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Bei Pippi Langstrumpf war früher vom "Negerkönig" die Rede. Der Verlag änderte das nachträglich in "Südseekönig".
© contrasto/laif

Koloniale Altlasten: Rassismus in Kinderbüchern: Wörter sind Waffen

Kinderbücher müssen von rassistischen Vokabeln befreit werden, findet unsere Autorin Simone Dede Ayivi. Sie fühlt sich persönlich gekränkt von deren Sprachwahl. Ihre Kinder sollen diese Erfahrung der Ausgrenzung nicht machen müssen.

Nicht alle Menschen, die in Deutschland leben, sind weiß. Nicht einmal alle Deutschen sind weiß. Das bedeutet: Nicht alle Leserinnen und Leser von deutschsprachiger Literatur sind weiß, nicht alle Theater- oder Fernsehzuschauer. Würden immer alle Beteiligten an Rassismusdebatten auf dieses Wissen zurückgreifen, es wäre allen geholfen. Doch ob in der Diskussion über Blackfacing an deutschen Bühnen oder bei der Debatte über das Vorhaben, rassistische Begriffe in deutschen Kinderbüchern durch neutralere auszutauschen: Schwarze Menschen werden nicht mitgedacht. Es ist, als würden wir nicht existieren. Gedanken macht man sich lediglich um die Rechte des weißen Urhebers und das ungetrübte Vergnügen des weißen Rezipienten, der am liebsten alles so haben will, wie es schon immer war.

Die weißen Theatermacher, mit denen ich mich in der Rassismusdebatte am Theater konfrontiert sah, hatten immer gute Gründe, an der Nutzung rassistischen Vokabulars oder rassistischen Praktiken wie Blackfacing festzuhalten. Angeblich brauche man es, um Rassismus zu thematisieren. Da wurde mit dem Ausstellen von Rassismus argumentiert und damit, dass man der Gesellschaft den Spiegel vorhalten wolle. Mit Gesellschaft ist dabei die weiße Mehrheitsgesellschaft gemeint. Eine Gruppe von Leuten, die sich gegenseitig irgendwelche Spiegel vorhalten wollen. Das können sie gern tun, aber in der Konsequenz heißt das, dass Theater sich nur an ein weißes Publikum wendet. Diese Gruppe bleibt unter sich und definiert für sich allein, was rassistisch ist und was nicht. Vielleicht ist das die Gruppe, die mit „wir“ gemeint ist. Dem „Wir“ aus der wohl eher rhetorischen Frage auf dem aktuellen Titelblatt der „Zeit“: „Unsere liebsten Kinderbücher werden politisch korrekt umgeschrieben – ist das ein Fortschritt?“, heißt es da. Unbeeindruckt vom Kampfbegriff der politischen Korrektheit lautet meine Antwort darauf: ja.

Denn eigentlich bedeutet die Frage nur: Sollen unsere liebsten Kinderbücher auf rassistische Begriffe verzichten, damit sie auch schwarze Kinder und Eltern zu ihren Lieblingsbüchern erklären können? Ja; warum denn eigentlich nicht? Das wäre doch sehr schön! Es wären dann unser aller liebste Bücher. Mit der Aussage, dass Kinderbücher mit rassistischem Sprachgebrauch es niemals auf meine Favoritenliste schaffen, gebe ich zu, dass ich eine dieser schwarzen Frauen bin, die der Meinung sind, dass Wörter kränken und Schaden anrichten können. Und wie sollte ich anders darauf kommen als durch die eigene Erfahrung? Ich oute mich also selbst als gekränkt und beschädigt. Das ist kein guter Ausgangspunkt für eine Rassismusdebatte, in der denjenigen, die Rassismus thematisieren, immer wieder Empfindlichkeit vorgeworfen wird. Ich bekomme ständig erklärt, durch was ich mich berechtigterweise verletzt fühlen darf und was nur meiner Empfindsamkeit geschuldet ist. Ich solle am besten niemanden darauf aufmerksam machen, dass er gerade ein rassistisches Wort benutzt, sondern mein Empfinden zu diesem Wort ändern.

