Polizei in Berlin: Achtung! Hier spricht die Polizei
Für manche sind sie Freunde und Helfer, für andere nur die „Bullenschweine“. Jeder verlässt sich auf sie, doch ihr Tun ist oft umstritten. Aber wie sieht das eigentlich genau aus?
Mit der Achtung ist es so eine Sache. Achtung voreinander, Respekt und Umgangsformen mögen in einigen Berliner Milieus durchaus vorkommen. Aber da, wo die Blaulichtfahrten vieler Streifenpolizisten enden, ist es mit der Achtung oft nicht weit her. „Ich trage zwölfeinhalb Stunden lang eine Schutzweste, und das hat seinen Grund“, sagt Polizeikommissar Ronald Schüler, der vom Spandauer Abschnitt 21 aus Streife fährt, mal tagsüber, mal nachts.
Vorbei sind die Zeiten, in denen es Polizisten mit verschüchtert blickenden Bürgern zu tun hatten, die mit zittrigen Händen den Personalausweis aus der Tasche fingerten. Ewig her sind auch die Zeiten, in denen ein Verein namens „Bürger beobachten die Polizei“ aufs Allerkritischste die Arbeit der Ordnungshüter der Stadt verfolgte. Den Verein gibt es noch, aber seine Themen sind heute eher Datenschutz und Geheimdienst-Kritik. Das mag an dem veränderten Verhältnis zwischen Bürgern und Polizei in Berlin liegen. Uniformen machen keinen Eindruck mehr, Autorität muss anders entstehen. Die Polizei gibt sich offen und, wenn es die Situation erlaubt, auch entspannt. In Twitter-Nachrichten lässt sie die Leute Anteil nehmen am alltäglichen und allnächtlichen Wahnsinn. Die Polizei versteht sich als bürgernah – wozu gehört, dass ihr der Bürger mit Pampigkeiten und körperlich bei vielen Einsätzen ausgesprochen nahe kommt.
Berlin ist in sechs Polizeidirektionen mit insgesamt 37 Abschnitten aufgeteilt. Die Abschnitte sind heute, was früher die Reviere waren, einschließlich der „Wache“, die Tag und Nacht besetzt ist. 17.000 Vollzugsbeamte arbeiten in Berlin. Oft sind die Beamten nicht direkt Freunde, aber doch Helfer, immer noch. Sie kommen auch, wenn Bürger einen verletzten Schwan im Landwehrkanal bemerken und nicht wissen, was sie tun sollen. Öfter aber werden sie gerufen, wenn es Ärger gibt. Das hat in den vergangenen vier Jahren zu rund 2000 Angriffen auf Polizeivollzugsbeamte geführt. „Allgemeingültige Ursachen“, so erfuhr der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber nach einer Anfrage im April dieses Jahres, seien dafür nicht zu benennen, auch wenn „Gründen wie der Werteentwicklung“ in der Gesellschaft und dem „Sinken von Hemmschwellen“ Bedeutung zukomme.
Mehr denn je sind Polizisten nicht Ordnungshüter, sondern verantwortlich für die provisorische Reparatur dieser Ordnung. Sie kommen dorthin, wo zuvor andere gesellschaftliche Instanzen versagt haben. Noch immer ist der Beruf des Polizisten jeden Tag aufs Neue ein Garant für Spannung, Adrenalinproduktion. Und Frust.
Ein paar driften dann ab. Im Oktober geriet ein Berliner Polizist unter Rechtsextremismus-Verdacht. Der Mann, angeblich Mitglied der rechtspopulistischen AfD, soll bei einer Demonstration in Brandenburg/Havel ein fremdenfeindliches Plakat getragen haben. Ein Disziplinarverfahren war die Folge – Polizisten haben sich politisch neutral zu verhalten.
