Präsidenten vor Gericht: Westliches Recht und afrikanische Wirklichkeit
Es war ein schöner Traum. Mit der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs sollten die Diktatoren der Welt das Signal bekommen: Niemand steht über dem Recht. Aber die Realität zeigt, dass es einfach unmöglich ist, einen regierenden Präsidenten vor einem Weltstrafgericht abzuurteilen. Ein Kommentar.
Die Straflosigkeit sollte ein Ende haben. Das war das Ziel der internationalen Sondergerichte, die seit dem Jugoslawien-Tribunal mehrfach schwere Menschenrechtsverbrechen, Völkermorde oder Kriegsverbrechen aufgearbeitet haben. Und mit der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vor mehr als zehn Jahren sollte diese Drohung mit dem Recht an die Diktatoren und Schlächter der Welt dauerhaft im Raum stehen. Doch die Realität zeigt, dass es nahezu unmöglich ist, die Verbrechen amtierender Präsidenten vor einem Weltstrafgericht zum Aufruf zu bringen. Zuletzt hat das die Statuskonferenz am Dienstag und Mittwoch im Fall des kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta gezeigt.
Am Donnerstagmorgen ist Kenyatta auf dem Flughafen in Nairobi von tanzenden und singenden Menschenmassen begrüßt worden. So werden Helden empfangen. Dabei hatte Kenyatta, der am Mittwoch vor den IStGH zitiert worden war, vier Stunden schweigend im Gericht gesessen. Das Reden überließ er seinem britischen Staranwalt Steven Kay. Die Attitüde, die ihm trotz der Anklage vor dem IStGH zu seinem Wahlsieg im März 2013 verholfen hatte, nämlich den Gerichtshof als "weiße" und "neokoloniale" Justiz zu verhöhnen, hat er auch bei seinem ersten Auftritt in Den Haag nach seiner Wahl beibehalten. Sein weißer Anwalt, der auch an der Verteidigung des ehemaligen serbischen Staatschefs Slobodan Milosevic beteiligt gewesen war, ehe der sich selbst verteidigte, verlangte denn auch einen Freispruch aus Mangel an Beweisen.
Angeklagt wegen Mord, Vergewaltigung und Vertreibung
Tatsächlich hat die Chefanklägerin Fatou Bensouda nur wenige Beweise zu bieten. Der Fall geht zurück auf die chaotischen Wochen nach der Präsidentenwahl Ende 2007. Damals gelangte der zuvor amtierende Präsident Mwai Kibaki durch Wahlen erneut an die Macht, die internationalen Standards nicht entsprachen und die offenkundig in Teilen gefälscht worden waren. Kenyatta war Kibakis Finanzminister und ein enger Verbündeter des umstrittenen Präsidenten. Auf der anderen Seite stand - wie im vergangenen Frühjahr wieder - Raila Odinga. Der Oppositionsführer erkannte das Wahlergebnis 2007 nicht an und rief zu Massendemonstrationen auf. Sein damaliger Verbündeter war der heutige Vize-Präsident William Ruto, der vier Jahre später an der Seite Kenyattas ins State House einzog. Ruto, der schon seit einem Jahr in Den Haag vor Gericht steht, soll Übergriffe seiner Kalenjin-Krieger auf Angehörige anderer Ethnien, vor allem Kikuyu, denen Kibaki und Kenyatta angehören, organisiert und in Gang gesetzt haben. Kenyatta wiederum wird beschuldigt, die Gegenattacken auf Odingsas Luos und auf andere Ethnien, die zur Opposition hielten, finanziert und organisiert zu haben. Die Anklage lautet auf Mord, Vergewaltigung und Vertreibung.
Zeugen wurden eingeschüchtert
Während die Beweislage zur Prozesseröffnung gegen Ruto vor einem guten Jahr genügt haben, sieht es im Fall gegen Kenyatta für die Chefanklägerin schlecht aus. Zwar sagte die Anklagebehörde während der Statuskonferenz in dieser Woche, sie verfüge über "neun Zeugen, die bereit sind auszusagen". Aber sieben wichtige Zeugen sind im Verlauf der Amtszeit Kenyattas als Präsident abgesprungen. Einige sind verschwunden, untergetaucht oder womöglich gar nicht mehr am Leben, weil sie bedroht wurden oder sich bedroht fühlten. Andere haben öffentlich erklärt, die Anklagebehörde habe ihre Aussagen gekauft. Dieses Bekenntnis dürfte auf Zuwendungen aus dem Kenyatta-Lager zurückzuführen gewesen sein. Andere weigern sich aus Angst, ihre Aussagen vor Gericht zu wiederholen oder haben sie deshalb gleich ganz widerrufen.
Der lange Arm einer Regierung in Afrika ist zu lang, um Zeugen ohne eine eigene Polizei des Den Haager Gerichts zu schützen. Das Risiko für die Zeugen ist so hoch, dass kaum jemand bereit ist, sich selbst und seine Familie Repressionen auszusetzen, die unweigerlich drohen, wenn sie tatsächlich gegen einen regierenden Präsidenten aussagen. Selbst wenn sie "anonym" aussagen, ist es für die Geheimdienste der betroffenen Länder meistens nicht schwer, ihre Identität zu ermitteln. Im Falle Kenias wurden die Klarnamen "anonymer" Zeugen gleich in den Tageszeitungen veröffentlicht.
Der Fall zeigt, dass das westliche Rechtsverständnis, dass niemand über dem Gesetz steht, an den Realitäten in Afrika scheitert. Das hat auch der Fall von Omar al Baschir gezeigt. Seit 2009 hat der IStGH einen internationalen Haftbefehl gegen den Präsidenten des Sudans ausgestellt. Es geht um die Verantwortung für die Verbrechen in der westsudanesischen Krisenregion Darfur. Doch bis heute reist Baschir unbehelligt durch dutzende Staaten, die selbst dann, wenn sie dem IStGH selbst angehören, nicht bereit sind, ihn zu verhaften. Vielleicht sollte der IStGH mehr Energie darauf verwenden, die nicht ganz so hochrangigen Fälle solide abzuarbeiten. Vielleicht wächst das Vertrauen in den Gerichtshof dann irgendwann tatsächlich so sehr, dass auch Prozesse gegen Präsidenten möglich werden. Aber schnell geht das nicht.
Dagmar Dehmer
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