeinsames „Gasforum Ost-Mittelmeer“ mit Sitz in Kairo. Eine 2000 Kilometer lange und sieben Milliarden Dollar teure Pipeline namens „EastMed“ soll das Gas in den kommenden Jahren durch das Meer – unter Umgehung der nahen Türkei – zum europäischen Festland bringen.

Die USA unterstützen das Gasforum aus strategischen Gründen: Die Erdgasfunde gelten als Chance, streitlustige Verbündete in der Region zusammenzuschweißen und gleichzeitig den Einfluss der Gas-Großmacht Russland zu begrenzen.

Pandemie durchkreuzte diplomatische Bemühungen

Doch die Coronavirus-Krise hat dem Projekt einen schweren Dämpfer versetzt. Die Pandemie lässt die Nachfrage nach Öl und Gas drastisch zurückgehen. Schon bei Ausbruch der Krise herrschte auf dem Gasmarkt ein Überangebot, dann verschlimmerte die Pandemie die Lage zusätzlich: Der Weltbank zufolge sind die Erdgaspreise in Europa von Januar bis Mai um 40 Prozent eingebrochen.

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Auch wenn Erdgas vor allem zur Energiegewinnung genutzt wird und weniger für den Transport und deshalb nicht so stark von Ausgangssperren und Reiseverboten betroffen war wie der Ölmarkt, erwartet die Weltbank auf das ganze Jahr gerechnet einen Preisrückgang um 25 Prozent.

Anschließend wird es Fachleuten zufolge zwar eine Erholung geben, doch dürfte die Erdgasproduktion nur begrenzt wachsen: Die Zahl von Bohrungen an neuen Erdgasfeldern sei so niedrig wie seit 1987 nicht mehr. Auch die Investitionen in dem Sektor seien zurückgegangen.

Die geplante Pipeline ist aktuell viel zu teuer

Die Gasfelder im östlichen Mittelmeer sind ebenfalls von diesem Trend betroffen. Länder wie Israel, die bereits mit der Ausbeutung von Vorräten begonnen haben, bekommen das schmerzhaft zu spüren. Die technischen Schwierigkeiten bei der Förderung von Erdgas aus Lagerstätten unter dem Meeresboden machen in Israel das Erdgas aus den Gasfeldern vor der eigenen Küste teurer als Import-Gas aus dem Ausland.

Ägypten musste die Gasproduktion wegen mangelnder Nachfrage einschränken. Die geplante Pipeline nach Europa würde das Mittelmeer-Gas bei diesen Marktverhältnissen so teuer machen, dass es kaum Abnehmer finden würde.

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In den Gewässern um Zypern haben die internationalen Energieunternehmen ExxonMobil (USA), Total (Frankreich) und ENI (Italien) ihre Suche nach Erdgas deshalb vorerst gestoppt. Die Multis wollen erst im nächsten Jahr weitermachen. An eine Förderung des Erdöls, das unter den Gasfeldern lagert und noch schwerer zu erreichen ist, denkt derzeit ohnehin niemand.

Die Türkei, die am erwarteten Gas-Boom im Mittelmeer mitverdienen will, schlägt einen Ausweg vor, der für sie selbst von Vorteil wäre. Zum einen könnte das energiehungrige Land selbst einen Teil des Erdgases für den Eigenbedarf kaufen. Zum anderen könnte das Gas für den Export nach Europa statt durch die geplante Mittelmeer-Pipeline über bestehende Pipelines in der Türkei zu den Märkten gepumpt werden. Das wäre wesentlich billiger – ist politisch aber derzeit wegen des heftigen Streits zwischen der Türkei und ihren Nachbarn kaum vorstellbar.

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