Christopher Lauer, Mitglied der Piraten-Fraktion im Abgeordnetenhaus und deren innenpolitischer Fachmann, befürchtet durchaus, dass sein Lieblingsfeind, Innensenator Frank Henkel, die Gefahr des Abdriftens mancher Polizisten nach rechts unterschätzt. Lauer hat indes auch viel Sinn für das, was die Polizeiarbeit besonders mühsam macht. Von einer zehntägigen Hospitanz 2014 in der Direktion drei weiß er, dass die Polizei „unter widrigen Umständen“ arbeitet, wie er sagt. Sie habe eine schlechte Ausrüstung, ein schlechtes Schichtarbeitssystem und am Wochenende oft noch den Druck, in einer Einsatzhundertschaft Demonstranten zu begleiten. Damit seien Beruf und Familie oft nicht zu vereinbaren. Und er sagt, vielleicht überraschend für einen als eher links geltenden Politiker: „Ich habe die Polizei als sehr offen erlebt.“
Tom Schreiber, Innenpolitiker der SPD-Fraktion, sieht ebenfalls „gute Ansätze“ einer bürgernahen Polizei. Prävention, das Vorgehen gegen jugendliche Intensivtäter, die „ausgestreckte Hand“ bei großen Demonstrationen wie am 1. Mai – da seien in Berlin Ideen entstanden, die von anderen Polizeibehörden aufgenommen wurden. Doch andererseits leide die Berliner Polizei darunter, dass immer weniger Polizisten immer mehr Aufgaben übernehmen müssten. Dass zwar, wie gerade beschlossen, in die Ausrüstung investiert werde – Polizeietat 2015: 1,3 Milliarden Euro, Tendenz steigend–, aber etwa Schießtraining nicht möglich sei, weil Schießstände saniert werden müssten. Was fehle, sagt Schreiber, sei eine Analyse der Aufgaben und der Möglichkeiten, um entscheiden zu können, wie groß der Bedarf an Material und Mannschaftsstärke überhaupt sei.
Zeit für ein paar Blicke auf die Wirklichkeit.
Dieser Text erschien zunächst in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.
Es war Mord
Name: Jochen Holländer
Funktion: Kriminalhauptkommissar
Arbeitsgebiet: Seit 2010 klärt Holländer als Mitglied der Berliner Mordkommission Fälle auf, in denen Menschen mit Vorsatz getötet wurden
Vierzig Abgründe hat Jochen Holländer in seinen fünf Jahren in der Mordkommission erforscht. Auch wenn er große Worte meidet: Anders kann man nicht nennen, was sich auftut, wenn ein Mensch einen anderen – oder eine andere – erschossen hat. Oder erstochen oder erschlagen. Aus Wut oder Eifersucht, aus geistiger Verwirrung oder, im Gegenteil, aus Kalkül. 131 Morde hat die Polizei im vergangenen Jahr statistisch registriert (darunter waren auch Fälle aus dem Jahr 2013, die 2014 geklärt wurden). Sieben Opfer waren erschossen worden, etwa ein Drittel starb nach einem Messerangriff. Zu den Veränderungen, die Holländer aufgefallen sind, gehört eine zunehmende Zahl psychisch beeinträchtigter Täter. Bezeichnend dafür sei das „Über-Töten“, das Beibringen vieler schwerer Verletzungen. In einem Jahr sei das bei vier Fällen so gewesen, an deren Aufklärung er beteiligt war, sagt er.
Jeder Mord hat sein eigenes Grauen. Für Jochen Holländer sind es aber Fälle. So muss es wohl sein, wenn man Taten aufklären und sich die Tristesse von der Seele halten will. Die Art von Mord, mit der es Holländer und seine Kollegen am häufigsten zu tun haben, ist die, wie er sagt, „Beziehungstat nach häuslicher Gewalt, bis zum Exzess“. Oft kommen seiner Erfahrung nach Sucht, Perspektivlosigkeit und die Gewöhnung an Gewalt dazu. So etwas wie einen schlimmsten Fall gibt es für ihn nicht: „Ich werte die Menschen hier nicht.“ Fragt man ihn nach besonderen Momenten in den fünf Jahren, schweigt er, denkt nach und spricht dann vom Angriff auf eine Frau – „da bin ich so froh, dass das Opfer überlebt hat, weil es so ein lebenslustiger Mensch ist. Für die Frau hab’ ich mich schon sehr gefreut.“
Das war es mit den Details. Holländer ist ein freundlicher Typ, der sich aber kaum Geheimnisse seines Berufs entlocken lässt. Das Besondere am Mord, an der Gewalt ohne ein Zurück, dimmt er herunter. Für Kommissartypen aus dem Fernsehen hat er augenscheinlich nichts übrig, philosophieren sollen andere über das Morden. In der Mordkommission gebe es ein „gewachsenes Miteinander – Teamarbeit gibt es hier viel“, sagt er, „es wird diskutiert, es entsteht Gruppendynamik“. Dazu kommt, dass ein besonderer Anspruch zu dieser Arbeit gehört. „Man muss hier manchmal tiefer und abschließender ermitteln als in anderen Bereichen“, sagt Holländer. Das sei notwendig, denn in großen Prozessen mit mehreren Angeklagten habe er schon zwanzig Anwälten gegenüber gesessen, „die auf mich verbal eingeprügelt haben“.