Nun lasse ich mir aber wie die meisten anderen Menschen auch ungern sagen, wie ich mich fühlen soll. Schon gar nicht von Leuten, die nicht die gleichen Diskriminierungserfahrungen gemacht haben wie ich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Streichung rassistischer Begriffe erst der Anfang sein kann

Man sagte mir, dass "braune Kinder" nicht mitspielen dürfen

Bei Pippi Langstrumpf war früher vom "Negerkönig" die Rede. Der Verlag änderte das nachträglich in "Südseekönig".
Bei Pippi Langstrumpf war früher vom "Negerkönig" die Rede. Der Verlag änderte das nachträglich in "Südseekönig".
© contrasto/laif

Und diese Erfahrungen mit Zuschreibungen und Ausgrenzungen machte ich auch schon in dem Alter, in dem ich „Pippi Langstrumpf“ und „Die kleine Hexe“ las. Als schwarzes Kind der Achtziger in der US-Besatzungszone aufgewachsen, waren sich die Leute so einig, dass ich ein „Besatzerkind“ sein müsse, dass ich es beinahe selbst glaubte. Man sagte mir, ich sei nicht das Kind meiner weißen Mutter, sondern sicher adoptiert. Mir wurde von anderen Kindern gesagt, dass „braune Kinder“ nicht mitspielen dürften, und beim Streit ums Spielzeug erklärt, dass ich ohnehin bald nach Afrika zurückmüsse, wo es überhaupt kein Spielzeug gebe. Bereits in frühen Jahren wurde mir eindeutig klargemacht, dass ich anders bin. Dass ich zu diesem „Wir“ nicht dazugehöre und dass das mit meiner Hautfarbe zu tun hat.

Meine Ausgabe von „Pippi Langstrumpf“ ist von 1986. Sie steht nach wie vor in meinem Bücherregal. Darin heißt es: „Sie glaubte, dass er auf einer Insel an Land geschwemmt worden war, wo viele Neger wohnten, und dass ihr Vater König über alle Neger geworden war und jeden Tag eine goldene Krone auf dem Kopf trug.“ Gerade lese ich oft, dass Kinder nicht so blöd sind, wie wir denken. Dass sie sehr wohl wüssten, was diese Begriffe bedeuten und dass sie „schlecht“ sind. Stimmt. Auch ich als schwarzes Kind wusste, was das bedeutet. Diese Textstelle bedeutet: Weiße herrschen über Schwarze. Schwarze Menschen sind weniger wert. Und ich bin schwarz. Wenn meine Kinder diese Bücher lesen können, ohne dass sie diese Erfahrung machen müssen, dann halte ich das für einen Fortschritt.

Es kann natürlich sein, dass Astrid Lindgren es nicht so gemeint hat. Dass das nicht das Weltbild ist, das sie vermitteln wollte. Es ändert nur leider nichts an unserem Problem. Die Worte tun ihre Wirkung, auch wenn sie nicht in böser Absicht ausgesprochen werden. Was hat denn das Kind davon, wenn die Intention der Autorin eine andere war? Das N-Wort, heißt es, sei außerdem „damals“ weniger rassistisch gewesen. Es war im allgemeinen Sprachgebrauch, erst heutzutage erhielt es seine abwertende Bedeutung. Das ist falsch. Es war so normal, dieses Wort zu benutzen, weil die abwertende Haltung gegenüber schwarzen Menschen vollkommen normal war. Das N-Wort war früher nicht weniger rassistisch. Rassismus war in Europa nur allgemein akzeptiert. Das ist er jetzt nicht mehr. Es gibt jetzt Menschen wie Mekonnen Mesghena von der Heinrich-Böll-Stiftung, die an Verlage schreiben und sich beschweren, wenn schwarzen Menschen verbale Gewalt angetan wird. Es gibt Institutionen und Zusammenschlüsse wie „Der braune Mob“ oder Bühnenwatch, die sich gegen Rassismus in Medien und Theatern stark machen. Die Veränderung kommt. Und es wird um mehr gehen als Theatermittel und Kinderbuchsprache.

Die Streichung rassistischer Begriffe ist nur der Anfang vom Frühjahrsputz. Raus mit den kolonialen Altlasten! Dazu muss man aber erst mal zugeben, dass Deutschland eine Kolonialgeschichte hat. Dass zu unserem kulturellen Erbe jahrhundertealte rassistische Muster gehören, durch die wir – auch schwarze Deutsche – geprägt und sozialisiert wurden. Es geht nicht um Zensur, es geht nicht um einen Eingriff in die Kunstfreiheit, es geht nicht darum, bestimmte Wörter zu verbieten. Wer darauf besteht, seinen Kindern rassistische Wörter vorzulesen, kann das immer noch tun, auch wenn mich dieses Anliegen gruselt. Es haben sich in den letzten Wochen so viele Bewahrer der deutschen Sprache zu Wort gemeldet, dass sich bestimmt jemand finden wird, der dafür sorgt, dass auch nicht die kleinste Kindheitserinnerung verloren geht. Aber wenn sich alle darin einig sind, dass die Begriffe in den diskutierten Büchern nicht rassistisch gemeint sind, warum sie dann nicht durch welche ersetzen, die tatsächlich nicht rassistisch sind?

Simone Dede Ayivi ist Theaterregisseurin und lebt in Berlin. Zuletzt inszenierte sie „Bloodshed in Divercity“ am Ballhaus Naunynstraße.

Simone Dede Ayivi

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