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Ein Militärschiff der türkischen Marine liegt vor Anker in der Nähe des türkischen Forschungsschiffs «Oruc Reis» vor der Küste Antalyas im Mittelmeer.
© Ibrahim Laleli/ dpa

Grenzstreit zwischen der Türkei und Griechenland: Was Sie über den gefährlichsten Konflikt in Europa wissen müssen

Die Türkei streitet sich seit Jahren mit Griechenland um Gebietsansprüche im Mittelmeer. Wer was fordert – und mit welchen Argumenten. Eine Rekonstruktion.

Die Positionen der beiden verfeindeten Nachbarn Türkei und Griechenland im Streit um Gebietsansprüche in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer schließen sich gegenseitig aus.

Die Türkei beansprucht im Rahmen ihrer Doktrin „Blaues Vaterland“ riesige Meeresgebiete vor ihren Küsten, während Griechenland auf eine Auslegung internationaler Rechtsnormen pocht, nach der selbst kleine Ägäis-Inseln vor der türkischen Küste große Seegebiete besitzen sollen.

Beide Länder befürchten, dass sie vom jeweiligen Gegner vor der eigenen Küste eingeschnürt werden.

Der genaue Verlauf der Grenze in den Seegebieten zwischen beiden Ländern ist seit Jahrzehnten umstritten. Bereits im Jahr 1936 erweiterte Griechenland seine Hoheitsgewässer von drei auf sechs Seemeilen und vergrößerte damit die Ansprüche in der Ägäis.

Die Türkei zog 1964 ihrerseits mit einer Erweiterung auf sechs Meilen nach. Griechenland behält sich das Recht vor, die Hoheitsansprüche auf zwölf Seemeilen auszudehnen. Doch dann würde die Ägäis praktisch zu einem griechischen Binnenmeer, sagt Ankara. Die Türkei hat deshalb eine Ausdehnung auf zwölf Meilen durch Griechenland in der Ägäis offiziell zum Kriegsgrund erklärt.

Die türkische Position ist nicht frei von Widersprüchen

Athen argumentiert außerdem, dass jede bewohnte Ägäis-Insel einen eigenen sogenannten Festlandsockel besitzt, der Grundlage für eine ausschließliche Wirtschaftszone nach der UN-Seerechtskonvention von 1982 bildet.

Dahinter steht die Überzeugung, dass die Inseln eine Fortsetzung des griechischen Festlandes sind. Griechenland sieht seine Ansprüche durch die UN-Konvention gedeckt. Aus türkischer Sicht würde die Athener Position dagegen bedeuten, dass eine kleine griechische Insel wie Kastellorizo, die nur zwei Kilometer vor der türkischen Küste liegt, eine Seefläche von 40.000 Quadratkilometern beanspruchen könnte, die Türkei aber leer ausgehen würde.

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Allerdings ist die türkische Position nicht frei von Widersprüchen. So gesteht Ankara dem türkischen Teil der geteilten Insel Zypern eine eigene große Wirtschaftszone auf dem Meer zu – ähnliche Zonen um die griechischen Ägäis-Inseln will Ankara nicht hinnehmen.

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Die Türkei setzt auf das „Blaue Vaterland“. Laut der Doktrin hat die Türkei Anspruch auf Seegebiete von insgesamt 462.000 Quadratkilometern im Schwarzen Meer, in der Ägäis und im östlichen Mittelmeer. Bei einer Umsetzung würde die Ägäis bis an die Ostküste von Kreta und Teile des Mittelmeers weit südlich von Zypern zum türkischen Einflussgebiet – die griechischen Inseln in dem Gebiet würden zu Enklaven.

Das türkische Forschungsschiff „Oruc Reis“ ankert vor der Küste Antalyas im Mittelmeer.
Das türkische Forschungsschiff „Oruc Reis“ ankert vor der Küste Antalyas im Mittelmeer.
© Ibrahim Laleli/dpa

Die Türkei betrachtet zudem die Zugehörigkeit einiger Ägäis-Inseln zu Griechenland als illegal. So wird die Insel Agathonisi in der Türkei als Teil der westtürkischen Provinz Aydin gezählt. Präsident Recep Tayyip Erdogan schockte Griechenland mit der Forderung nach einer Revision des Vertrages von Lausanne aus dem Jahr 1923, in dem die allermeisten Ägäis-Inseln zum Staatsgebiet Griechenlands erklärt worden waren.

Auch der Luftraum ist umstritten

Streit gibt es auch um den Luftraum in der Ägäis. Griechenland beansprucht eine Zone von zehn Meilen für sich, doch die Türkei erkennt nur sechs Meilen an – diese Differenzen führen dazu, dass sich beide Länder immer wieder gegenseitig Luftraumverletzungen vorwerfen.

Zwischen der Türkei und Griechenland gibt es keinen Konsens über den besten Weg der Streitschlichtung. Anders als Griechenland hat die Türkei die Seerechtskonvention nicht unterschrieben und fühlt sich deshalb nicht daran gebunden. Ankara lehnt auch eine Klärung vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ab und besteht auf bilateralen Verhandlungen. Die EU steht auf der Seite ihres Mitgliedes Griechenland und sieht die türkische Erdgassuche im östlichen Mittelmeer als illegale Aktion.

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