Sicher gibt es gerade in der Mordkommission in besonders hoher Dosis das, was den Polizistenberuf von vielen anderen unterscheidet: die radikale Abwechslung, das Kennenlernen von Situationen und Milieus, mit denen die meisten anderen Menschen nie zu tun haben. Spannend sei seine Arbeit, sagt Holländer, sie liege ihm, denn für ihn sei „nichts schlimmer, als morgens genau zu wissen, was man den ganzen Tag über machen wird“. In der Mordkommission müsse man sich „von null auf hundert auf einen neuen Fall einstellen“.
Aber manches bleibt eben doch besonders. Im Juni 2012 wurde in Lübars eine junge Frau erdrosselt. Die Pferdewirtin Christin R., 21 Jahre alt, war das Opfer einer Intrige geworden, die ihr Freund Robin H. zusammen mit seiner Mutter geplant hatte. Die beiden hatten an Geld aus verschiedenen Lebensversicherungen auf Christin R. kommen wollen. Der Mord an der jungen Frau hatte jenseits aller Verwicklungen etwas ausgemacht Böses – allein wegen der kalten Entschiedenheit, mit der Robin H. und seine Mutter ihr Ziel auf Kosten der Frau, mit der H. liiert war, verfolgt hatten. Außerdem hatte H. noch eine andere junge Frau mit ins Verderben gezogen: Tanja L. lockte Christin R. nachts auf den Parkplatz, auf dem sie dann getötet wurde. Tanja L., sagt Jochen Holländer, „werde ich in meinem Leben nicht vergessen. Die hat uns wirklich in ihr Herz gucken lassen. Das machen die wenigsten.“ Mehr sagt er nicht.
Vertrauen ist besser
Name: Norbert Sommerfeld
Funktion: Kontaktbereichsbeamter
Arbeitsgebiet: Rund um das Kottbusser Tor in Kreuzberg, auf Gehwegen und Straßen, in Läden, Cafés und U-Bahn-Aufgängen
Wie er da vor dem jungen Mann mit der nach hinten gedrehten Schirmmütze steht, da hat er schon etwas von einer Eiche. Auch wenn Eichen auf den Treppen hinunter zum U-Bahnhof Kottbusser Tor sonst nicht zu finden sind. Von diesem großen, kräftigen Mann in der blauen, sehr nach Arbeitskleidung aussehenden Polizeiuniform geht eine derart baumhafte Festigkeit aus, dass der Typ mit der Mütze gar nicht auf die Idee kommt, mit dem Kontaktbereichsbeamten Norbert Sommerfeld zu hadern.
Was er denn da mache, hatte Sommerfeld den Jungen gefragt. Aufgefallen war der ihm, weil ihn das Rauchverbot im Bahnhof nicht interessierte. Mit großen Augen sagt er nun, er warte – „auf meinen Freund“. Sommerfeld weist ihn an, die Zigarette auszumachen, der junge Mann folgt. Sommerfeld setzt seinen Weg nach oben fort, ans Tageslicht über dem Kottbusser Tor, wo die Trinker und die Junkies an diesem nicht so kalten Wintertag ihr Dasein fristen. Warten. „Die warten hier alle auf irgendwas“, sagt Sommerfeld.
Kontaktpflege am Kriminalitätsschwerpunkt – das funktioniert polizeilicherseits nur mit Geduld und ohne Aufregung. Wie es aussieht, ist Sommerfeld in seiner Gelassenheit der richtige Mann dafür. Er geht gemessenen Schrittes in Richtung Dresdner Straße, wobei er über die überschaubare Fassadenschönheit des Straßenabschnitts spöttelt. Die hält Filmcrews nicht davon ab, hier, ganz tief im wahren Leben, immer wieder Aufnahmen zu machen. So auch jetzt – alles abgesperrt. Auf dem Weg kommen ihm drei Halbwüchsige mit Migrationshintergrund entgegen. „Na, alles klar?“, sagt Sommerfeld, „ja, und bei dir?“ antwortet einer. Die Floristin, die jetzt aus ihrem Laden kommt, hat mehr Formgefühl. Selbstverständlich siezt sie den Mann, den sie als Ansprechpartner offenbar schätzt, und beklagt sich über die Dreharbeiten und die Sperrung der Straße.
Eine Ecke weiter wird Sommerfeld einem BMW ein Protokoll verpassen, weil er auf dem Lieferwagen-Parkplatz eines Tischlers steht und Sommerfeld weiß, wie dringend der Tischler mit seinem Transporter auf eine Park- und Lademöglichkeit angewiesen ist. Dann kommt plötzlich ein Polizeikollege in Zivil, hey, wie geht’s dir? Der Mann ist Drogenfahnder und bittet den uniformierten Sommerfeld, doch bitte die U-Bahn-Umgebung zu meiden – dort sei gleich eine „Maßnahme“ gegen einen Dealer geplant.
Verbrechensbekämpfung ist das eine, Vertrauen schaffen eine andere – Norbert Sommerfelds – Form von Polizeiarbeit. Er macht sie gern, das merkt man an der Sicherheit, mit der er sich durch seinen auf manche bedrohlich wirkenden Kiez bewegt. Die Kontaktpflege, das Reden mit den Leuten, das Zuhören, das Hinsehen – es gebe „nichts, womit man so viel erreichen kann wie als Kontaktbereichsbeamter“. Das setzt voraus, dass die Leute Sommerfeld vertrauen. Dann hört der KOB offenbar manches, was Polizisten im Streifenwagen nicht zu hören bekommen, dann bekommt er Informationen, die durchaus zur Weitergabe an Kollegen bestimmt sein können.
Das hat etwas von der Polizeiarbeit alten Stils, die davon lebte, dass der Polizist als Teil des Kiezes akzeptiert wurde. Es funktioniert.
Immer da, wo es weh tut
Name: Tut nichts zur Sache
Funktion: Polizeiobermeister
Arbeitsgebiet: Überall, wo es Ärger gibt. Der Polizeiobermeister ist Gruppenführer eines Beweissicherungs- und Festnahmezugs. Das sagt fast alles
Sein Dienstwagen ist die sprichwörtliche Wanne, seine Dienstkleidung wiegt ein paar Kilo mehr als die eines Anzugträgers, und mit zehn Kollegen ist er immer dann und dort unterwegs, wo die Polizei massiv auftritt, bei Demonstrationen, Staatsbesuchen, Fußballspielen. Der Polizeiobermeister, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, macht Arbeit auf der Straße, dort, wo die Atmosphäre gespannt ist, der Mannschaftswagen nicht unbedingt gern gesehen und auch schon mal Steine und Flaschen geworfen werden. „Routine gibt es nicht“, sagt er. „Aus der kleinsten Sache kann eine Gefahrensituation entstehen, deshalb sollte man jeden Einsatz einzeln betrachten.“
Es ist die Art Dienst, bei der man nicht allzu empfindlich sein sollte. Einsätze dauern zehn, zwölf Stunden, manchmal auch achtzehn. Schutzweste, Stiefel, die Ausrüstung am Gürtel, von der Taschenlampe bis zur Schusswaffe, wiegt in der Sommerhitze so viel wie in der Winterkälte, wenn ein paar Autonome in der Rigaer Straße vielleicht mal wieder eine Samstagnacht lang revolutionär gestimmt sind. Es ist auch die Art von Dienst, bei der man in besonders deutlicher Weise als Vertreter der Staatsmacht und als Feindbild wahrgenommen wird.
Was nicht am Schutzanzug abprallt. Man erlebe „verbale Angriffe“, sagt der Gruppenführer, „man wird gleich beleidigt“. Ein Beispiel? „Man wird als Nazi beschimpft, weil man eine NPD-Demo betreut. Oder Leute werden schneller handgreiflich gegenüber den Polizisten. Viele ziehen auch ein Messer. Das war vor vier, fünf Jahren nicht so extrem.“
Immer öfter habe man mit Leuten zu tun, die nach ihre Festnahme sagen: „Mir passiert doch sowieso nichts.“ Der Polizeiobermeister will das nicht politisch oder mit Blick auf die Justiz bewerten. Eine Vermutung hat er aber doch: Das mit dem fehlenden Respekt habe „unter anderem auch mit der Erziehung zu tun, weil manche Eltern ihren Kindern nicht die Werte und Normen vermitteln“, meint er.
Männer wie er – und natürlich auch seine Kolleginnen und Kollegen – spüren als Erste, wie sich die Temperatur des öffentlichen Lebens verändert, ob es heißer hergeht, ob Beziehungen vereisen. Das klingt gegensätzlich, aber es kann vom selben künden, davon, dass Gegensätze schärfer und Umgangsformen roher werden. „Man merkt, dass viele Menschen kein Distanzgefühl zur Polizei mehr haben und wenig Respekt gegenüber Beamten vorhanden ist“, sagt der noch ziemlich junge Polizeiobermeister. Der von sich auch erzählt, dass er in einem der härteren Kieze von Neukölln groß geworden ist; übermäßig sensibel sollte man ihn sich nicht vorstellen, wohl aber freundlich, mit einem Gefühl dafür, wie Menschen miteinander umgehen sollten.
Deshalb will er die Leute, mit denen er es zu tun hat, auch nicht schematisch sortieren: „Ich mag das nicht, wenn man die Schuldigen immer in den sozialschwachen Bezirken sucht und die Menschen dort über einen Kamm geschoren werden. Man findet in allen Bezirken und in allen sozialen Schichten aggressive Klientel. Schlechte Erfahrungen macht man überall.“
Der gefährlichste der vier Messerangriffe, die der Polizeiobermeister in ein paar Jahren im Dienst erlebt hat, fand nicht in Neukölln, sondern in Prenzlauer Berg statt. Mit dem Mannschaftswagen und seinen Kollegen fährt er auch Streifendienst. Ein Einsatz wegen Partylärms, wie er zigmal nicht bloß an Wochenendabenden stattfindet: „Die Tür ging auf und ein Mann stand mit dem Messer in der Hand vor uns. Nach mehrmaligem Auffordern und Androhung eines Schusswaffengebrauchs ließ der Mann das Messer fallen und wir nahmen ihn fest.“
Es sind Einsätze wie dieser, die Polizisten daran erinnern, dass ihre Arbeit eine gefährliche ist und von jetzt auf gleich an einem beliebigen Tag lebensgefährlich werden kann. Das macht den Unterschied aus zu den meisten anderen Berufen. Die Konfrontation mit angriffslustigen Stadtbewohnern gehört für den Polizeiobermeister zum Alltag, ebenso wie der Umgang mit schmalen Ressourcen. Auf die Frage, was ihm fehle, sagt er: „Bessere Schutzausstattung, bessere Bewaffnung und bessere Fahrzeuge.“
Dauernd im Dienst
Name: Michael F.
Funktion: Ermittler im Kriminaldauerdienst (KDD)
Arbeitsgebiet: In der Direktion 1 (Reinickendorf und Pankow) kümmert sich F. bei Verbrechen, Unfällen und Suiziden um die ersten Ermittlungen am Tatort
Niemand konnte ihn – oder sie? – beobachten bei diesem Einbruch. Das Fenster im Erdgeschoss der Autowerkstatt, dessen Scheibe irgendwann in der Nacht zu Bruch gegangen war, liegt uneinsehbar an einer Seitenwand des Gebäudes. Doch er hatte sich beim illegalen Einsteigen am Fensterglas heftig geschnitten. Dicke Blutstropfen, alle zwei Meter ungefähr, bezeugen Einbrecherpech.
Für Kriminalkommissar Michael F. und seine Kollegin Mareike A. ist die Rekonstruktion des Einbruchs in einem Pankower Gewerbegebiet typische Arbeit an einem frühen Morgen. Um sechs Uhr hat sein Dienst begonnen – die Zeit, in der Einbrüche in Gewerbegebäude bemerkt werden, weil Werkstattleiter und Geschäftsführer zur Arbeit kommen oder Putzleute zerbrochene Fenster und aufgestemmte Türen bemerkt haben.
Die KDD-Kollegen machen die ersten Ermittlungen am Tatort, Streifenpolizisten sichern diesen. Während Mareike A. mit der Werkstattleiterin spricht, geht Michael F. vom Pausenraum mit dem zerbrochenen Fenster durch Gänge und Lager bis zu den Hebebühnen. Seine Vermutung, dass dieser Einbrecher nicht zu den Hochbegabten gehört, festigt sich. Die elektronischen Diagnosegeräte neben den Hebebühnen sind noch da. Richtige Profi-Ganoven hätten die mitgenommen, sagt F., sie seien teuer und würden in Richtung Osten verkauft. Der Mann mit der blutenden Hand hat sie stehen gelassen, dafür aber Michael F. viele Gelegenheiten hinterlassen, die Blutspur mit Klebestreifen zu sichern, ein Röhrchen für das Polizeilabor zu beschriften und die DNA des Talentlosen für die Zukunft zu speichern. Die Leute von der Werkstatt vermissen bloß ein paar AU-Siegel – die Aufkleber für das Kennzeichen, die besagen, dass das Auto die Abgasuntersuchung absolviert hat.
Michael F. mag seine Arbeit, er mag das Technische daran, das Überlegen, was wie passiert ist. Auch wenn dieser Werkstatt-Einbruch an einem Wintermorgen kaum Eindruck hinterlässt, mal abgesehen von der eindrucksvollen Kälte, die durch das zerstörte Fenster in den Pausenraum der Automechaniker zieht. Von Polizisten hört man öfter das, was auch F. fasziniert: „Wir sehen Dinge, die andere Menschen nie sehen würden“, sagt er.
Während er den Koffer mit dem Beweissicherungs-Equipment, mit Pinseln und Pulver für Fingerabdrücke, Folien und anderem zusammenpackt, hört er aus seiner Direktion vom nächsten Einbruch – im selben Gewerbegebiet. Ein paar hundert Meter weiter haben zwei Mitarbeiter eines Fliesenhandels Glasscherben und ein zerbrochenes Fenster bemerkt.
Abermals der talentlose Selbstverletzer? Offenbar. Michael F. und Mareike A. finden die Spur von Blutstropfen, die sich von einem Büro durchs nächste zieht. Wieder Spurensicherung, die Befragung von Mitarbeitern, ob etwas verschwunden sei, ein Computer? Aber der Blutende hat bloß einen Monitor vom ersten Stock ins Erdgeschoss getragen und dort stehen lassen.
Längst ist es acht Uhr durch, und weil es für den Kriminaldauerdienst ein eher ruhiger Morgen ist, können Michael F. und Mareike A. zurück zur Direktion 1 in der Pankstraße fahren, um zum schriftlichen Teil ihrer Arbeit zu kommen.
Ein Aufenthaltsraum mit leicht verlebtem Charme: Kaffeetassen auf dem Tisch, ein altes Sofa, Spinde, mit Fotos verziert. Seit drei Jahren macht Michael F. diesen Dienst, den er so abwechslungsreich findet. Manchmal sieht er sechs oder sieben Tote in einer Woche, meistens Suizide. Um das alles heil zu überstehen – F. ist 33 Jahre alt und wirkt wie ein fröhlicher Mensch –, sei „ein innerer Abwehrmechanismus“ nötig, sagt er. „Man kann und muss abschalten.“ Für ihn geht das auch deshalb, weil er die Fälle aus einer Schicht weitergibt an Kollegen der weiterermittelnden Stellen. Er könne „gut loslassen“, sagt Michael F. Die Toten, die er jede Woche sehe, vergesse er relativ schnell. Der Mord an einem Rocker in einer Spielhalle in Wedding gehört nicht in diese Kategorie. Den hat er im Gedächtnis.
Belastend seien die Zwölf-Stunden-Schichten mit drei Anfangszeiten. „Ich bin immer am Organisieren“, sagt Michael F., „und muss schauen, wann ich schlafe und wann ich was erledige.“
Spandauer Nächte sind lang
Namen: Ronald Schüler und Dirk Zollondz
Funktion: Polizeikommissare
Arbeitsgebiet: Spandau – und zwar überall da, wo polizeiliche Hilfe oder polizeiliches Eingreifen notwendig sind, bei Unfällen und Überfällen, hilflosen Personen und körperbetonten Streitereien
Mieter R. ist kurz vor der Explosion. Der dünne Mann mit den strähnigen Haaren schreit die beiden Polizisten vor seiner Wohnungstür an: „Einfach nur Wichser“ seien die übrigen Mieter im Haus. „Et reicht mir! Jetzt möchte ich eine Gegenanzeige machen!“
Freitagabend, Mertensstraße im Polizeiabschnitt 21, das Zentrum des Stadtbezirks Spandau, 120 000 Menschen. Mieter R. gehört zu den aufgeregteren. Wegen „unzulässigem Lärm“ waren Ronald Schüler und Dirk Zollondz angerufen worden. Die Beamten raten dem Mann, die Musik leiser zu machen, Mieter R. versteht – und wirft seine Wohnungstür vor den beiden wütend ins Schloss.
Spandau gibt sich ruppig an diesem Abend – Schüler und Zollondz machen sich auf einiges gefasst. Der nächste Notruf kommt von einem Mann im Kandeler Weg, der „bedroht“ wird – Anlass für eine Blaulichtfahrt.
Der Mann, groß, schwer, schon etwas älter, berichtet von einem, der ihn angerempelt habe – und gedroht, „dass er mich absticht“. Betrunken sei der wohl gewesen, „aber das sind wahrscheinlich einige hier“. Personalien werden aufgenommen, die Kommissare versprechen dem Mann, die Augen aufzuhalten.
Spandau ist Dirk Schüler zufolge eine harte Gegend geworden. 1996 sei er von hier weggegangen, 2011 zurückgekehrt. „Ziemlich schockierend“ findet der Polizeikommissar die Umgangsformen heute. Und stellt fest, „dass die Hemmschwelle unglaublich gesunken“ sei. „Ich trage zwölfeinhalb Stunden eine Schutzweste, und das hat seinen Grund“, sagt Schüler. „Fast jeder hat ein Messer dabei oder einen Schraubendreher. Die körperlichen Auseinandersetzungen haben zugenommen.“ So ganz sicher kann man auch bei Mieter R. nicht sein, der abermals Ziel eines Einsatzes wird – wieder gab es Beschwerden beim Abschnitt, gleich zwei andere Mieter warten schon. R. will den Polizisten seine Interpretation von „Zimmerlautstärke“ vorführen, Schüler belehrt ihn stattdessen, dass er beim dritten Besuch R.s Musikanlage auf der Grundlage des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes beschlagnahmen werde. R. knallt abermals die Tür zu, die scheppernd und klappernd ins Schloss fällt. Zollondz sagt zu R.s eindrucksvoller Türenschlagerei, beim nächsten Besuch werde man die Tür wohl auch mitnehmen.
Vom Weihnachtsmarkt am Rathaus hat ein junger Mann die Polizei gerufen: Ein anderer junger Mann habe ihn gefragt, ob er ein „Scheiß-Kanake“ sei, und ihm dann den deutschen Gruß gezeigt. Der steht da auch rum, hat ein paar Bier zu viel getrunken, weiß seinen Namen noch, ist laut Datenabfrage polizeibekannt, unter anderem wegen Körperverletzung, und erklärt sich zu einer Blutprobe bereit. Schüler und Zollondz legen ihm eine Handfessel an, um weitere Körperverletzungen im Ansatz zu verhindern. Während sie ihn in ihren Streifenwagen verfrachten, kommt der nächste Alarmruf aus der U-Bahn. Zwei dazu gekommene Kollegen passen auf den Trunkenbold auf, Schüler und Zollondz sprinten die Treppen hinunter, den Bahnsteig entlang, wo BVG-Sicherheitsleute einen Mittvierziger festhalten. Der hatte, anscheinend in völlig weggetretenem Zustand, versucht, eine junge Frau auf die Gleise zu stoßen. Eine ganz normale Freitagnacht in Spandau.
Das volle Kreuzberger Programm
Name: Tanja Knapp
Funktion: Leiterin des Abschnitts 53 in Kreuzberg
Arbeitsgebiet: Alles von der Zusammenarbeit mit der Bezirkspolitik bis zur Personalführung, auch in Krisensituationen
Mehr geht nicht, jedenfalls nicht in Berlin. Die Kriminaldirektorin Tanja Knapp hat es im Polizeiabschnitt 53 mit so ziemlich jedem Problem zu tun, das der Polizei in dieser Stadt begegnen kann. Der Abschnitt ist Kreuzberg pur und konzentriert. Der nicht so schicke Teil der Friedrichstraße gehört dazu, das Kottbusser Tor mit seinen Szenen, der Görlitzer Park mit seinen Touristen beim Drogenshoppen, Touristen überhaupt, dazu der Spannungsverursacher mit dem Namen Gentrifizierung. Tanja Knapp spricht ganz neutral von einer „Ballung von polizeilichen und sozialen Brennpunkten“.
30 Jahre lang ist Knapp bei der Polizei, der Beruf hat für sie, das merkt man ihr an, nichts von seiner Faszination verloren. Angefangen hat sie bei der Kriminalpolizei, sie hat lange Präventionsarbeit gemacht. Als Abschnittsleiterin ist sie seit August dieses Jahres wieder an der Basis, da, wo jeden Tag etwas los ist, wie sie sagt. Zu tun haben sie und ihre etwa 230 Kollegen es vor allem mit der Normal-Kriminalität, mit „Massendelikten“ wie dem Diebstahl, so die Abschnittsleiterin. Dazu kommt der touristische Andrang an Orten wie dem Checkpoint Charlie – Touristen sind potenzielle Opfer von Taschendieben und, wenn es hart auf hart kommt, von Räubern.
Die Gegenden um um das Kottbusser Tor und den Görlitzer Park gelten auch deshalb als Brennpunkte der Kriminalität, weil sich hier immer mal wieder Gewaltverbrechen ereignen. Erst Anfang November wurde ein Student aus Spanien in der Dresdner Straße erstochen. Um den Görlitzer Park herum gab es in diesem Jahr eine Reihe von Gewaltverbrechen, die alle mit dem Drogenhandel in der Grünanlage und in den darum liegenden Straßen zu tun hatten.
Aus diesem Zusammenhang kennt Tanja Knapp auch eine Kreuzberger Spezialproblematik der Polizei, indirekt jedenfalls. Der Vorfall ereignete sich im Juli 2014: Einsätze werden gestört, Polizisten werden provoziert, ein Filmchen entsteht. Der Film von dem jungen Mann mit einer Clownsnase, der einen Polizisten exzessiv reizte, bis dieser rabiat wurde, wurde ins Internet gestellt und verursachte Aufregung. Knapp hält es für richtig, dass „Polizeiarbeit einer öffentlichen Kontrolle unterliegt“, findet es aber „unfair“, wenn der Mitschnitt eines Einsatzes nicht dessen Anlass und Umfang abbildet. Auch das ist eben Kreuzberg, jedenfalls dessen polizeikritischer Bevölkerungsanteil. Mit der Gentrifizierung von SO 36, wie der südöstliche Bereich Kreuzbergs auch genannt wird, ziehen indes nun Bürger in die alten Häuser, die „noch einmal eine ganz andere Erwartungshaltung an die Polizei“ hätten, wie Knapp sagt. Dann prallt altlinke Kreuzberger Polizeigegnerschaft auf die bürgerliche Erwartung des „So-tun-Sie-doch-etwas!“ Eine neue, nicht minder spannungsgeladene Kreuzberger Mischung entsteht.
Um so wichtiger ist „Vernetzung“, sagt Knapp, mit der Bezirkspolitik und den Initiativen. Und die Bewahrung des „unausgesprochenen Zusammenhalts“ in der Polizei. Denn es kann auch vorkommen, dass eine normale Streifenwagenbesatzung in den Fanny-Hensel-Kiez gerufen wird, weil ein Mann seine Frau geköpft hat. „Mit solchen Lebenserfahrungen“, sagt Knapp, „darf man niemanden alleine lassen“.
Wenn ein Kind verschwindet
Name: Dirk Mittelstädt
Funktion: Leiter der Vermisstenstelle
Arbeitsgebiet: Die Suche nach verschwundenen Personen jeden Alters, die Klärung der Identität hilfloser Personen und unbekannter Toter
Die Tochter kommt nicht von der Schule zurück, der Sohn verschwindet abends nach dem Training – eine Horrorvorstellung für Eltern. Kinder und Jugendliche, die einfach weg sind, seit Tagen, Wochen, Jahren: Sandra Wißmann, verschwunden in Kreuzberg im November 2000, damals zwölf, und Georgine Krüger, 14 Jahre alt, verschwunden im September 2006 in Moabit. Zwei Namen unter einigen tausend, um die sich die Ermittler der Vermisstenstelle der Berliner Polizei in jedem Jahr kümmern.
Kriminalhauptkommissar Dirk Mittelstädt organisiert mit vierzehn Kollegen die Suche von seinem Büro in der Keithstraße aus, wo auch die Mordkommission arbeitet. Werden Kinder als vermisst gemeldet, „gehen sämtliche Alarmglocken an“, sagt der 50 Jahre alte Polizist, der zuvor lange Rauschgift- und Rotlichtkriminalität bearbeitet hat. Zum Glück sind fast alle Kinder so schnell wieder da, wie sie verschwunden waren. Deshalb bekam die Öffentlichkeit von den wenigsten der 890 Vermisstenfälle, die bis Ende Oktober 2015 für Kinder angezeigt wurden, überhaupt etwas mit. Und vermutlich macht man sich deshalb keine Vorstellung von der Häufigkeit des Verschwindens von Menschen.
Dass Jugendliche auf einmal weg sind, passiert so oft, dass für sie zehn Tage lang die örtlichen Polizeidienststellen zuständig sind. 3654 Anzeigen gab es bis Ende Oktober 2015. „Manche sind in einem Quartal 15 Mal weg“, sagt Dirk Mittelstädt, „manche sind schon wieder da, wenn die Vermisstenstelle den Vorgang auf dem Tisch hat.“ Immerhin 303 Jugendliche waren länger als zehn Tage weg und wurden damit zu Vermissten, nach denen Mittelstädt und seine Kollegen suchten. Dazu kamen (bis Ende Oktober) 243 vermisste Erwachsene, 62 unbekannte hilflose Personen, 72 unbekannte Tote – und 148 sogenannte Kindesentziehungen, wie die Entführung von Kindern aus der Obhut eines oder beider Elternteile juristisch korrekt heißt.
Und doch kommen die wenigsten Menschen auf Dauer abhanden. Die Mitarbeiter der Vermisstenstelle können fast hundert Prozent ihrer Fälle klären: Jugendliche Trebegänger kommen zurück nach Hause oder ins Wohnprojekt; unbekannte Tote werden identifiziert, weil Vermisstenanzeigen aus anderen Ländern ihre Identität zu klären helfen. Gerade weil vieles an der Arbeit in der Vermisstenstelle „Handwerk“ sei, sei es so wichtig, „die Antennen nicht zu verlieren“, sagt Mittelstädt. Um dann, wenn wie im Herbst 2015 der vier Jahre alte Mohamed vom Lageso-Gelände in Moabit verschwindet, schnellstmöglich mit Suche und Fahndung zu beginnen.
Dieser Text erschien zunächst in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.